Berlin steht erstmals vor dem UN-Menschenrechtsrat Rede und Antwort

Prüfung vor der Weltöffentlichkeit

Das Verfahren ist noch kaum den Kinderschuhen entwachsen, seine Wirkung bisher nicht absehbar: Seit 2007 klopft der UN-Menschenrechtsrat in sogenannten Überprüfungsverfahren die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf die Achtung der Menschenrechte ab. 48 Staaten wurden bereits geprüft. Heute ist erstmals Deutschland an der Reihe. - Amnesty International wirft der Bundesregierung vor, ihren Bericht an den UN-Menschenrechtsrat in Genf geschönt zu haben.

Autor/in:
Ann Kathrin Sost
 (DR)

Die Situation, die in dem Bericht geschildert werde, habe mit der Realität «nicht allzu viel zu tun», sagte Silke Voss-Kyeck, UN-Expertin von Amnesty, am Montag im domradio unmittelbar vor der Anhörung im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf. Unter anderem kritisierte sie, dass Flüchtlinge in Deutschland «ständig von Ausweisung bedroht» seien.

Voss-Kyeck bemängelte, dass zum Beispiel Schulleiter und Mitarbeiter im Gesundheitswesen angehalten seien, die Behörden auf Flüchtlinge ohne Aufenthaltspapiere hinzuweisen. Zum Teil würden diese in Abschiebehaft genommen, obwohl ihnen nach internationaler Konvention ein Flüchtlingsstatus zustehe.

Für die Bundesregierung präsentierten der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier (CDU), und der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), vor dem Rat einen Staatenbericht, der die Bemühungen Deutschlands bei Gleichberechtigung, Armut oder auch Bildung zeigen soll. Angesichts vieler Entwicklungen der vergangenen Jahre in der Ausländerpolitik, der Einrichtung der Deutschen Islamkonferenz, dem Integrationsgipfel oder der Schaffung einer Bleiberechtsregelung stehe Deutschland sehr gut da, sagte Altmaier dem epd.

Auch andere Menschenrechtsorganisationen äußern dagegen harsche Kritik. Das Forum Menschenrechte, ein Zusammenschluss von etwa 50 Organisationen, warf der Regierung "schwerwiegende Defizite" bei der Umsetzung der Menschenrechte vor. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, nannte als Beispiel das im Regierungsbericht formulierte uneingeschränkte Bekenntnis zum Schutz Verfolgter. In der Realität beteilige sich Deutschland über die EU an Maßnahmen, um Schutzsuchende davon abzuhalten, überhaupt nach Europa zu gelangen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert unter anderem die Lage Pflegebedürftiger, die unzureichende Hilfe für Opfer von Menschenhandel und die Diskriminierung von Kindern aus Migrantenfamilien oder einkommensschwachen Familien im Schulsystem.

Sorgen bei den 47 Mitgliedsländern
Auch von den 47 Mitgliedsländern des Menschenrechtsrats sind kritische Fragen zu erwarten. Vorab wurden einige davon bekannt. Liechtenstein sorgt sich etwa um die wachsende Zahl von Straßenkindern in Deutschland und will wissen, was für sie getan wird. Die Niederlande wiederum fragen nach dem Ausländer- und Asylrecht, nach Polizeigewalt und Homosexuellenfeindlichkeit. Schweden schließlich will wissen, inwieweit Online-Durchsuchungen und andere Maßnahmen im Kampf gegen Terrorismus mit den Menschenrechten vereinbar seien.

Interessant dürfte auch werden, was andere Mitglieder des Rates beizutragen haben. Denn in dem Gremium sitzen auch Staaten wie China, Kuba und Russland, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Kritiker bemängeln, die überwiegend afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Mitglieder nutzten den Rat gern als Forum, um sich gegen Bevormundungen zu wehren. Muslimische Länder gingen auf Konfrontation mit dem Westen. Die USA wiederum haben bisher nicht einmal für einen Sitz kandidiert.

In vier Jahren erneut vor dem Rat
"Offen sind wir gegenüber aller Kritik, da sie uns die Gelegenheit gibt, zu diskutieren", sagt Altmaier. Auch auf die Empfehlungen, die der Rat im Anschluss aussprechen will, freue man sich: Deren Befolgung und Umsetzung hänge aber "natürlich auch ganz maßgeblich von der Qualität ab". Gegen "pauschale Verurteilungen und Vorwürfe" werde man sich "selbstverständlich zur Wehr setzen". Spätestens in vier Jahren muss Deutschland erneut vor den Rat und zeigen, ob und wie es den Empfehlungen gefolgt ist.

Wie immer die Bilanz am Montag in Genf ausfällt - Altmaier ist überzeugt, dass bereits die Teilnahme Deutschlands den Menschenrechtsrat stärkt. Es gehe darum, "weltweit Standards zu etablieren, an denen sich alle Staaten messen lassen müssen". Die Akzeptanz der Empfehlungen des Rates werde gestärkt, wenn sich auch Staaten wie Deutschland mit einem hohen Menschenrechtsstandard dem öffentlichen Verfahren stellten.

Weil die Bundesregierung in ihrem Bericht nicht selbstkritisch auf Schwachpunkte eingehe, spiele sie "Hardlinern" wie China in die Hände, widerspricht das Forum Menschenrechte. Diese könnten den Bericht als "halbe Wahrheit" entlarven. Außerdem sei so die Chance vertan worden, Defizite zu benennen und damit den Menschenrechtsschutz in Deutschland weiterzuentwickeln.