Beschneidungsurteil hat auch internationale Auswirkungen

"Schlicht erschreckend"

Das Beschneidungsurteil hat Deutschland eine neue Debatte über das Verhältnis von Religion und säkularer Gesellschaft beschert. Doch nicht nur in Deutschland stößt das Urteil des Kölner Landgerichts auf teils heftige Kritik, bei der Weltunion für Progressives Judentum herrscht pures Unverständnis und auch aus der Türkei und Frankreich kommen mahnende Worte.

Autor/in:
Christoph Arens
Beschneidung: "Äußerst befremdliche" Entscheidung (epd)
Beschneidung: "Äußerst befremdliche" Entscheidung / ( epd )

Das Thema köchelt schon länger: Bereits 2008 erklärte der Bochumer Professor für Kriminologie Holm Putzke im "Deutschen Ärzteblatt", Mediziner sollten eine aus religiösen Gründen geplante Beschneidung von "nicht einwilligungsfähigen Jungen" ablehnen, weil sie sich der Körperverletzung strafbar machten. Und zu Beginn dieses Jahres warnten europäische Rabbiner bei einem Treffen mit israelischen Parlamentsabgeordneten, nach Gesetzesinitiativen gegen das rituelle Schlachten könnte schon bald die rituelle Beschneidung zum Thema von Religionskritikern in Europa werden.



Verhältnis von Religion und säkularer Gesellschaft

Sie haben Recht behalten: Im Mai urteilte das Landgericht Köln, dass die religiös motivierte Beschneidung eines minderjährigen Jungen als Körperverletzung strafbar sei. Seit das Urteil in dieser Woche bekanntwurde, hat Deutschland eine neue Debatte über das Verhältnis von Religion und säkularer Gesellschaft.



Die Religion als Störfaktor: Ging es bei der Praxis des Schächtens um die Abwägung zwischen Religionsfreiheit und Tierschutz, so handelt es sich beim Thema Beschneidung um die Abwägung zwischen religiösen Riten sowie dem Kindeswohl und der Frage, wie weit Eltern ihre Einwilligung zu solchen Körperverletzungen bei Minderjährigen geben dürfen. Für den Vizepräsidenten der Freien Universität Berlin und Ethikprofessor Michael Bongardt geht es allerdings nicht nur um Religionsfreiheit, sondern "im weiteren Sinne um die Freiheit jeder und jedes Einzelnen, darüber zu entscheiden, was man für ein gutes und richtiges Leben hält", sagte er dem Magazin "Cicero".



Religionskritiker und Kinderschutzorganisationen reagieren mit Genugtuung

Religionskritiker und Kinderschutzorganisationen reagierten mit Genugtuung: "Die Tatsache, dass ein die körperliche Integrität von Kindern erheblich verletzendes Ritual eine Jahrtausende alte Tradition ist, rechtfertigt nicht deren Beibehaltung", erklärte die Deutsche Kinderhilfe. Die Auswirkungen der Beschneidung bei Jungen würden von den Religionsvertretern verharmlost. Auch aus Sicht des Bundes der Konfessionslosen und Atheisten ist es irrelevant, ob "Verstümmelungen aus religiösen oder anderen ideologischen Gründen" durchgeführt werden. Es handele sich um einen strafbaren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Kindern.



Die Religionsgemeinschaften kritisierten das Urteil dagegen einhellig. Für das Judentum sei die Beschneidung ein unverzichtbarer Bestandteil, erklärte die Orthodoxe Rabbinerkonferenz in Deutschland. Der Zentralrat der Juden hält das Urteil für einen "beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften". Auch die muslimischen Dachorganisationen sehen eine Kriminalisierung ihrer religiösen Traditionen. Der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Ali Kizilkaya, erklärte, viele Muslime fragten sich, ob sie noch einen Platz in dieser Gesellschaft hätten. Unterstützung erhielten sie von den christlichen Kirchen: Deutsche Bischofskonferenz und evangelische Kirche rügten, die Richter hätten sich unbekümmert auf rechtstechnische Fragen beschränkt und die religiöse Dimension der Entscheidung ausgeblendet.



Auch der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hat das Beschneidungsurteil scharf kritisiert. Das Urteil konstruiere eine "Schutzpflicht des Staates gegenüber einer Elternentscheidung, die für jüdische Eltern eine biblisch begründete Elternpflicht ist und für muslimische Eltern in einer verpflichtenden religiösen Tradition gründet", so der Kardinal.



"Derartigen Tendenzen, die Religionsfreiheit und damit das religiöse Erziehungsrecht von Eltern in Deutschland einzuschränken, ist entschieden entgegenzutreten", so Meisner weiter. "Wir Christen erwarten gemeinsam mit Juden und Muslimen, dass höherrangige Gerichte diesen Eingriff in die Religionsfreiheit zurücknehmen."



Mahnungen aus der Türkei und Frankreich

Ausgeblendet hat das Gericht zumindest die internationale Dimension seiner Entscheidung: Die World Union for Progressive Judaism erklärte, seit der Herrschaft des assyrisch-griechischen Königs Antiochius Epiphanes um 165 vor der Zeitrechnung hätten zahlreiche Regierungen den Bann über die Beschneidung ausgesprochen und versucht, die jüdische Religionspraxis auszulöschen. "Der Umstand, dass nicht einmal 70 Jahre nach dem Holocaust Deutschland sich in diese unheilige Allianz einreiht, ist schlicht erschreckend."



Auch aus der Türkei und Frankreich kamen Mahnungen an die deutsche Regierung, Rechtssicherheit für Juden und Muslime wieder herzustellen. Ein solcher Versuch passe nicht zu einer EU-Führungsnation wie Deutschland, sagte Europaminister Egemen Bagis. Ein Verbot der bei Muslimen und Juden traditionellen Beschneidung von minderjährigen Jungen sei eine "Dummheit", so Bagis, der für die türkische Regierung die EU-Beitrittsverhandlungen führt. Das Thema berühre die Religions- und Gewissensfreiheit und habe in einem Gerichtssaal nichts zu suchen.



Am Freitag fühlte sich sogar Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bemüßigt, zu der religiösen Streitfrage Stellung zu beziehen. Als weltoffener Staat müsse Deutschland religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck von Vielfalt schützen", sagte er.



Der integrationspolitische Sprecher der FDP, Serkan Tören, strebt mit Blick auf das Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts eine gesetzliche Neuregelung an. "Ich setze mich in der FDP-Bundestagsfraktion für ein Gesetz ein, das klarstellt, dass die weltweit etablierte Praxis der Beschneidung auch in Deutschland legal ist", sagte Tören der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Ungewissheit, vor der nun Tausende muslimische und jüdische Familien stünden, sei nicht hinzunehmen.



"Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten sein, kann sich das Land jede weitere Integrationspolitik sparen", kritisierte Tören, der selbst Muslim ist. "Ein Verbot der Beschneidung wäre das deutlichste Signal an die Muslime in unserem Land, dass sie kein Teil Deutschlands, ja nicht einmal willkommen sind."



Hintergrund

Das Kölner Landgericht hat erstmals in Deutschland den chirurgischen Eingriff der Beschneidung aus religiösen Gründen als strafbare Handlung gewertet. Die Beschneidung sei nicht durch die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt und entspreche nicht dem Kindeswohl, urteilten die Richter. Das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit überwiege das Grundrecht der Eltern. Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie abwarten müssten, ob sich das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheide, so das Gericht.