"Biotop-Kirche" vereint Glaube, Kultur und Schöpfung

Tiere gehören zum "Gesamtpaket" der Kirche

Die Bewahrung der Schöpfung ist Teil des christlichen Auftrags. Im thüringischen Meiningen-Walldorf wurde dies nach eigenen Angaben mit Deutschlands erster "Biotop-Kirche" auf die Spitze getrieben. Doch am Anfang stand eine Tragödie.

Garten der Biotopkirche von Walldorf an der Werra mit Bauerngarten und Liegebank am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann (KNA)
Garten der Biotopkirche von Walldorf an der Werra mit Bauerngarten und Liegebank am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was ist eine Biotopkirche?

Wigbert Schorcht (Biologe, Ideengeber und stellv. Vorsitzender des Kirchenvorstands der ersten "Biotop-Kirche" in Meiningen-Walldorf): Dazu muss ich etwas weiter ausholen: Wir waren in der Verlegenheit, unsere Kirche neu aufbauen zu müssen, weil sie uns leider vor zehn Jahren abgebrannt ist.

Innenraum der nach einem Großbrand restaurierten Kirche in der Kirchenburg von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann (KNA)
Innenraum der nach einem Großbrand restaurierten Kirche in der Kirchenburg von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Vor dem Neubau stand dann die Überlegung, für wen wir die Kirche wieder aufbauen und wie wir das machen. Es kam dann sehr schnell die Idee, das nicht nur für die Menschen zu bauen, sondern dass wir das Gebäude gleich so bauen, dass dort auch die Tiere einen Platz haben, um zu brüten und zu wohnen. Auf die Idee sind wir auch wegen einiger Zeichen gekommen, die wir gesandt bekommen haben.

DOMRADIO.DE: Welche?

Schorcht: Das sind zum Beispiel unsere Dohlen gewesen, also diese kleinen schwarzen Rabenvögel. Die haben schon an unserer vorherigen Kirche gebrütet, die in der Karwoche abgebrannt ist, also im zeitigen Frühjahr. Als wir Menschen noch völlig niedergeschlagen waren, kamen die Dohlen mit Zweigen im Schnabel wieder und haben in dieser Brandruine versucht, ihre Nester wieder aufzubauen.

Das hat uns Hoffnung gegeben. Da haben wir gesagt: "Wenn die Vögel diesen Optimismus haben, dann machen wir das auch. Dann krempeln wir die Ärmel hoch und bauen diese Kirche wieder auf." Natürlich mussten wir dann auch so bauen, dass zum Beispiel die Dohlen in der neuen Kirche wieder brüten können.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind Dohlen nicht die einzigen Tiere, die Sie beheimaten. Es gibt auch Fledermäuse, habe ich gelesen, und auch gleich in verschiedenen Ausführungen…

Schorcht: Genau, das ist eine zweite tragische Geschichte. Aus der noch brennenden Kirche konnten sich nur wenige Fledermäuse retten. Aus dem Qualm und dem brennenden Turm sind noch gut 20 Fledermäuse geflogen. Auch die Fledermäuse sollten wieder ihren Platz haben und inzwischen sind es tatsächlich verschiedene Arten. In unserer Walldorfer Kirche leben sogar die sehr seltene graue Langohrfledermaus, die bundesweit vom Aussterben bedroht ist.

Plaketten zum Denkmalschutz und zur Fledermausfreundlichkeit an der Biotopkirche von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022 in Walldorf. / © Alexander Brüggemann (KNA)
Plaketten zum Denkmalschutz und zur Fledermausfreundlichkeit an der Biotopkirche von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022 in Walldorf. / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Wir haben bei dem Neubau verschiedenste Möglichkeiten für verschiedenste Tiere geschaffen: für Mauersegler, für Sperlinge, für Stare, für Meisen… Aber nicht nur am Kirchenbau selbst, sondern auf dem gesamten Burggelände unserer sogenannten Kirchenburg.

Zur Geschichte von Walldorf in Thüringen

Die erste bekannte Erwähnung der Kirchenburg im heute thüringischen Walldorf stammt aus dem Jahr 982; eine Schenkungsurkunde, mit der Kaiser Otto II. einen Teil seiner Besitzungen an die Petruskirche zu Aschaffenburg "verschreibt". Die Vorgeschichte weist noch in eine viel frühere Zeit. Bodenfunde während der Sanierung der Kirche reichen bis in die Bronze- und Jungsteinzeit.

Außenansicht der Kirchenburg von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann (KNA)
Außenansicht der Kirchenburg von Walldorf an der Werra am 1. Mai 2022. / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Zum Beispiel haben wir auch eine Storchennesthilfe aufgestellt. Dort brüten seit vielen Jahren Störche, die dort in diesem Jahr zum siebten Mal ihre Jungen großgezogen haben. Insgesamt sind schon 18 Jungtiere geschlüpft.

DOMRADIO.DE: Jetzt bleibt eine Biotop-Kirche immer noch eine Kirche. Wie sieht das mit Gottesdiensten und dergleichen bei Ihnen aus?

Schorcht: Die Tiere stehen nicht im Mittelpunkt, sondern gehören zum Gesamtpaket dazu. Natürlich ist die Kirche für Gottesdienste da, aber auch für viele andere Dinge. Wir wollen die Kirche auch kulturell beleben. Wir haben bewusst so gebaut, dass ganz viele Dinge möglich sind. So bieten wir auch touristische Angebote für die Radfahrer des Werra-Radweges, der an der Kirche vorbeikommt.

Das ist Teil unseres ganzheitlichen Ansatzes, der versucht, an alle Mitgeschöpfe zu denken und ihnen einen Platz zu geben. Wenn heutzutage neugebaut wird oder eine energetische Gebäudesanierung ansteht, wird dieser Teil des ökologischen Bauens leider oft vergessen. Wir haben jetzt ein gutes Beispiel geschaffen, das man sich anschauen kann.

Jeder kann gerne vorbeikommen und sich ansehen, wie man ökologisch ganzheitlich bauen kann. So etwas muss sich auch entwickeln. Wir haben das mit den Architekten, mit den Bauleuten und Handwerkern gemeinsam überlegt, wo ein idealer Ort sein könnte, an dem Vögel brüten können; oder wo unser Bienenvolk in der Mauer seinen Stock aufbauen kann.

DOMRADIO.DE: Sie zeigen diese Mittel zur Bewahrung der Schöpfung auch Kindern in Ihrer Kinderkirchenburg …

Schorcht: Ja, genau. Das gehört mit zu dem Gesamtkonzept, das wir versuchen wollen, wieder junge Leute in die Nähe der Kirche zu bringen. Das funktioniert hier auch schon ziemlich gut, weil wir im Ort sehr gut vernetzt sind, mit dem städtischen Kindergarten zusammenarbeiten und weil viel Gemeindearbeit, Christenlehre und so weiter stattfindet. Da wird dieser Aspekt der Bewahrung der Schöpfung spielerisch integriert. Das gehört heutzutage mit dazu.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Quelle:
DR