Bischof Ackermann äußert sich nach Ukraine-Besuch

"Eindruck, dass Diplomatie aktuell an Grenzen stößt"

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hat bis Montag die Ukraine und kirchliche Hilfsprojekte in Ivano-Frankivsk besucht. Ackermann über die Lage der Menschen, Waffenlieferungen und Befürchtungen.

Autor/in:
Anna Fries
Bischof Stephan Ackermann / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Stephan Ackermann / © Julia Steinbrecht ( KNA )

KNA: Bischof Ackermann, wie war Ihr Eindruck vom Land und den Menschen?

Bischof Ackermann: Das Land ist im Ausnahmezustand, auch im Westen, der ja weniger stark angegriffen und zerstört ist als der Osten. Wir sind nach Ostpolen geflogen und dann über Lwiw nach Ivano-Frankivsk gefahren. Manche Häuser waren verlassen, die Straßen sind abends unbeleuchtet, es gibt nachts eine Ausgangssperre, zwischendurch Luftalarm. Sonst leben die Menschen in Ivano-Frankivsk im Rahmen der Möglichkeiten relativ normal. Dort leben rund 50.000 Binnenflüchtlinge, das bringt die Stadt an Grenzen.

KNA: Sie haben kirchliche Hilfsprojekte besucht und mit Geflüchteten gesprochen. Was haben die Menschen erzählt?

Ackermann: Viele aus der Ostukraine haben von ihrer Flucht berichtet, manche von ihren Eltern, die weiter in den Kriegsgebieten leben. Ich habe mit Frauen gesprochen, die Angst um ihre Männer an der Front haben und deren Partner ums Leben kamen. Manches kann ich nur erahnen. Ich habe aber auch einen starken Lebenswillen der Menschen gespürt.

KNA: Die katholische Kirche steht hinter dem Recht der Ukrainer auf Selbstverteidigung, auch mit Waffengewalt. Wie sehen Sie das nach dem Besuch vor Ort?

Ackermann: Die Diskussionen über Waffenlieferungen in den vergangenen Monaten, Forderungen nach Panzern, nach Kampfjets, das macht mich schon unruhig. Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur auf Waffen gesetzt wird. Da frage ich mich, ob und welche Bemühungen es um Dialog gibt. Gleichzeitig muss man den Eindruck haben, dass Putin und sein Regime für Argumente nicht zugänglich sind. Experten sagen: Es müssen klare Grenzen gezogen werden, ansonsten wird Dialog als Schwäche ausgelegt.

Bei meinem Besuch habe ich gemerkt, dass die Menschen Frieden wollen. Aber sie sagen auch: Welche Wahl haben wir denn - außer uns zu verteidigen? Ältere haben noch das Sowjetregime erlebt, eine Diktatur ohne Meinungs- und Religionsfreiheit. In diesem Kräfteverhältnis David gegen Goliath braucht die Ukraine militärische Unterstützung der internationalen Partner - ohne deshalb Diplomatie aus dem Blick zu verlieren.

KNA: Welche Chancen sehen Sie derzeit für Diplomatie? Der Tenor der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende war wenig zuversichtlich.

Ackermann: Ich habe den Eindruck, dass Diplomatie in der aktuellen Situation sehr an Grenzen stößt. Ich hoffe, dass es hinter dem, was wir öffentlich wahrnehmen, Bemühungen für Gesprächskanäle gibt. Es besteht immer die Gefahr, dass ein Krieg weiter eskaliert. Wir haben gehört, dass Russland sich nicht an die Regeln des Kriegsrechts hält. Es steht zu befürchten, dass sich in der Bevölkerung auf beiden Seiten das Feindbild verfestigt.

KNA: Was braucht es aus Ihrer Sicht?

Ackermann: Als Unterstützer brauchen wir einen langen Atem. Die konkrete Hilfe für die Ukraine und für die Geflüchteten hier bei uns muss weitergehen. Es braucht auch unsere Gebete - persönlich und gemeinschaftlich. Das kann zudem dazu beitragen, die Not der Ukrainer in der Öffentlichkeit präsent zu halten. Bei meinem Besuch habe ich gemerkt, dass den Ukrainern außer konkreten Hilfen die persönliche Anteilnahme wichtig ist. Viele haben mir gesagt, bitte vergesst uns nicht und bleibt an unserer Seite.

KNA: Was können die Kirchen in Deutschland tun?

Ackermann: Die Stärke der Kirche liegt darin, dass wir von konkreten Personen erzählen können, ihren Leidensgeschichten, aber auch gelungenen Beispielen von Integration und anfänglicher Heilung. Ich bin im Grunde auch müde, andauernd Lagebeurteilungen und Berichte über Waffensysteme zu hören. Dazu kann ich als normaler Bürger keinen Beitrag leisten. Was aber jeder kann, ist, sich Menschlichkeit zu bewahren und das Leid der Menschen an sich heranzulassen.

KNA: Welchen Moment der Reise haben Sie noch vor Augen?

Ackermann: Die Begegnungen mit den Kindern, denen Müdigkeit und Enttäuschung in den Augen stand. Man merkte ihnen an, dass sie traumatisiert sind, dass sie in diesem Kriegsjahr gealtert sind und ihnen Kindheit genommen wurde. Auf der anderen Seite spielen, malen und singen sie und verhalten sich wie Kinder. Dieser Gegensatz war eine Zerreißprobe.

 

Quelle:
KNA