DOMRADIO.DE: Für Sie beide ist es nun an diesem Sonntag soweit: Nach einem dreijährigen Theologiestudium an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) werden Sie von Weihbischof Ansgar Puff in Euskirchen zum Diakon geweiht. Sie stammen aus dem Bistum Suwon in Südkorea, das südlich von Seoul liegt. Warum dieser weite Weg bis nach Köln?

Donggeon Raphael Kim (Diakonand): Geplant hatte ich dieses Auslandsstudium eigentlich nicht. Aber die Universität in Suwon, wo ich mein Theologiestudium begonnen habe, unterhält gute internationale Beziehungen – auch nach Europa: Neben den Hochschulen und Priesterseminaren von Köln und Freiburg gehören dazu beispielsweise auch die in Rom und Paris. Jedes Jahr schickt unser Regens zwei Seminaristen zu theologischen Studien ins Ausland, weil der wissenschaftliche Standard im Fach Theologie dort einfach besser ist. Und vor drei Jahren wurden eben mein Kommilitone Kiman und ich ausgewählt, was eine große Ehre für uns ist – wir kennen uns schon seit unserer Jugend, tragen aber nur zufällig denselben Nachnamen. In Südkorea laufen das Studium und die Priesterausbildung von Anfang an parallel. Folglich haben wir uns gleich nach dem Abitur 2015 für diesen Weg, Priester zu werden, entschieden.

Kiman Antonio Kim (Diakonand): Die theologische Lehre steht in Deutschland in einer langen Tradition, während die Geschichte des Christentums in unserem Land noch vergleichsweise jung ist, weil wir ein Missionsland sind und eine Evangelisierung erst sehr spät, Ende des 18. Jahrhunderts, stattgefunden hat. Bevor ich nach Deutschland kam, wusste ich so gut wie nichts über die katholische Kirche in diesem Land. Mir war nur bekannt, was Kommilitonen, die in den letzten Jahren hier studiert haben, von ihren Erfahrungen berichtet haben. Hinzu kommt, dass die Kirche von Köln bei uns einen exzellenten Ruf hat; den Menschen hier bedeute ihr Glaube noch etwas, heißt es bei uns.
An der KHKT in Lindenthal, an der schon andere Kollegen aus Suwon studiert haben, erleben wir ausländisch Studierenden eine tolle Willkommenskultur, die es uns von Anfang an leicht gemacht hat, sich in Köln wohl zu fühlen. Diese Hochschule ist sehr familiär, alle sind sehr freundlich, und untereinander haben wir über kulturelle Grenzen hinweg einen guten Draht. Ob Asiaten, Afrikaner oder Europäer – wir sind eine einzige große Familie. Es gibt Studenten aus Angola und Nigeria, aber auch aus China, Indonesien oder von den Philippinen, aus Brasilien, Polen oder Italien – woran sich die Internationalität und weltkirchliche Ausrichtung dieser Ausbildungsstätte ablesen lässt. Das heißt, dass wir in den Seminaren und Vorlesungen auch die je individuell geprägte Meinung unseres Heimatlandes zu weltkirchlichen Themen einbringen, was für alle eine große Bereicherung ist. Hier wird Weltkirche sehr konkret erfahrbar.

DOMRADIO.DE: Obwohl Ihr Land seit 1945 in Nord- und Südkorea gespalten ist und die religiöse Situation in den beiden Staaten sehr unterschiedlich ist, wird Korea vom Vatikan nach wie vor als ein Land angesehen. So liegen Teile des Erzbistums Seoul in Nordkorea und die Bistümer Pjöngjang und Hamhung, beide ebenfalls zu Nordkorea gehörig, werden von südkoreanischen Bischöfen als Apostolische Administratoren verwaltet. Wie erleben Sie die Situation der katholischen Kirche in Ihrer Heimat?
Donggeon Kim: Der Anteil an Katholiken liegt in Südkorea bei zehn Prozent. Das ist vielleicht nicht viel, aber eben auch nicht wenig. Ich komme aus einer nicht sonderlich religiösen Familie, auch wenn meine Mutter katholisch ist. Als ich zehn Jahre alt war, hat sie mich zum ersten Mal mit in die Kirche genommen. Dort hat es mir gut gefallen, weil ich die Gemeinde als sehr zugewandt erlebt habe. Man hat sich gegenseitig unterstützt und geholfen. Da wollte ich gerne dazu gehören. Ich war dann viele Jahre Messdiener.
Mit zwölf Jahren habe ich mich zusammen mit meinem Vater und meinem älteren Bruder taufen lassen. Mit der Taufe kam dann auch zum ersten Mal in mir der Wunsch auf, ebenfalls Priester werden zu wollen, zumal ich meinen Heimatpfarrer, zu dem ich eine gute Beziehung hatte, sehr positiv in dieser Rolle erlebt habe. Er war nicht nur ein sympathischer, sondern auch ein sehr fröhlicher Mann und wurde für mich zum Vorbild. Im Laufe der Zeit hat er mich mit dem, was einen Priester ausmacht, sehr vertraut gemacht, so dass ich mir schon bald gut vorstellen konnte, selbst auch Seelsorger zu werden. Damals habe ich mich gefragt, warum wohl von ihm so viel Freude ausgeht; ob es daran liegen mag, dass er seinen Weg mit Gott geht.

Kiman Kim: Die katholische Kirche in Korea hat neben ihrem Verkündigungsauftrag auch eine wichtige Bedeutung für das Sozialwesen, also das konkrete Zusammenleben der Menschen. Caritas als Haltung und persönliche Überzeugung, nicht als Institution, spielt dabei eine große Rolle. Das heißt, wer gläubig ist, geht nicht nur zum Gottesdienst in die Kirche, sondern besucht auch Kranke, die Nachbarn oder aber auch Menschen, die nichts mit Gott zu tun haben, so dass das Evangelium ganz selbstverständlich im Alltag gelebt wird. Dafür tun sich die Gläubigen in kleinen christlichen Gemeinschaften zusammen – zu zehn oder zwölf Leuten – um ihren Glauben, aber auch den Alltag miteinander zu teilen und zum Beispiel gemeinsam in der Bibel zu lesen. Und wenn jemand in Not ist, dann ist man füreinander da, sorgt und kümmert sich um den anderen.
Auch ich selbst hatte in der Kirche immer eine Anlaufstelle für persönliche Probleme und konnte beobachten, dass es auch anderen, die in Not waren, so erging: dass sie mit allem, was sie bedrückte, in der Kirche ein offenes Ohr fanden. Hier ist der Ort, wo Gott, unser Vater, alle Klage hört und unsere Wunden heilt. So habe ich das jedenfalls erlebt. Und so wie ich damals Ermutigung und Trost erfahren habe, möchte ich auch heute anderen davon etwas zurückgeben. Darin sehe ich meine Berufung zum Priester.
DOMRADIO.DE: Der erste christliche Missionar kam 1785 nach Korea, obwohl die Verbreitung des Christentums verboten war. Koreanische Christen wurden durch die Regierung verfolgt, bis das Land seine "Geöffnete-Tür"-Politik mit westlichen Ländern gegen Ende des 19. Jahrhunderts einleitete. Wie ist die Situation der Christen aktuell? In welchem Umfeld ist Ihre Berufung gewachsen?
Kiman Kim: Aufgewachsen bin ich in einer kleinen Stadt, wo weder der Buddhismus noch das Christentum besonders stark ausgeprägt war. Eine Rolle spielten da eher der katholische Glaube und sein Wirken in die Gesellschaft hinein. Von daher gab und gibt es in Südkorea für Katholiken gute Bedingungen, ihren Glauben authentisch und wirksam zu leben. Aber auch die anderen Religionen können problemlos in der koreanischen Gesellschaft gelebt werden, da gibt es keinerlei Berührungsängste oder Vorbehalte. Nach unserer Verfassung herrscht Religionsfreiheit. In meinem persönlichen Umfeld bin ich immer wieder Priestern der Weltkirche begegnet – mehr als Ordenspriestern – so dass mich ihre Charismen sehr geprägt haben und mich ihr starkes Vorbild schließlich auch selbst zum Priestertum motiviert hat.
DOMRADIO.DE: Nach Ihrer Diakonenweihe kehren Sie beide dann im August nach Korea zurück, wo Sie im Dezember bereits zum Priester geweiht werden. Welche Erfahrungen aus der deutschen Priesterausbildung haben Sie als besonders prägend erlebt und nehmen Sie mit nach Hause?
Kiman Kim: Meine Erfahrungen sind ausschließlich positiv. Was mir auffällt, ist, dass die Gläubigen hier in Deutschland ihre Meinung sehr offen und selbstbewusst äußern. In Korea sind wir sehr vom Konfuzianismus geprägt, das heißt, wir haben großen Respekt vor den Älteren und halten uns mehr zurück. Um es positiv zu formulieren, wir sind sehr gehorsam gegenüber den Entscheidern und Verantwortungsträgern der Kirche. Das ist hier sicher etwas anders: Die Menschen trauen sich mehr, aus ihrem Glauben heraus Stellung zu beziehen und ihre Position gut begründet zu vertreten. Sie sprechen offen und ehrlich über das, was ihnen wichtig ist, äußern ihre Bedürfnisse. Das beeindruckt mich, so dass ich mir davon gerne etwas für meinen zukünftigen Dienst abschauen würde.
Nach diesem Beispiel schwebt mir vor, als Seelsorger Räume dafür zu schaffen, in denen genau das möglich ist: freie Meinungsäußerung – auch bei theologisch kontroversen Themen. Niemand soll gezwungen sein, gegen seine Überzeugung zu leben. Ich wünsche mir Gläubige auf Augenhöhe, die in einen mündigen und angstfreien Dialog mit der Kirchenleitung treten. Was mir darüber hinaus imponiert, ist, dass es viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gemeinden gibt; Laien, die sich mit Herzblut engagieren und viel Mitspracherecht haben. Aber dann auch Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten, die Teil des Pastoralteams sind und zusammen mit dem Pfarrer die Seelsorge am Ort organisieren und verantworten. Bei uns haben Laien viel weniger Kompetenzen, während sich der Priester ausschließlich als Diener der Kirche und der Menschen versteht. Verwaltungsaufgaben und Management stehen dagegen kaum im Fokus.
Donggeon Kim: Die deutschen Priesteramtskandidaten sind sehr viel selbständiger und können ihren Alltag flexibler gestalten, zum Beispiel, was feste Gebetszeiten angeht. In Korea ist uns Seminaristen dagegen eine ziemlich klare Struktur vorgegeben. Wann ich aufzustehen habe, die Laudes bete oder am Abend die Vesper, folgt klaren Regeln. Die Eigenständigkeit, wie ich sie in den letzten Jahren hier in Deutschland erlebt habe, ist mir sehr wichtig geworden. Denn als Priester muss ich ja demnächst auch eigenverantwortlich meinen Tag planen. Und dabei hilft mir, wie ich es hier im Priesterseminar St. Albert erlebt habe.
Und noch etwas: In Bonn-Endenich, wo ich meinen Praktikumseinsatz hatte, gibt es ein sogenanntes "Bibelfrühstück" zu dem immer auch viele ältere Menschen kommen, sich also alle Generationen versammeln, um sich über ihren Glauben auszutauschen. Das hat mir sehr gefallen, und das nehme ich als Anregung ganz sicher auch mit in die Heimat an meinen zukünftigen Wirkungsort.
DOMRADIO.DE: In der deutschen Kirche geht es aktuell viel um Strukturdebatten und angesichts rückläufiger Personalressourcen um die Schaffung großer pastoraler Räume. Auch die Missbrauchsthematik ist stets allgegenwärtig. Viele Menschen zeigen sich davon erschöpft und kehren der Kirche den Rücken. Tangiert Sie das? Wie schauen Sie von außen auf die deutsche Kirche? Und woher beziehen Sie die Kraft, Ihren Weg unbeirrt fortzusetzen?
Kiman Kim: Als Außenstehender fühle ich angesichts dieser schwierigen Situation mit der deutschen Kirche. Ich leide mit den Gläubigen mit und teile mit ihnen ihre Sorge um die Zukunft der Kirche. Auch wenn sie vorrangig eine Glaubensgemeinschaft ist, wird sie sich auch strukturell verändern und den aktuellen Entwicklungen – was zum Beispiel die rückläufigen Personalzahlen angeht – anpassen müssen. Kraft, mich von negativen Einflüssen nicht allzu sehr ablenken zu lassen, beziehe ich immer aus meinem Leben mit Gott.
Donggeon Kim: Natürlich habe ich in den letzten Jahren die Missbrauchsdebatte in Deutschland und auch die Proteste und Demonstrationen gegen die Kirchenleitung mitverfolgt, was mich sehr betroffen gemacht hat. Persönlich hat mich enttäuscht, dass sich die eigenen Mitbrüder gegen Kardinal Woelki gewandt haben. Trotzdem hat das auf meinen eigenen Weg keinen Einfluss genommen, zumal ich mich an dieser Kritik nicht beteiligen will. Mich betrübt aber, dass andere so handeln, für mich selbst blende ich das aus und konzentriere mich auf das Wesentliche: auf das Gebet und meine Gottesbeziehung, die ich im Alltag fruchtbar werden lassen will. Daher versuche ich, meinen Weg allein mit Gott fortzusetzen und meine Ermutigung dazu in der Bibel zu finden.
DOMRADIO.DE: Wissen Sie schon, in welchem pastoralen Feld Sie zuhause in Korea eingesetzt werden wollen?
Kiman Kim: Noch weiß ich nicht, was mein Bischof mit mir vorhat. Mein Wunsch wäre – zumal ich mich für einen Weg als Weltpriester entschieden habe – in der Gemeindepastoral eingesetzt zu werden und in einer Pfarrei mit den Menschen zu leben, für sie da zu sein, ihnen zuzuhören, wenn sie Sorgen haben, und mit ihnen Gemeinschaft zu teilen.
Donggeon Kim: Der Dienst in der Gemeinde wäre auch das, was mich reizen würde, wenn mein Bischof zustimmt. Als Zivildienstleistender habe ich zwei Jahre lang mit behinderten Kindern gearbeitet. Mich um Menschen mit Behinderung zu kümmern, wäre das, was ich mir auch für meinen Dienst als Priester gut vorstellen kann.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.