Benedikt XVI. wurde in seiner Heimat kritisch gesehen

Wir waren mal Papst

Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land, heißt es in der Bibel. Das gilt auch für den gestorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI. Die Deutschen taten sich schwer mit Joseph Ratzinger, wie ein Blick zurück zeigt.

Autor/in:
Christoph Arens
Messe auf dem Islinger Feld in Regensburg / © Wolfgang Radtke  (dpa)
Messe auf dem Islinger Feld in Regensburg / © Wolfgang Radtke ( dpa )

Er war der erste Deutsche als Papst nach 482 Jahren. Doch der Gendarmensohn Joseph Ratzinger aus Marktl am Inn, der am 19. April 2005 zum Kirchenoberhaupt gewählt wurde, war bei seinen Landsleuten umstritten.

"Dass ein Deutscher die Nachfolge von Johannes Paul II. antrat, war von historischer Bedeutung für unser Land", ordnete der damalige Bundespräsident Joachim Gauck nach dem Rücktritt Benedikts XVI. im Februar 2013 das Pontifikat des bayerischen Theologenpapstes ein.

Als Papst vier Besuche in Deutschland

Viermal hat Benedikt XVI. die Bundesrepublik besucht: 2005 zum Weltjugendtag in Köln, 2006 seine Heimat Bayern und 2011 zum offiziellen Staatsbesuch in Berlin, anschließend Erfurt und Freiburg.

Im Sommer 2020 entschloss sich der emeritierte Papst überraschenderweise noch einmal zu einer - privaten - Reise in seine Heimat, nach Regensburg. Sein Bruder Georg lag im Sterben.

Bei aller Begeisterung: Der deutsche Papst wurde zuhause besonders kritisch beobachtet. Zugleich wurde das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken im Ausland immer auch als Deutscher gesehen. Schon bei der Papstwahl am 19. April 2005: Während die "Bild"-Zeitung "Wir sind Papst" jubelte, titelten britische Boulevardzeitungen "Panzerkardinal".

"Wir sind Papst" – eine der berühmtesten Schlagzeilen 2005  / © Tobias Kleinschmidt (dpa)
"Wir sind Papst" – eine der berühmtesten Schlagzeilen 2005 / © Tobias Kleinschmidt ( dpa )

Auch bei seinen Besuchen in Israel und Auschwitz stand Benedikt XVI. als "Sohn des deutschen Volkes" unter Beobachtung. Meist allerdings gab es positive Reaktionen - so dass der Philosoph Peter Sloterdijk von einem historischen Einschnitt sprach: "Ein deutscher Name kann wieder ein Integritätssymbol höchsten Niveaus darstellen."

Seit 1981 lebte Kardinal Joseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom. Dabei hat er wahrgenommen, dass seine Landsleute ihn besonders intensiv unter die Lupe nahmen. "Dass es im katholischen Deutschland eine beträchtliche Schicht gibt, die darauf wartet, auf den Papst einschlagen zu können, ist eine Tatsache", hat er erklärt.

Konflikte gab es schon lange vor der Papstwahl: etwa weil Rom, auch auf Betreiben Kardinal Ratzingers, katholische Schwangerenberatung untersagte, die eine straffreie Abtreibung ermöglicht. Deutsche Medien zeichneten das Bild vom Großinquisitor, der Theologen maßregelte, die Befreiungstheologie einzudämmen suchte und die Ökumene behinderte.

Mit der Papstwahl schien zunächst Vieles vergessen. Der bescheiden auftretende Bayer entwickelte einen ganz eigenen Charme, etwa als er auf dem Weltjugendtag in Köln mit einer Million Menschen den wohl größten Gottesdienst in Deutschland feierte. Doch seitdem kühlte sich das Verhältnis wieder ab. So sehr, dass der Kölner Kardinal Joachim Meisner 2009 erklärte, die Deutschen schlügen auf den Papst ein, dass man sich "wirklich schämen muss".

Verhältnis zwischen Berlin und dem Heiligen Stuhl stark belastet

Zu einem Eklat kam es nach der Rücknahme der Exkommunikation der vier Bischöfe der traditionalistischen Piusbruderschaft: Als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Papst 2009 aufforderte, seine Haltung zur Holocaust-Leugnung von Traditionalisten-Bischof Richard Williamson klarzustellen, war das Verhältnis zwischen Berlin und dem Heiligen Stuhl stark belastet. Auch durch die Aufwertung der lateinischen Messe und der damit verbundenen Karfreitagsbitte für die Juden verärgerte der Papst aus Deutschland die jüdische Gemeinschaft.

Richard Williamson (KNA)
Richard Williamson / ( KNA )

Ein Ereignis für die Geschichtsbücher war der Deutschlandbesuch im September 2011. Eine glänzende Rede im Bundestag, große Gottesdienste in Berlin, Thüringen und Freiburg, ein Treffen mit Missbrauchsopfern - vor allem der Besuch an Wirkungsstätten Luthers in Erfurt und die "Entweltlichungs"-Rede in Freiburg boten Stoff für Debatten.

In Freiburg ließ Benedikt XVI. durchblicken, dass ihm der deutsche Katholizismus zu sehr von Geld und Institutionen und zu wenig vom Glauben bestimmt sei. Bei deutschen Protestanten löste sein Besuch im Erfurter Augustinerkloster Enttäuschung aus: Zwar hatte der Papst eine grundlegende, positive Neubewertung der Lutherschen Theologie im Gepäck. Doch sein fataler Satz, dass er kein "ökumenisches Gastgeschenk" mitbringe und theologische Differenzen nicht auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden könnten, wurde als kühle Zurückweisung empfunden.

Missbrauchsskandal in Deutschland

Dann kam seit 2010 der Missbrauchsskandal in der Kirche in Deutschland. In der Folge sank das Vertrauen der Deutschen in ihren Papst dramatisch. Die Tatsache, dass er zuvor ein härteres Durchgreifen gegen Missbrauch durchgesetzt hatte, konnte die Stimmung nicht drehen. Erst als Benedikt XVI. bei mehreren Auslandreisen Opfer traf und deutliche Worte fand, normalisierte sich die Lage ein wenig.

2022, neun Jahre nach seinem Rücktritt, holte Joseph Ratzinger der Missbrauchsskandal noch einmal ein. Ein Gutachten bescheinigte dem ehemaligen Erzbischof von München und Freising Fehlverhalten in vier Missbrauchsfällen. Benedikt XVI. wiederholte seine Entschuldigungsbitte, wollte aber keine persönliche Verantwortung übernehmen.

Das Pontifikat von Papst Benedikt XVI.

"Professor Papst" nannte man ihn: weil seine Ansprachen vor der UNO, im Berliner Reichstag oder im britischen Parlament anspruchsvoll wie Vorlesungen waren. Seine Brillanz veranlasste den Kölner Kardinal Josef Frings, den gerade 35-Jährigen zu seinem Berater beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) zu machen. Dem Abschnitt als Erzbischof von München und Freising (1977-1982) folgte seine jahrzehntelange Bestimmung: als Präfekt der römischen Glaubenskongregation. Am Ende zeigte sich Ratzinger amtsmüde, doch Johannes Paul II. überredete ihn zu bleiben.

Joseph Kardinal Ratzinger wurde am 19. April 2005 vom Konklave zum neuen Papst Benedikt XVI. gewählt (KNA)
Joseph Kardinal Ratzinger wurde am 19. April 2005 vom Konklave zum neuen Papst Benedikt XVI. gewählt / ( KNA )
Quelle:
KNA
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