Bayrischer Landes-Caritasdirektor blickt auf Amtszeit zurück

"Antidemokratische Stimmungen sorgen mich"

Gut 1,6 Millionen Menschen haben in Bayern jährlich Kontakt mit Einrichtungen der katholischen Caritas. Deren landesweit oberster Vertreter, Prälat Bernhard Piendl, hört nun auf. Was er sich von der Politik wünscht.

Autor/in:
Barbara Just
Logo des Caritasverbands / © Lorenz Lenk (KNA)
Logo des Caritasverbands / © Lorenz Lenk ( KNA )

Zwölf Jahre lang stand Bernhard Piendl an der Spitze des Landes-Caritasverbands Bayern mit seinen rund 6.000 Einrichtungen und Verbänden der katholischen Kirche. 184.000 Mitarbeiter sind dort hauptberuflich tätig. Am 4. Februar wird der aus Regensburg stammende Geistliche 70 und geht in den Ruhestand. Mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach er über bleibende soziale Herausforderungen, aber auch über Hoffnungen und Sorgen angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen.

KNA: Herr Prälat Piendl, wie würden Sie die soziale Lage im Freistaat aktuell beurteilen? Ist sie besser oder schlechter geworden?

Porträtfoto von Prälat Bernhard Piendl / © Caritas Bayern
Porträtfoto von Prälat Bernhard Piendl / © Caritas Bayern

Prälat Bernhard Piendl (Landes-Caritasdirektor von Bayern): Die Situation war 2012 bei meinem Amtsantritt schon durchwachsen und ist es jetzt auch. Viele Fragen, die uns in der Pflege, der Behindertenhilfe oder der Migration umgetrieben haben, sind weiter Thema. Über allem aber steht das soziale Klima.

KNA: Und wie bewerten Sie dieses?

Piendl: Ich bin von Haus aus kein Pessimist und halte daher das soziale Klima für gar nicht so schlecht. Dennoch besteht die Gefahr, dass es kippt; nämlich dann, wenn antidemokratische Stimmungen stärker werden. In einem solchen Fall kann das soziale Gefüge durcheinandergeraten. Das sorgt mich natürlich. Dennoch setze ich auf die Vernunft der Menschen, extremen Positionen widerstehen zu können.

KNA: Wie sieht es bei der Pflege aus?

Piendl: Das Problem des Personalmangels ist nach wie vor nicht gelöst. Es hat sich sogar leicht verschlechtert. In stationären Einrichtungen etwa bleiben auch mal Betten frei, weil das Personal fehlt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle junge Menschen aufrufen, diesen tollen Beruf zu ergreifen. 

Da geht es nicht um Zahlen oder Industrieprodukte, sondern um den Dienst am Menschen. Das ist das Wertvollste überhaupt. Ein Fortschritt ist auf alle Fälle die vom Gesetzgeber verfügte Tariftreueregelung, die für eine tarifgerechte Bezahlung der Pflegekräfte sorgt. Übrigens etwas, das für die Caritas schon immer selbstverständlich war.

Prälat Bernhard Piendl

"Das Problem des Personalmangels ist nach wie vor nicht gelöst. Es hat sich sogar leicht verschlechtert."

KNA: Im September warnten Sie die Politik, mit fremdenfeindlichen Tönen Wählerstimmen gewinnen zu wollen. Gerade ist "Remigration" zum Unwort des Jahres gewählt worden. Welche Aufgabe hat in solchen Zeiten die Caritas?

Piendl: Hinter diesem Begriff steht eine unerträgliche Denkweise. Ich bin aber überzeugt, dass diese nur die Spinnerei von wenigen ist; aber auch da gilt es aufzupassen. Mit gefällt die Art nicht, wie in der Politik derzeit mit dem Thema Migration und Asyl umgegangen wird. Beides läuft nur noch unter Schlagworten wie "Wir sind überfordert", "Es kommen zu viele" oder "Die Abschiebung muss schneller gehen". 

Dabei wird vergessen, warum es in Deutschland das Recht auf Asyl gibt und wir uns der Genfer Flüchtlingskonvention angeschlossen haben, nämlich um Menschenleben zu retten. Deshalb muss auch der Blickwinkel jener der Menschen eingenommen werden, die ihr Land verlassen haben.

KNA: Was sollte sich weiter ändern?

Piendl: Flüchtlingspolitik darf nicht nur noch von Abschieberhetorik dominiert werden. Mich ärgern pauschale Urteile über Migranten, die angeblich nur von unserem Sozialsystem profitieren wollten, oder über Empfänger sozialer Transferleistungen, die zu faul zum Arbeiten seien. Solches Reden ist hoch gefährlich und falsch. Hört mehr auf die Caritas! Unsere Mitarbeiter sind bei den Menschen vor Ort und haben Kontakt mit ihnen. 

Deshalb mein Appell an die politisch Verantwortlichen: Informiert euch bei uns und trefft dann eure Entscheidungen. Aber lasst euch nicht verführen, ein bisschen von dem zu übernehmen, was gewisse Kreise sagen, um so Wählerstimmen zu gewinnen. Das ist der falsche Weg.

KNA: Die Kirchen verlieren Mitglieder. Das bekommt auch die Caritas mit ihren Fachverbänden zu spüren. Was heißt das für die Zukunft?

Eine Frau bei einer Adventsfeier für Wohnsitzlose in der Caritas City Station in Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Eine Frau bei einer Adventsfeier für Wohnsitzlose in der Caritas City Station in Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )

Piendl: Die Caritas erbringt Dienstleistungen, die vom jeweils zuständigen Kostenträger bezahlt werden; das ist der größte Teil unserer Arbeit. Wo dies nicht der Fall ist, ermöglicht die Kirchensteuer unsere Unterstützung, etwa in der Obdachlosenhilfe oder in der allgemeinen sozialen Beratung. 

Auch jene Dienste werden damit finanziert, die Familien bei Erziehungsproblemen, Konflikten oder Überforderung bei der Pflege helfen. Da stehen wir den Menschen zur Seite. Diese Basis-Hilfen würden wegfallen, wenn die Kirchensteuer fehlt.

KNA: In Ihrer Amtszeit haben Sie fünf Sozialministerinnen und zwei Ministerpräsidenten erlebt. Wer hatte am ehesten ein Ohr für soziale Belange?

Piendl: Da muss ich jetzt diplomatisch sein. Ich würde deshalb so formulieren: Dass die aktuelle Sozialministerin Ulrike Scharf stellvertretende Ministerpräsidentin geworden ist, sehe ich als Aufwertung der Sozialpolitik in Bayern.

KNA: Haben Sie das Gefühl, mit Ihren Anliegen gehört zu werden?

Piendl: Ja. Der Austausch mit dem Sozialministerium ist schon sehr intensiv. Das war auch in der Pandemie so, damals zudem mit dem Gesundheitsministerium. Kaum ein Tag verging, an dem wir nicht mit der Politik im Gespräch waren. Aus unserer praktischen Erfahrung konnten wir da wichtige Impulse geben. Diese flossen in die Allgemeinverfügungen ein, die wir unsererseits schnell an die Einrichtungen weitergaben. 

Die Corona-Zeit war neben der Flüchtlingspolitik unsere größte Herausforderung. Ich kann nur dankbar darauf schauen, dass unsere Leute am Krankenbett, in der Pflege, bei den Behinderten und bei den Kindern geblieben sind.

KNA: Sie können also Einfluss nehmen?

Piendl: Wir sind uns sogar sehr oft mit dem Sozialministerium einig, was zu tun ist, etwa in Bezug auf die Kindergärten oder die Behindertenhilfe. Doch dann stoßen wir bei der Finanzierung gemeinsam an die Grenzen des Machbaren.

KNA: Wenn Sie einen Wunsch an den bayerischen Ministerpräsidenten frei hätten, wie würde der lauten?

Piendl: Dass er in all seinen politischen Äußerungen dem Sozialen mehr Raum gibt. Dessen hohen Wert als Kitt für unsere Gesellschaft sollte er deutlicher hervorheben. Und noch einmal: Bitte keine Pauschalurteile über Menschen. Jedes Schicksal ist individuell.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
KNA