Benediktinerin blickt auf das erste Corona-Ostern 2020 zurück

"Das Leben ist für viele fragiler geworden"

Auch Philippa Rath und ihre Mitschwestern mussten vor fünf Jahren Ostern ohne Gäste feiern. Jetzt schätzt sie Austausch und Gemeinschaft mehr denn je. Damals trug sie die österliche Hoffnungsbotschaft genauso wie sie es heute tut.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Sr. Philippa Rath / © Julia Steinbrecht (dpa)
Sr. Philippa Rath / © Julia Steinbrecht ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wissen Sie noch, wie Sie im Frühjahr 2020 den ersten Karsamstag der Corona-Zeit verbracht haben? 

Schwester Philippa Rath (Benediktinerin der Abtei Sankt Hildegard): Der Karsamstag war für uns 2020 im Grunde nicht anders als jeder andere Karsamstag auch. Denn der Karsamstag ist bei uns im Kloster immer ein ausgesprochen stiller Tag, er ist ja sozusagen der Brückentag zwischen abgrundtiefer Dunkelheit und neu aufstrahlendem Licht. Er ist der Tag der totalen Gottesfinsternis, der Grabesruhe und des Schweigens. So wird bei uns an diesem Tag auch wirklich geschwiegen. Morgens in der Matutin singen wir aus den Klageliedern des Propheten Jeremia. Auch am Karsamstag 2020 haben wir mit diesen uralten Texten geklagt. Ich glaube, die Klage war in der Corona-Zeit auch die angemessenste Form des Gebetes.

DOMRADIO.DE: Erinnern Sie sich noch, wie es sich angefühlt hat, unter Pandemie-Bedingungen an das Sterben und die Auferstehung Jesu zu denken? 

Sr. Philippa: Ich erinnere mich gut daran. Diese Tage des Triduum Sacrum, also die Tage zwischen Gründonnerstag und Ostern, sind die wichtigsten im Kirchenjahr, auch bei uns. Ich glaube, wir haben sie in diesem ersten Corona-Jahr noch einmal deutlich intensiver als sonst begangen, unmittelbarer und lebensnäher. Weil uns durch die Corona-Krise dieses Geschehen von Sterben, Tod und Auferstehung noch einmal näher betroffen hat als in anderen Jahren. Wir haben 2020 gänzlich ohne Gäste gefeiert, nur wir Schwestern unserer Gemeinschaft unter uns. Das war schon eine besondere Herausforderung.

Sr. Philippa Rath

"Unser strukturierter Tag hilft in Krisenzeiten unglaublich."

DOMRADIO.DE: Was hat Sie und Ihre Mitschwestern damals durch die schwere Zeit getragen? 

Sr. Philippa: Da muss ich zunächst das gemeinsame Beten nennen. Wir hatten ja im Gegensatz zu vielen anderen Menschen das Glück, dass wir als Gemeinschaft zusammen waren. Wir sind natürlich auch auf Abstand gegangen. Aber wir haben ein sehr großes Haus und einen riesigen Garten und hatten deshalb im Vergleich zu anderen gute Bedingungen. Auch unser strukturierter Tag hilft in Krisenzeiten unglaublich und natürlich die nie versiegende Hoffnung auf Gottes Beistand auch in schwierigsten und aussichtslosesten Zeiten. Ich glaube, das alles hat uns durch diese Zeit getragen. 

DOMRADIO.DE: Was, würden Sie im Rückblick sagen, hat Corona ganz grundlegend verändert? 

Sr. Philippa: Das Leben ist für viele Menschen fragiler geworden, zerbrechlicher, auch ein Stück weit angefochtener. Wenn ich nach fünf Jahren zurückschaue, frage ich mich allerdings auch, ob wir nicht viel zu wenig gelernt haben aus diesen Corona-Jahren. Ich frage mich, wo die Solidarität geblieben ist und die Bereitschaft zum Verzicht, zur nachhaltigen Veränderung des Lebensstils. Insofern, fürchte ich, sind Veränderungen doch ein wenig zu kurz gekommen. 

DOMRADIO.DE: Im Nachhinein hat es viel Kritik gegeben, auch an den Kirchen. Sie hätten, so der Vorwurf, die Menschen gerade dann in vorauseilendem Gehorsam im Stich gelassen, als diese ihre Hilfe am dringendsten gebraucht hätten. Ist da in Ihren Augen etwas dran? 

Sr. Philippa: Ja und nein. Einerseits herrschte damals eine enorme Unsicherheit. Es gab keine Blaupause für diese Situation, zumindest am Anfang nicht. Und so sind vielleicht manche Maßnahmen über das Ziel hinausgeschossen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten die Kirchen etwas länger offengelassen, natürlich mit Abstandsregeln. Da sind wohl auch Entscheidungen zu schnell getroffen worden. Andererseits waren die Kirchen, besonders auch unsere katholische, damals sehr verunsichert durch die Missbrauchsskandale. Sie haben sehr aus der Defensive heraus gehandelt, sie wollten unbedingt alles richtig machen. Und wer alles richtig machen will, macht auch immer irgendetwas falsch. 

DOMRADIO:  Was geht Ihnen persönlich am meisten nach aus dieser Corona-Erfahrung? 

Sr. Philippa: Ich habe zwei mir nahestehende Menschen durch Corona verloren; beide sind einsam und allein im Krankenhaus gestorben. Nicht nur diese beiden Fälle gehen mir sehr nach, sondern der Gedanke an all die vielen Menschen, die einsam, ohne ihre Lieben um sie herum, sterben mussten. Das hat mich nachhaltig beschäftigt. Außerdem hat der jüngste Kriminalitätsbericht der Innenministerin gezeigt, dass die Zahl gewaltbereiter Kinder und Jugendlicher deutlich gestiegen ist. Experten führen diese Entwicklung auf Traumata aus der Corona-Zeit zurück. Auch ich denke, dass es sich um Spätschäden der Schulschließungen und der Einsamkeit dieser Kinder und Jugendlichen handelt. 

DOMRADIO.DE:  Je nachdem, wen wir fragen, scheint Corona schon ganz weit weg zu sein oder eben als Erfahrung doch noch nahe. Wie geht es Ihnen? 

Sr- Philippa:  Für mich ist die Corona-Zeit schon relativ weit weg. Das liegt aber sicher daran, dass wir als klösterliche Gemeinschaft deutlich bessere Bedingungen hatten als die allermeisten Menschen.  Wir hatten weder Probleme mit Einsamkeit noch Raumprobleme, noch waren wir irgendwie ausgesperrt. Wir konnten zum Beispiel immer in unseren wunderschönen Garten. Also haben wir diese Zeit relativ gut überstanden. Was uns allerdings sehr nachdenklich gemacht hat, war, dass wir keine Gäste haben durften und alle Bereiche, die normalerweise mit Menschen von außen bevölkert sind, geschlossen waren. Das hat uns damals nachhaltig beschäftigt. Aber auch darüber ist die Zeit schon wieder hinweggegangen. Die Menschen waren alle heilfroh, als sie wieder in unseren Klosterladen, ins Café und in die Kirche kommen und vor allem auch wieder an den Gottesdiensten teilnehmen konnten. Das alles scheint mir heute schon relativ weit weg.  Andererseits denke ich viel an die beiden guten Freunde, die ich durch Corona verloren habe. 

DOMRADIO.DE:  Gibt es sowas wie eine persönliche Lehre, die Sie aus dieser Corona-Krise gezogen haben? 

Sr. Philippa: Es sind mehrere. Zum einen ist mir klar geworden, wie wichtig Solidarität unter den Menschen ist und genauso die Einsicht, in Krisenzeiten auch auf Wichtiges verzichten zu können. Viele haben in der Corona-Zeit diese Herausforderungen unglaublich gut bestanden. Besonders bewusst ist mir auch geworden, wie wichtig der Austausch mit den Menschen ist, den wir hier im Kloster pflegen. Als wir das in der Corona-Zeiten nicht konnten, waren wir auf uns selbst zurückgeworfen und der Austausch hat gefehlt. Die Begegnung und die Chance, Gottes Gegenwart in dieser Welt zu bezeugen trotz allem Schweren, sind mir unglaublich wichtig geworden. Das war mir auch vorher schon bewusst, aber nicht in dieser Klarheit. Sobald wir etwas nicht mehr haben, merken wir erst, wie wichtig es ist.

DOMRADIO.DE: Zu Beginn der Corona-Zeit gab es viel Solidarität, bald aber taten sich tiefe Gräben auf - zwischen Impfbefürwortern und Impfgegnern zum Beispiel. Hat die Corona-Pandemie in Ihrer Wahrnehmung zu einer nachhaltigen Spaltung der Gesellschaft geführt? 

Sr. Philippa:  Es hat tatsächlich tiefe Gräben gegeben, auch in meinem persönlichen Bekannten- und Freundeskreis gab es zum Bespiel einige klare Impfgegner. Wir dagegen haben uns als Gemeinschaft alle impfen lassen, schon aus Solidarität mit unseren alten und kranken Mitschwestern. Aber ich glaube nicht, dass das auf Dauer zu einer gesellschaftlichen Spaltung geführt hat. Ich denke, die aktuellen Spaltungen haben vor allem politische Ursachen und betreffen eher Migrationsfragen und wirtschaftliche Sorgen der Menschen. Wir sollten keine nachhaltige Spaltung der Gesellschaft herbeireden! Jetzt kommt es darauf an, dass wir die Corona-Zeit schonungslos, offen und ehrlich aufarbeiten. Da haben wir auch in unserer Kirche noch viel zu tun. 

Sr. Philippa Rath

"Wir erfahren die Fragilität unseres persönlichen Lebens, aber auch des Friedens und der politischen Verhältnisse."

DOMRADIO.DE: Kaum ging die Corona-Krise langsam zu Ende, hat Putin die Ukraine angegriffen und dann der Hamas-Überfall den Nahen Osten überschattet. Bei vielen hat sich ein Gefühl der Dauerkrise eingestellt. Wie erleben Sie das? 

Sr. Philippa:  Das erleben wir hier im Kloster genauso wie alle Menschen auch. Dauerkrise scheint mir ein gutes Wort zu sein dafür, denn wir stolpern wirklich von Krise zu Krise -weltpolitisch, innenpolitisch und auch persönlich. Ich kenne viele Menschen, die sich in Krisensituationen befinden. Angesichts dessen setzen wir vor allem auf die Kraft des Gebetes und die Kraft der Hoffnung. Gleichzeitig erleben wir viel bewusster unsere eigene Endlichkeit und Zerbrechlichkeit, wir erfahren die Fragilität unseres persönlichen Lebens, aber auch des Friedens und der politischen Verhältnisse. Uns sollte zum Beispiel viel bewusster sein, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass wir seit 80 Jahren im Frieden leben. Dafür sollten wir viel dankbarer sein. Ich denke, Krisen sind immer auch Chancen. Insofern sollten wir aus allen Krisen möglichst viel lernen. Was die Corona-Krise angeht, so haben wir da noch Nachholbedarf. 

DOMRADIO.DE: Was kann uns das Osterfest mit seiner Botschaft in diesem Moment multipler Krisen sagen? 

Sr. Philippa:  Die entscheidende Botschaft von Ostern ist, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Es bleibt nicht beim Karsamstag, sondern ein Licht strahlt auf. Es gibt Auferstehung - auch mitten im Leben. Das erfahre ich immer wieder in gesellschaftlichen, kirchlichen und politischen Zusammenhängen. Die Hoffnung ist für mich die stärkste Kraft überhaupt, und diese Kraft kommt an Ostern in ganz besonderer zum Ausdruck: Christus ist auferstanden, neues Leben hat begonnen. Darauf dürfen wir vertrauen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR

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