Berliner Friedenstreffen will Signal der Einheit senden

"Eine Aufgabe in den Händen aller"

Tausende Teilnehmer werden zum internationalen Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant'Egidio in Berlin erwartet. Matthias Leineweber erklärt, auf welche Impulse er hofft und wo Friedensprojekte durch die Treffen angestoßen wurden.

Berlin ist Schauplatz des internationalen Friedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio / © Andrey_Popov (shutterstock)
Berlin ist Schauplatz des internationalen Friedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio / © Andrey_Popov ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ihr großes Friedenstreffen in der einstmals geteilten deutschen Hauptstadt hat natürlich großen Symbolwert. Wofür wollen Sie diesen Symbolwert nutzen?

Matthias Leineweber / © Anne Ackermann (KNA)
Matthias Leineweber / © Anne Ackermann ( KNA )

Dr. Matthias Leineweber (Zweiter Vorsitzender der Gemeinschaft Sant'Egidio e.V.): Berlin ist eine Stadt, die in der Geschichte sehr im Brennpunkt gestanden hat. Im letzten Jahrhundert war das auch auf sehr leidvolle Weise der Fall. Zum einen durch die Diktatur, dann durch den Ausgangspunkt eines schrecklichen Krieges, der zum Weltkrieg geworden ist, und schließlich durch die Teilung der Stadt.

Aber dann ist Berlin auch eine Stadt, die es geschafft hat, diese Trennung auf gute und friedliche Weise zu überwinden und eine neue Zukunft aufzubauen. Diese Geschichte, die das Leid nicht vergisst, daran denkt und daraus kreativ eine bessere Zukunft im Frieden aufbaut, wollen wir auch als Botschaft für die heutige Zeit nutzen, die in so vielen Ländern und so vielen Ecken der Welt von Krieg und Gewalt gekennzeichnet ist.

Wir wollen hoffen, dass sich da Wege des Friedens auftun können.

DOMRADIO.DE: Der Bundespräsident ist bei der Eröffnung am Sonntag dabei, der Bundeskanzler am Dienstag. War es schwer, diese höchsten Vertreter der Bundesrepublik zum Kommen, zum Mitmachen zu bewegen?

Leineweber: Man muss sagen, dass Sant'Egidio ja eine lange Geschichte in diesem Feld der Friedenstreffen und in der Friedensarbeit hat.

Wir haben seit 1986, seit diesem historischen Tag in Assisi, den Johannes Paul II. damals einberufen hat, jedes Jahr ein großes Treffen durchgeführt, das auch zu einer großen Bewegung unter den Religionsvertretern, aber auch mit Vertretern aus der Zivilgesellschaft, aus Politik und Kultur gewachsen ist. Daraus sind viele Friedensinitiativen entstanden.

Wir waren schon viermal in Deutschland, 2003 in Aachen, dann 2011 in München, 2017 in Münster und Osnabrück. Schon damals war das Interesse der deutschen Politik sehr groß. Das kann man daran erkennen, dass Bundeskanzlerin Merkel 2011 und 2017 an einem eigenen Forum teilgenommen hat.

Daraus hat sich auch eine Unterstützung der deutschen Regierung für die Friedensinitiativen vor Ort, also in den Vermittlungstätigkeit vor allen Dingen in Afrika, entwickelt. Dadurch gibt es diese guten Verbindungen und die Hoffnung, dass sich in dieser Zusammenarbeit zwischen religiösen Einrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, verschiedenen Formen von Friedensengagement und Politik etwas Positives für den Frieden auf der Welt ergeben kann.

Daher war diese Offenheit der Bundesregierung da. Wir freuen uns natürlich sehr, dass sowohl der Bundespräsident als auch der Bundeskanzler teilnehmen.

DOMRADIO.DE: Warum ist es so wichtig und sinnvoll, dass verschiedene Menschen zusammenkommen, miteinander ins Gespräch kommen?

Leineweber: Weil heute der Frieden eine Aufgabe ist, die in den Händen aller liegt. Wir können nicht sagen, dass der Frieden nur von den großen, verantwortlichen Persönlichkeiten in der Politik oder in der Gesellschaft abhängt.

Vielmehr wollen wir auch zum Ausdruck bringen, dass jeder etwas für den Frieden tun kann und dass wir uns nicht resignierend mit einer Welt abfinden dürfen, die Papst Franziskus als Welt im Dritten Weltkrieg, der in Bruchstücken geführt wird, bezeichnet und charakterisiert hat.

Von daher ist es sehr wichtig, Netzwerke aufzubauen, die in ihren Ländern vor Ort diesen Geist des Dialogs und des Austausches über die Unterschiede von Religion oder Weltanschauung hinweg fortsetzen.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen, wo unsere Gemeinschaft sehr positive Erfahrungen gemacht hat. Das ist Pakistan. Von dort wird auch wieder ein wichtiger Imam aus Lahore kommen. Dort ist vor allen Dingen die Situation der christlichen Minderheit sehr schwierig. Durch diese regelmäßige Teilnahme an den Dialogtreffen ist auch vor Ort ein guter Geist und Austausch entstanden.

Als vor einigen Jahren zum Beispiel eine sehr schwierige Situation in einem Stadtviertel in Lahore entstanden war, wo auch eine Wut gegenüber Christen aufgekommen war, hat dieser Imam, der an diesem Treffen teilgenommen hat, dort in der Moschee gepredigt und zum Dialog aufgerufen. Das sind natürlich sehr wichtige Stimmen. Er hat dort auch das Klima verändert.

Das ist unsere große Hoffnung, dass aus diesen intensiven Tagen Impulse auch vor Ort und für die große Ebene ausgehen. Wir denken natürlich besonders an die Ukraine.

DOMRADIO.DE: Ein katholischer Bischof aus der Ukraine ist dabei, aber kein russischer Kirchenvertreter. Haben Sie da niemanden finden können?

Leineweber: Das ist sehr schwierig. Die Situation vor Ort ist sehr schwierig. Es ist auch sehr schwierig für Vertreter der russischen Kirche, sich zu positionieren, zu äußern. Von daher ist es nicht möglich.

Aber es ist schön, dass ein ukrainischer Bischof da ist und die Stimme seines Volkes vertritt. Sehr wichtig ist auch, dass Kardinal Matteo Zuppi, der von Papst Franziskus als Friedensbotschafter beauftragt ist, irgendwie schaut, ob es Initiativen gibt, die einen Dialog ermöglichen. Er war schon in der Ukraine, in Moskau und dann in Washington bei Präsident Biden. Es ist gut, dass er teilnimmt, seine Erfahrungen mit einbringt und dass sich dadurch vielleicht neue Initiativen, Begegnungen ermöglichen.

DOMRADIO.DE: Mit konkreten Ergebnissen oder Impulsen zum Krieg gegen die Ukraine ist da eher nicht zu rechnen, oder?

Dr. Matthias Leineweber

"Ich glaube, wir brauchen viel mehr solche Orte, wo Menschen sich auch ungezwungen begegnen können und miteinander ein Gespräch führen."

Leineweber: Was ist ein konkretes Ergebnis? Ich glaube, ein großes Ergebnis ist, dass das Treffen überhaupt in einer Zeit stattfindet, in der man sich immer weniger begegnet und immer weniger Dialog führt. Und wenn, dann manchmal über die sozialen Medien und Parolen. Ich glaube, wir brauchen viel mehr solche Orte, wo Menschen sich ungezwungen begegnen können und miteinander ein Gespräch führen.

Wichtig sind auch die Begegnungen am Rande des Treffens, also bei den Mahlzeiten, bei den Empfängen, wo man mal auf jemanden zugehen kann auf, mit dem man sonst nicht ins Gespräch kommt. Ich nenne mal ein Beispiel im Irak. Die Situation ist ja durch den langwierigen Krieg zwischen den religiösen Konfessionen, Schiiten, Sunniten und Christen sehr schwierig.

Da ist es manchmal vor Ort überhaupt nicht möglich, dass man miteinander über ein Thema diskutiert und zusammenkommt. Aber hier bei diesem Treffen ist es möglich. Das schafft Beziehungen und Netzwerke, die für eine Zukunft im Frieden unheimlich wichtig sind.

DOMRADIO.DE: Zum Abschluss am Dienstag steht dann das eigentliche Friedensgebet in der Tradition von Papst Johannes Paul II. an. Da beten die einzelnen Religionen erst einmal für sich.

Dr. Matthias Leineweber

"Wir wollen eine bunte, vielfältige Welt, die es schafft, mit den Unterschieden in Frieden zusammenzuleben. Das ist unser Traum."

Leineweber: Die Tradition von Assisi sieht es aus Respekt vor den einzelnen Religionen so vor. Es ist auch klar, dass die Vorstellungen der verschiedenen Religionen sehr unterschiedlich sind und manche dann bevorzugen, in ihrer Religion in der eigenen Tradition zu beten. Aber uns verbindet alle das gemeinsame Anliegen, dass jede Tradition im Respekt vor den anderen Religionen für den Frieden betet. Dieses Gebet in der eigenen Tradition, in der eigenen Tiefe der spirituellen Tradition führt uns zusammen und nicht auseinander.

Man kommt dann nach diesen Gebetsmomenten zusammen und trifft sich zu einer großen Schlusskundgebung auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, um gemeinsam mit den anderen Vertretern aus Politik und Kultur ein Zeugnis zu geben. Wir wollen eine bunte, vielfältige Welt, die es schafft, mit den Unterschieden in Frieden zusammenzuleben. Das ist unser Traum.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich? Was soll dieses Friedenstreffen in dieser schwierigen Lage aktuell bringen?

Leineweber: Ich wünsche mir vor allen Dingen die Ermutigung, so wie es der Titel "Den Frieden wagen" aussagt, dass wir aus dieser lähmenden Starre, die uns erfasst, herauskommen, weil wir ja jeden Tag von verschiedensten Konflikten hören.

Jetzt haben wir von den Putschen in Afrika gehört, wie zum Beispiel in Niger oder in Gabun. Das lähmt oft auch die Menschen und vermittelt die Botschaft, dass der einzelne in der Situation eigentlich nichts machen kann.

Das wollen wir durchbrechen. Wir wünschen uns, dass viele Menschen den Frieden wieder wagen, angefangen in ihren Gruppierungen, in ihren Religionen oder als politische Vertreter und dass sie sich für den Dialog wieder neu bereit erklären.

Denn unsere Geschichte, auch die deutsche Geschichte zeigt: Die Mauer, die in Berlin gefallen ist, ist ja nicht von irgendwo her gefallen. Das war eine lange Geschichte von Friedensgruppen, von Pastoren, von anderen friedensbewegten Nichtregierungsorganisationen, von Politikern, von Religionsvertretern wie Papst Johannes Paul II., die dafür gehofft haben und Schritte gewagt haben.

Am Ende ist diese Mauer gefallen und ist Europa auch zusammen gekommen. Wir hoffen, dass dieser Impuls von Berlin ausgehen kann.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Sant'Egidio - Überblick

Die im Mai 1968 in Rom entstandene katholische Bewegung Sant'Egidio widmet sich der karitativen Arbeit, der Diplomatie in Bürgerkriegsgebieten sowie dem Dialog der Religionen. Sie hat nach eigenen Angaben rund 60.000 Mitglieder in 70 Ländern, davon 5.000 in Deutschland. Ihr Hauptsitz befindet sich im römischen Stadtteil Trastevere, ihr deutsches Zentrum seit 1983 Würzburg. Seit 1986 ist die ökumenisch stark engagierte Gemeinschaft von der katholischen Kirche als Laienvereinigung anerkannt. Finanziert wird ihre Arbeit durch Mitgliedsbeiträge, Spenden sowie durch öffentliche Zuschüsse.

Logo der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Logo der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR