Benin feiert Graffiti-Künstler aus Afrika und Europa

Die Demokratisierung der Kunst

In Westafrika gelten Graffiti nicht mehr als Schmierereien, sondern werden zum Bestandteil der Kunstszene. In der Wirtschaftsmetropole Cotonou in Benin entstehen im Rahmen eines Graffiti-Festivals 26 neue Werke an prominenter Stelle.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Die Malerei zeigt eine junge Afrikanerin in traditioneller Kleidung. Das Graffito wurde an der Hafenmauer von Cotonou gesprüht, anlässlich des Graffiti-Festivals Effet Graff in Benin. / © Katrin Gänsler (KNA)
Die Malerei zeigt eine junge Afrikanerin in traditioneller Kleidung. Das Graffito wurde an der Hafenmauer von Cotonou gesprüht, anlässlich des Graffiti-Festivals Effet Graff in Benin. / © Katrin Gänsler ( KNA )
Künstler arbeiten an einem Graffito an der Hafenmauer von Cotonou, anlässlich des Graffiti-Festivals Effet Graff, im Mai 2022 in Cotonou (Benin) / © Katrin Gänsler (KNA)
Künstler arbeiten an einem Graffito an der Hafenmauer von Cotonou, anlässlich des Graffiti-Festivals Effet Graff, im Mai 2022 in Cotonou (Benin) / © Katrin Gänsler ( KNA )

Mit einem kleinen Mädchen beginnt alles. Es hat sich auf eine Tartanbahn gehockt, blickt aufmerksam nach vorn und wartet auf den Startschuss. "Eins, zwei, drei, laufe los und gewinne", sagt ihr Erschaffer, der aus Porto Novo stammende Künstler Julien Sinzogan.

Er ist einer von 26 Künstlern, die in Benins Wirtschaftsmetropole Cotonou an der achten Ausgabe des Graffiti-Festivals "Effet Graff" teilnehmen. Seine Arbeit ist das erste Graffito auf der 660 Meter langen Hafenmauer, die derzeit besprüht und bemalt wird. Thema: "Das neue Benin".

Szenen aus Benin als Motive

Das Graffito zeigt eine junge Afrikanerin in traditioneller Kleidung und mit Fotoaparat an der Hafenmauer von Cotonou. / © Katrin Gänsler (KNA)
Das Graffito zeigt eine junge Afrikanerin in traditioneller Kleidung und mit Fotoaparat an der Hafenmauer von Cotonou. / © Katrin Gänsler ( KNA )

Ausgewählt haben die Teilnehmer aus nord- und westafrikanischen Ländern und aus Europa bekannte Szenen aus Benin. Dazu gehören Reiter in traditioneller Kleidung, eine Hommage an die Bariba, eine ethnische Gruppe im Nordosten des Landes; Frauen, die an die Kriegerinnen aus dem einstigen Königreich Dahomey erinnern; die Ernte von Baumwolle, dem wichtigsten Exportgut des 13-Millionen-Einwohner-Landes; aber auch Szenen mit Ufos, Raumschiffen und einem Fötus, dessen Nabelschnur an einem Tablet hängt.

Entstehung eines "Freilichtmuseums"

Julien Sinzogan, Graffiti-Künstler und künstlerischer Leiter des Graffiti-Festivals Effet Graff, in Cotonou (Benin). / © Katrin Gänsler (KNA)
Julien Sinzogan, Graffiti-Künstler und künstlerischer Leiter des Graffiti-Festivals Effet Graff, in Cotonou (Benin). / © Katrin Gänsler ( KNA )

Ein großer Teil der Bilder ist weit fortgeschritten. "Im Prozess entwickeln sich die Arbeiten aber weiter und werden nicht immer so, wie man sich das anfangs vorgestellt hat", sagt Sinzogan, der auch künstlerischer Leiter des Projekts ist. Das verfolgen viele Menschen mit, und das offene Atelier erhält Aufmerksamkeit. Der Hafen, mit dem bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden, gilt als "Lunge von Benin" und ist wichtiger Arbeitgeber.

Lea Awunou Roufai, Direktorin der noch jungen Nationalgalerie, nennt die Graffiti-Mauer ein Freiluftmuseum. "Täglich halten viele Menschen hier an, sprechen mit den Künstlern und fragen sie, was sie gerade tun." Damit werde Kunst auch für all jene zugänglich, die sonst keine Museen besuchen. Zwar nimmt die Zahl vor allem privater Initiativen zu; in den vergangenen Jahren wurde eine Reihe kleiner Galerien eröffnet. Bislang haben Kunstmuseen aber keine Tradition. Mit der langen Hafenmauer erhalten Künstler nun die Möglichkeit, sich einem breiten Publikum zu präsentieren.

Organisation und Finanzierung

Künstler arbeiten an einem Graffito an der Hafenmauer von Cotonou. / © Katrin Gänsler (KNA)
Künstler arbeiten an einem Graffito an der Hafenmauer von Cotonou. / © Katrin Gänsler ( KNA )

2013 hat der Verein ASSART das Festival erstmals organisiert. Echte Aufmerksamkeit in der Stadt erhielt es 2021, als vor dem Gelände der beninischen Eisenbahn die 940 Meter lange "Mauer des kulturellen Erbes von Benin" entstand. Sie gilt als längstes Graffiti in Afrika und drittlängstes weltweit. Den Rekord hält weiter Dubai mit mehr als 2,2 Kilometern am Jumeirah Beach.

Mittlerweile ist auch die Regierung von Patrice Talon auf die Künstler aufmerksam geworden. Die Stiftung seiner Frau Claudine hat das Material finanziert - was bei früheren Ausgaben stets die größte Herausforderung war. Auch wird damit nun eine Kunstform geehrt, die lange als Vandalismus bezeichnet wurde.

Künstler als Zeitzeugen

Lea Awunou Roufai bezeichnet zeitgenössische Künstler als Zeitzeugen. "Sie drücken aus, was sie fühlen. Sie mogeln nicht." Die Arbeiten entlang der Mauer würden für die Erneuerung Benins sprechen, aber auch die Verbindung zur eigenen Geschichte. Darüber wird seit Monaten debattiert, hat Frankreich doch im November im späten 19. Jahrhundert geraubte Kunst an Benin zurückgegeben. In einer Sonderausstellung ist diese seit Februar unweit der Hafenmauer im Präsidentenpalast zu sehen.

Sneak Hotep, Graffiti-Künstler aus Algerien, vor seinem Graffito, welches dem letzten König von Dahomey von Behanzin gedenkt, in Cotonou (Benin). / © Katrin Gänsler (KNA)
Sneak Hotep, Graffiti-Künstler aus Algerien, vor seinem Graffito, welches dem letzten König von Dahomey von Behanzin gedenkt, in Cotonou (Benin). / © Katrin Gänsler ( KNA )

Sie hat auch den aus Algerien stammenden Künstler Sneak Hotep inspiriert. Er steht vor seinem Graffito aus einer von ihm entwickelten abstrakten Kalligraphie in verschiedenen Violett-Tönen. Im Zentrum steht in Orange ein Motiv - ein Quadrat mit einem Kreis darin sowie zwei Halbkreisen an den Seiten -, das sich auch auf dem Thron des einstigen Dahomey-Königs Behanzin findet.

Dass er ausgerechnet ihn ausgewählt hat, ist kein Zufall. Stattdessen schafft es die Verbindung zwischen Benin und Algerien. Nach dem Sieg Frankreichs 1894 wurde Behanzin ins Exil nach Algerien verbannt, wo er 1906 starb. "Davon habe ich erst hier erfahren, und es hat mich wirklich zu meiner Arbeit angeregt", sagt Sneak Hotep.

Kirche und Kunst

Die Kirche war über Jahrhunderte hinweg die maßgebliche Institution zur Förderung von Kunst und Kultur. Neue Baustile und Techniken fanden meist in Architektur und Ausstattung sakraler Gebäude ihre Erstanwendung. Wenngleich die einstige Monopolstellung nicht mehr in dieser Form vorhanden ist, so legt die Kirche in der sakralen Kunst auch heute noch großen Wert auf Qualität.

Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti (KNA)
Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti ( KNA )
Quelle:
KNA