Benediktiner Wolf kritisiert politische Korrektheit

"Wir halten nichts mehr aus"

Corona hat zum Teil tiefe Risse in unserer Gesellschaft hinterlassen. Bestsellerautor Notker Wolf schaltet sich mit seinem neuen Buch in die aktuellen Diskussionen ein und fordert angesichts großer Verunsicherung mehr Zuversicht.

Ein junges Paar streitet / © NDAB Creativity (shutterstock)
Ein junges Paar streitet / © NDAB Creativity ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ihre Diagnose in Ihrem Buch ist, dass übergroße Angst und Ängstlichkeit unser Leben weithin bestimmen. Woran machen Sie das fest?

Notker Wolf OSB † / © Wolfgang Radtke (KNA)
Notker Wolf OSB † / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Notker Wolf OSB (Emeritierter Abtprimas der Benediktinischen Konföderation und Buchautor): Das mache ich an den Lockdowns fest, an der Maskenpflicht und an vielem anderen, was einfach pauschal über die Bevölkerung gelegt wurde. Ich selber habe auch einen unvernünftigen Lockdown für 14 Tage erlebt. Damit war so viel verbunden, was schlimm war. Es wurde uns immer der schwarze Mann oder der Teufel an die Wand gemalt.

DOMRADIO.DE: Ihr Gegenmodell gegen die Angst ist Jesus von Nazareth. Inwieweit ist der ein leuchtendes Beispiel dafür, sich eben nicht von Angst dominieren zu lassen?

Notker Wolf OSB

"Das Leben ist nicht unendlich auf dieser Erde. Es gibt kein Paradies auf dieser Erde. Es gibt nun mal immer wieder die Probleme und die muss ich aushalten."

Wolf: Jesus hat gesagt: Sorgt euch nicht um das Morgen, schaut mal die Vögel am Himmel an und die Lilien des Feldes. Gott sorgt sich um euch.

Gott sorgt sich um uns und ein ganz einfaches Bewusstsein: Das Leben ist nicht unendlich auf dieser Erde. Es gibt kein Paradies auf dieser Erde. Es gibt nun mal immer wieder die Probleme und die muss ich aushalten.

DOMRADIO.DE: Weiter warnen Sie in Ihrem Buch vor den in Ihren Augen falsch verstandenen politischen Korrektheiten. Ein Beispiel führen Sie da von einer Berliner Grünen-Politikerin an, der es sozusagen zum moralischen Verhängnis wurde, dass sie von ihrem Kindheitstraum erzählt hat, nämlich einmal Indianerhäuptling werden zu wollen. Was finden Sie daran verstörend?

Wolf: Mich stört, dass sie sich dafür entschuldigen musste, um noch vor der Öffentlichkeit geradezustehen. Das ist doch ein Kindheitstraum. Es liegt lange zurück, genauso wie wir überhaupt in der moralischen Korrektheit und mit den ganzen Moralwächtern weit zurückgehen. Aber die kennen weder Mittelalter noch die Neuzeit.

Es fehlt meines Erachtens eine gute Kenntnis der Wirklichkeit. Und es wird ja auch nicht mehr gestritten, sondern Moral ist autoritär. Es wird einfach entschieden, das ist gut und das ist schlecht. Es wird nicht gestritten, was eigentlich gut oder schlecht ist.

DOMRADIO.DE: Wenn jetzt eine Person of Color, wie sie ja selbst genannt werden möchte, allergisch auf den Begriff Schwarzfahrer reagiert, müssen wir dann nicht vielleicht ein bisschen großzügig sein und das mal aushalten?

Black Lives Matter-Bewegung

Auf den "Black Lives Matter"-Kundgebungen demonstrieren auch viele Geistliche - darunter Bischöfinnen und Bischöfe - gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Mitte Mai kamen Tausende Menschen vor dem Weißen Haus zum Gebet für Gerechtigkeit zusammen. Dennoch unterscheidet sich der Protest von der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre, damals angeführt von Martin Luther King und weiteren Pastoren. Der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd war am 25.

Black lives matter / © Alex Brandon/AP/dpa (dpa)
Black lives matter / © Alex Brandon/AP/dpa ( dpa )

Notker Wolf OSB

"Wir müssen diskutieren und ich nehme gerne gegenteilige Meinungen an, aber wir müssen darüber reden und nicht einfach diktieren."

Wolf: Ich muss es aushalten, dass es vielerlei Meinungen in der Bevölkerung gibt. Aber wenn diese Meinungen letzten Endes mit einem Shitstorm versuchen etwas niederzuknüppeln, dann bin ich dagegen. Wir müssen diskutieren und ich nehme gerne gegenteilige Meinungen an. Aber wir müssen darüber reden und nicht einfach diktieren.

Das ist alles ideologisch verzogen. Wir halten auch nichts mehr aus. Wir sind überempfindlich geworden. Ich muss doch noch um Himmels willen etwas aushalten können. Und ich darf nicht auf jede Befindlichkeit reagieren, die sich da im Netz meldet, ein Unwohlsein, dass nunmehr die Emotionen einiger Leute plötzlich ein ganzes Buch vom Schreibtisch fegen.

Wir haben das ja alles schon hinter uns, die Bücherverbrennungen, die Hexenverbrennungen. Wir haben doch schon so viel Unfug in der Geschichte gemacht. Lernen wir denn nie? Jetzt ist aufgrund der sozialen Medien natürlich alles möglich. Sonst musste jemand gewählt sein, um etwas tun zu können. Oder er muss sehr kompetent sein als Wissenschaftler oder Professor. Aber das zählt heute nicht mehr, sondern ich fühle mich beleidigt und prompt muss danach gehandelt werden. Das finde ich komisch.

DOMRADIO.DE: Ein bisschen ungnädig blicken Sie auch auf das Gendern an sich. Machen Sie es sich vielleicht auch ein bisschen einfach, wenn Sie den Anspruch auf eine gerechtere Sprache als ein Minderheiten-Ding abtun. Frauen sind immerhin die Hälfte der Menschheit.

Notker Wolf OSB

"Was ist eigentlich eine gerechte Sprache? Die Sprache ist übernommen, ist gewachsen und da kann ich natürlich auch daran ändern."

Wolf: Was ist eigentlich eine gerechte Sprache? Die Sprache ist übernommen, ist gewachsen und da kann ich natürlich auch etwas daran ändern. Ich kann also immer "liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" sagen, zunächst die Frauen erwähnen und dann die Männer.

Aber einen Text, der fließend in einem Buch sein soll, noch mit Sternchen oder Doppelpunkt zu unterbrechen, stört laufend den Lesefluss. Es gibt Allgemeinbegriffe wie Politiker, Professoren oder Minister. Jetzt sagt man natürlich zu Recht Ministerin. Aber das hat sich inzwischen schon eingebürgert, ohne dass ich es bei allem noch groß hinterfragen muss.

Ich muss auch im Biblischen sehen, dass die Brüder immer auch die Schwestern sind. Dann schreiben wir eben in Zukunft "liebe Schwestern" statt "liebe Brüder". Wir sagen es inzwischen "Liebe Schwestern, liebe Brüder", wir erwähnen beide. Aber im Prinzip ist fratres oder adelphoi im Griechischen ein Sammelbegriff.

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Jesus sei ein Paradebeispiel eines politisch unkorrekten Menschen. Inwiefern?

Notker Wolf OSB

"Wenn wir doch mal die Bergpredigt hernehmen, das sind ja die Trauernden, die Armen, die Friedfertigen, die Machtlosen. Er ist in diesem Sinne ein Antimachtmensch. Die Macht gebührt allein Gott."

Wolf: Er hat sich von den damaligen Pharisäern und Schriftgelehrten nichts sagen lassen. Er hat gerade am meisten ihre Selbstgerechtigkeit kritisiert. Das ist auch heute bei den politisch Korrekten der Fall. Er hat nicht die Reichen und die groß Dastehenden, die Mächtigen gerühmt. Er hat sich auf die Seite der Armen geschlagen und hat denen Hoffnung gegeben.

Wenn wir mal die Bergpredigt hernehmen, das sind die Trauernden, die Armen, die Friedfertigen, die Machtlosen. Er ist in diesem Sinne ein Antimachtmensch. Die Macht gebührt allein Gott. Er hat sich immer zu den Sündern gesetzt, zu den Zöllnern. Die haben auch die Leute betrogen, waren auf der Seite der Römer.

Er hat bei der Ehebrecherin zu den Leuten gesagt: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Und als alle weg waren: Hat denn gar keiner einen Stein geworfen, dann werfe auch ich keinen Stein. Jesus predigt die Vergebung und die Barmherzigkeit und das ist heute nicht mehr der Fall in unserer Gesellschaft.

DOMRADIO.DE: Was sollten wir uns in dieser Hinsicht von Jesus abgucken?

Wolf: Wir sollten von seiner Barmherzigkeit lernen, von seiner Liebe zu dem Menschen und zwar von einer Liebe, die ungebrochen ist. Er lässt sich nicht irritieren.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR