Kirche in Spanien ermutigt Missbrauchsbetroffene zur Anzeige

Bischöfe wollen keine allgemeine Missbrauchsstudie

Deutschland, Frankreich, nun auch Spanien? Trotz bekannter Fälle lehnten die Bischöfe des Landes eine eigene Studie zum Missbrauch in der Kirche bislang ab. Nach einer Zeitungsrecherche kommt nun Druck aus dem Vatikan.

Autor/in:
Manuel Meyer
Spanische Bischöfe beim Papst / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Spanische Bischöfe beim Papst / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Die Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche ist in vielen Ländern inzwischen ein Ereignis von nationaler Tragweite sowie ein wichtiger Fixpunkt für die Kirche geworden, um Vertrauen zurückzugewinnen

Bereits 2018 wurde in Deutschland die sogenannte MHG-Studie veröffentlicht, die Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche zwischen 1946 und 2014 statistisch erfassen sollte. Weit mehr als 37.000 Fälle wurden seinerzeit registriert. Im Oktober legte in Frankreich die Ciase ihren Bericht vor, der - trotz aller Kritik an der Methodik - auf ein noch düstereres Ergebnis kommt.

Gegen eine allgemeine Untersuchung

In Spanien hingegen sprach sich die Kirche bislang immer gegen eine allgemeine und statistische Untersuchung aus. Stattdessen solle jeder Fall weiterhin einzeln geprüft werden. Dafür wurden im vergangenen Jahr Hilfsbüros eingerichtet, an die sich mutmaßliche Betroffene wenden können. Bisher seien dort allerdings kaum Anzeigen und Beschwerden eingegangen, so die Bischofskonferenz.

Bei Spaniens größter Tageszeitung, "El Pais", hingegen schon. In einer großangelegten Langzeit-Recherche richtete die linksliberale Zeitung vor drei Jahren ein E-Mail-Postfach für Beschwerden sowie ein Register mit Betroffenen von sexuellem Missbrauchs in der katholischen Kirche ein. Ergebnis: 600 Nachrichten und 251 Anzeigen.

220 Fälle haben sich laut dem Register erst nach 2001 zugetragen. Mit Blick auf die gesammelten Zeugenaussagen könnte es in den vergangenen Jahrzehnten allerdings Tausende Betroffene gegeben haben, schreibt die Zeitung.

Das Reporterteam übergab Papst Franziskus die 385-seitigen Rechercheergebnisse während seiner jüngsten Reise nach Zypern und Griechenland - öffentlichkeitswirksam im Flugzeug. Das Kirchenoberhaupt setzte sich danach sofort mit dem Vorsitzenden der Spanischen Bischofskonferenz, Barcelonas Erzbischof Juan Jose Omella, in Verbindung, und wies die Glaubenskongregation an, das Material und die Missbrauchsvorwürfe zu untersuchen. Auch die Spanische Bischofskonferenz befasst sich bereits mit der Auswertung. Insgesamt 31 Diözesen und 31 Ordensgemeinschaften sind von den Missbrauchsvorwürfen betroffen.

Vor allem Ordensgemeinschaften betroffen?

77 Prozent der mutmaßlichen Missbrauchsfälle ereigneten sich demnach in religiösen Ordensgemeinschaften, die nicht der direkten Kontrolle und Verantwortung der Bischofskonferenz unterliegen. Der in Spanien von den Missbrauchsskandalen betroffene Maristen-Orden verurteilte in einer offiziellen Erklärung bereits "diese schrecklichen Ereignisse" und entschuldigte sich bei den Betroffenen dafür, nicht in der Lage gewesen zu sein, "sie zu schützen, sich um sie zu kümmern". "Wir haben eine Untersuchung eingeleitet, um die Ereignisse zu klären. Die Opfer stehen bei uns an erster Stelle. Wir glauben an ihr Wort und stehen ihnen für alles zur Verfügung, was sie brauchen", heißt es.

Auch andere spanische Ordensgemeinschaften, in denen es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein soll, äußerten sich ähnlich. Der Salesianer-Orden erklärte nach den Rechercheergebnisse von "El Pais", im südspanischen Sevilla bereits Ermittlungen eingeleitet zu haben.

"In einigen der auftauchenden Fälle gibt es sehr vage Referenzdaten, die aber trotzdem untersucht werden", sagte ein Sprecher der Salesianer spanischen Medien. In einem der konkreten Fälle sei der beschuldigte Geistliche bereits 1976 gestorben.

Auch die spanischen Augustiner verurteilen die mutmaßlichen Missbrauchsfälle in ihren Ordensniederlassungen im nordspanischen Santander sowie in der Mittelmeermetropole Valencia. Man habe keine Kenntnisse von diesen Vorfällen gehabt, die nun untersucht würden.

Jeden Fall einzeln untersuchen?

Abgesehen von den konkreten Missbrauchsfälle dürften die Untersuchungen allerdings noch weitergehen. Eine 2019 von Papst Franziskus verabschiedete Norm zur Beendigung der Vertuschung von Missbrauchsfällen verpflichtet jeden Bischof oder Ordensoberen, eine interne Untersuchung zu einem möglichen Fall einzuleiten. Der Bericht von "El Pais" soll dabei eine Liste dutzender Kardinäle und Bischöfe enthalten, die in jüngster Vergangenheit entweder Untersuchungen nicht eingeleitet oder sogar Verdächtige gedeckt haben sollen.

Obwohl der Bericht keine persönlichen Daten der Betroffenen enthält, um deren Anonymität zu gewährleisten, erklärte sich "El Pais" bereit, dem Vatikan die Kontakte zu den Betroffenen zur Verfügung zu stellen.

Trotz der Vorwürfe und der zu erwartenden Untersuchungen der vatikanischen Glaubenskongregation spricht sich die Spanische Bischofskonferenz bis auf weiteres gegen eine unabhängige Untersuchung von Missbrauchsfällen innerhalb der Kirche aus. In einer am Montag veröffentlichten Erklärung bekräftigten die Bischöfe ihr "Interesse und ihre Bereitschaft, eine Untersuchung aller Missbrauchsfälle durchzuführen" und ermutigten "alle Opfer, Anzeige zu erstatten".

Bereits im November erklärte der Generalsekretär der Spanischen Bischofskonferenz, Weihbischof Luis Argüello, es solle lieber jeder Fall einzeln untersucht werden. "Wir möchten, dass jedes Opfer das Gefühl bekommt, dass die Kirche in jedem Bistum bereit ist, Fälle konkret zu prüfen", so Argüello. Alle Bischöfe hätten dem zugestimmt.

Die katholische Kirche sei sich der "Schwere" der Taten und auch der Bedeutung von Prävention bewusst.


Quelle:
KNA