Bedford-Strohm bilanziert 2018

Rückblick und Vorausblick

Kurz vor dem Weihnachtsfest bilanziert der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, ein schwieriges Jahr, auch für seine Kirche. Ein Jahr voller ethischer Fragen und politischer Entwicklungen.

Heinrich Bedford-Strohm ist EKD-Ratsvorsitzender / © Norbert Neetz (epd)
Heinrich Bedford-Strohm ist EKD-Ratsvorsitzender / © Norbert Neetz ( epd )

epd: Herr Ratsvorsitzender, Weihnachten ist ein Fest der Familie. Sie aber haben an Heiligabend und an den Feiertagen so viele Termine, dass kaum Zeit mit Ihren Angehörigen bleibt. Stört Sie das?

Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland): Wir wissen ja vorher, worauf wir uns einstellen müssen. Das lässt sich planen. Wenn ich an Heiligabend mittags zusammen mit anderen Helfern Menschen, die in Armut leben, Schweinebraten serviere, dann sind meine Frau und meine Söhne dabei. Aber es gibt natürlich auch Zeiten, da sind wir nur als Familie zusammen. Darauf freue ich mich sehr.

epd: 2018 war ein Jahr des politischen Streits. Die Bundespolitik wurde vor allem im Sommer durch die Stänkereien der CSU und die Bayern-Wahl aufgeheizt. Erwarten Sie, dass jetzt Ruhe einkehrt?

Bedford-Strohm: Das politische Klima hat sich schon beruhigt. Ich spüre in Bayern eine deutliche Veränderung: Die Demokraten stehen zusammen, die scharfen Töne haben abgenommen. In Deutschland und gerade im wirtschaftlich starken Bayern haben wir die Chance, ein ökologisches Wirtschaftsmodell zu entwickeln, das nicht auf der Zerstörung der Natur beruht. Das wird man uns in spätestens zehn Jahren förmlich aus den Händen reißen. Alle, die heute eine Transformation der Wirtschaft vorantreiben, handeln nicht nur entlang ethischer Grundorientierungen, sie sind auch besonders klug.

epd: Was erwarten Sie für die Wahlen im nächsten Jahr. Werden die Rechtspopulisten an Zustimmung verlieren?

Bedford-Strohm: Das hoffe ich, und ich erwarte das auch. Gerade für die Europawahl im Mai wünsche ich mir entsprechende Ergebnisse. Derzeit zeigen viele Menschen, die für die Demokratie einstehen, deutlich Flagge. Jene, die aufpeitschen, ohne Lösungen anzubieten, sitzen jetzt auch in den Parlamenten. Da bricht manches von den großen Worten schnell zusammen, davon bin ich überzeugt.

epd: Lassen Sie uns zu einer aktuellen ethischen Frage kommen, die derzeit in Deutschland politisch diskutiert wird: Die Koalition will am Werbeverbot für Abtreibungen festhalten, den Paragrafen 219a aber so ergänzen, dass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und Ärztekammern neutral über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Ein guter Kompromiss?

Bedford-Strohm: Es gibt doch eine große Einigkeit darüber, dass es Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch nicht geben darf. Eine Abtreibung ist eine rechtswidrige, unter bestimmten Bedingungen aber straffreie Handlung. Im Zentrum des ethischen Konflikts stehen die Not der Frau und das Leben eines werdenden Menschen. Einfache Antworten auf diesen Konflikt sind nicht tragfähig.

Frauen muss in dieser Situation geholfen, sie müssen gut beraten werden. Und nach ihrer Entscheidung müssen sie begleitet werden, egal wie die Entscheidung lautet. Und deswegen müssen auch medizinische Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch möglich sein.

epd: Wird das mit dem Vorschlag der großen Koalition erreicht?

Bedford-Strohm: Ich bezweifle, dass eine Gesetzesänderung notwendig ist. Man kann schlicht und einfach organisieren, dass jede Frau verlässlich und gut informiert wird. Aber die Entscheidung über eine Änderung am Gesetz ist am Ende keine Bekenntnisfrage. Entscheidend ist für mich, dass wir am unbedingten Ziel festhalten, die Zahl der Abtreibungen zu minimieren.

epd: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich dafür ausgesprochen, Pränataltests bei Risikoschwangerschaften als Kassenleistung anzuerkennen. Öffnet das nicht das Tor, um regelmäßig die Geburt von Kindern etwa mit Down-Syndrom zu verhindern?

Bedford-Strohm: Genau das wollen wir nicht! Wir verbinden unsere Zustimmung zu Pränataltests als Kassenleistung bewusst mit dem Angebot einer Beratung. Diese Beratung hat aus christlicher Sicht den Lebensschutz zum Ziel. Wir sehen sehr wohl die große Gefahr, dass menschliches Leben nach bestimmten Kriterien aussortiert wird, wenn vorgeburtliche Tests, die ja längst verfügbar sind, ungeregelt genutzt werden. Der einzige Grund, warum wir uns nicht gegen die Einstufung als Kassenleistung ausgesprochen haben, ist der, dass wir Einfluss auf die Bedingungen dieser Tests gewinnen wollen, um genau das zu verhindern: Selektion von Leben.

epd: Die katholische Kirche sieht das anders.

Bedford-Strohm: Im Ziel sind wir uns völlig einig: Wir wollen ungeborenes Leben schützen. Da gibt es viel mehr Konsens zwischen den beiden großen Kirchen, als es oft dargestellt wird. Aus unserer Sicht gelingt der Schutz von Ungeborenen am besten, wenn man verhindert, dass sich Menschen Pränataltests unkontrolliert im Internet bestellen.

epd: An Weihnachten feiern Christen, dass Gott Mensch geworden ist und sich verletzlich im Kind in der Krippe zeigt. Wie verletzlich das Leben ist, haben jüngst die Meldungen über genveränderte Zwillinge aus China gezeigt. Sind die Möglichkeiten der Gentechnik Fluch oder Segen?

Bedford-Strohm: Es kommt ganz darauf an, wie man damit umgeht. Wir haben jetzt schon auf der Gentechnik basierende medizinische Möglichkeiten, die ein absoluter Segen sind, die Leben retten und Menschen heilen. Das kann man nur befürworten. Hier geht es aber um eine Veränderung in der Keimbahn, und das öffnet die Tür zur Menschenzucht. Diese Grenze dürfen wir nicht überschreiten.

epd: Wie ist diese Grenze zu sichern?

Bedford-Strohm: Ich wünsche mir eine breite zivilgesellschaftliche Debatte über solche neuen Technologien. Ich glaube nicht, dass alles, was möglich ist, auch getan werden wird. Wir als Gesellschaft können bestimmen, was sein darf und was nicht.

epd: Ist das nicht zu optimistisch gedacht, dass eine ethische Debatte weltweit Wirkung zeigt?

Bedford-Strohm: Im konkreten Fall hat der chinesische Wissenschaftler nach Bekanntwerden seine Experimente gestoppt, und die Staatsführung hat auch sehr empfindlich reagiert. Was die Weltöffentlichkeit sagt, ist nicht egal. Denken Sie an das menschliche Klonen: Anfang des Jahrtausends haben wir eine breite Debatte geführt, und bis heute ist kein geklonter Mensch bekannt.

epd: Die evangelische Kirche hat in den vergangenen Monaten intensiv über Wege zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt debattiert. Vor wenigen Tagen traf sich der Rat mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Wie ist der Stand?

Bedford-Strohm: Ich sehe überall in der evangelischen Kirche eine große Bereitschaft, schonungslos hinzusehen und aufzuklären. Wir wollen das sehr gründlich machen. Von einer Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung können alle nur profitieren: bei der Aufarbeitung der Fälle, beim Aufruf an alle Menschen, sich zu melden, wenn sie solche Erfahrungen gemacht haben, und bei der Prävention.

epd: Wie arbeiten Sie denn in Zukunft mit Herrn Rörig zusammen?

Bedford-Strohm: Wir haben darum gebeten, dass für die Aufarbeitung gemeinsam mit den Betroffenen klare Leitlinien entwickelt werden. Für alle gesellschaftlichen Organisationen muss es genau definierte Maßstäbe bei der Aufarbeitung geben. Das Grundproblem betrifft alle Bereiche, in denen es Jugendarbeit gibt, wenn auch die Gefahrenquellen unterschiedlich sind. Wir wollen uns gerne helfen und beraten lassen. Deswegen wollen wir unsere Zusammenarbeit verstärken.

epd: Wo liegen die spezifischen Gefahrenquellen in der evangelischen Kirche Ihrer Meinung nach?

Bedford-Strohm: Es muss beispielsweise untersucht werden, ob die partnerschaftliche Kultur in der evangelischen Kirche mit flachen Hierarchien einer der Faktoren gewesen ist, die sexualisierte Gewalt begünstigt haben. Sie kann als Einfallstor missbraucht werden, unter dem Anschein von menschlicher Nähe Grenzen zu verletzen.

epd: Wie wollen Sie Betroffene stärker beteiligen an der Aufarbeitung und dann in einem weiteren Schritt auch entschädigen?

Bedford-Strohm: Das Wort "Entschädigung" würde ich in diesem Zusammenhang nicht verwenden. Für das geschehene Leid kann niemand «entschädigt» werden. «Anerkennungsleistungen» oder «Unterstützungsleistungen» sind da passendere Begriffe. Auch das sind Themen, über die wir noch genauer mit dem Unabhängigen Beauftragten sprechen werden.

epd: Auf der Jahrestagung der evangelischen Kirche im November in Würzburg wurde nicht nur über die Reaktion auf Fälle sexualisierter Gewalt beraten. Auch das Thema Digitalisierung stand auf der Agenda. Kann es Ihrer Meinung nach eine Gemeinde geben, die nur im digitalen Raum existiert?

Bedford-Strohm: Eine Netzgemeinde kann eine Gemeinde, in der man sich von Angesicht zu Angesicht begegnen kann niemals ersetzen. Aber ich schließe nicht aus, dass über einen Austausch im Netz ein Gemeinschaftsgefühl entstehen kann. Trotzdem wäre ich da zurückhaltend. Für mich ist die digitale Gemeinschaft immer nur komplementär zu einer anfassbaren Gemeinschaft.

epd: Können Sie sich ein digitales Abendmahl vorstellen?

Bedford-Strohm: Das fällt mir schwer. Aber wir sollten natürlich offen sein und auf die Kraft des Heiligen Geistes vertrauen. Wer weiß, ob der Heilige Geist nicht auch über die digitalen Kanäle seine frohe Botschaft zu den Menschen bringt.

Das Interview führte Franziska Hein und Karsten Frerichs.

 

Quelle:
epd