Bischof Genn besucht Flüchtlingsheim

"In ständiger Angst vor der Abschiebung"

Münsters Bischof Felix Genn hat das Bleiberecht für Asylsuchende als "echte Wunde in unserer Wohlstandsgesellschaft" kritisiert. Nach dem Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Münster sprach der Bischof mit domradio.de über seine Eindrücke.

Bischof Genn spendet Trost (dpa)
Bischof Genn spendet Trost / ( dpa )

domradio.de: Was haben Sie in dem Flüchtlingsheim heute erlebt?

Bischof Genn: Etwas sehr Beeindruckendes: Eine tiefe Not, wenn Menschen ihre Heimat verlassen, praktisch nichts dabei haben, in einer kleinen Wohnung leben müssen, mit anderen im selben Heim leben, keine Kleidung haben. Zugleich habe ich Rührendes erlebt: Mitglieder aus der Pfarrgemeinde tun seit Jahren dort ehrenamtlichen Dienst bei der Hilfe für diese Flüchtlinge, sei es bei der Hausaufgabenhilfe, in der Kleinkindpädagogik, in der Kleiderkammer oder bei der Vermittlung von Lehrstellen. Also Beindruckendes und Rührendes, beides steht nebeneinander und ist mir nahegegangen.

domradio.de: Welche Sorgen und Ängste haben diese Menschen?

Bischof Genn: Die Menschen kommen aus verschiedenen Nationen, lernen bruchstückhaft etwas Deutsch. Die Unsicherheit ist vor allen Dingen bei der Frage, wie sie Arbeit finden können. Morgens aufzustehen und nicht zu wissen, was man tun soll, ist schlimm. Es gibt auch einige, die sich dann schon wieder ins Bett legen und liegen bleiben. Das ist schon eine bedrückende Situation, die geht auch darüber hinaus, was das Sozialamt tun kann. Das ist auch eine Frage der Ausländerbehörde und eine innenpolitische Frage: Wie halten wir es auf Dauer mit dem Bleiberecht und mit der Frage, wie Menschen hier eine Heimat auf Dauer finden können.

Die Menschen hier fragen sich ständig: Werden wir nur geduldet, was geschieht, wenn die Polizei kommt? Da gibt es Beispiele, die man kaum noch verstehen kann: Leute, die schon seit Jahren hier sind, deren Kinder einen Schulabschluss haben und eine Lehre gemacht haben, die mittlerweile schon als ehrenamtliche bei der Hausaufgabenhilfe dabei sind. Und die Eltern haben immer die Angst im Nacken vor der Abschiebung. Das würde ja auch eine Familie auseinanderreißen. Es ist mir nicht begreiflich, dass sich in einem Sozialstaat in dieser Hinsicht so wenig bewegt. Das ist eine echte Wunde in unserer Wohlstandsgesellschaft.

domradio.de: Was kann die Kirche tun?

Bischof Genn: Die Kirche tut sehr viel. Z.B. wenn ich als Bischof solche Einrichtungen besuche und das Thema in die Öffentlichkeit bringe. Aber auch auf der Ebene der Pfarrgemeinden passiert vieles. Da engagieren sich einzelne Christen unheimlich. Und die motivieren wiederum auch andere, konkret zu helfen. Pfarrgemeinden überlegen z.B., etwas von ihrem Bauland für Sozialwohnungen zur Verfügung zu stellen. Die Stadt Münster hat einen kaum geregelten Wohnungsmarkt, da ist wirklich Bedarf.

Und dann natürlich die Arbeit der Caritas und der Diakonie. Ohne Kirche könnten die staatlichen Stellen diese Aufgaben gar nicht erfüllen, das ist eindeutig.

domradio.de: Wie kann die Kirche auf die Politik einwirken?

Bischof Genn: Wir haben in der Bischofkonferenz eine Kommission Migration, in der ist der Münsteraner Weihbischof Gerlings. Ich bekomme hautnah mit, wie der sich engagiert, gerade auch auf der politischen Ebene. Und da wird ganz klar mit den politisch Verantwortlichen gesprochen. Und auf NRW-Ebene unterstützen wir Bischöfe den Regierungspräsidenten, sowohl politisch als auch in den konkreten Situationen, wenn es um die Belange der Migranten geht.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR