Autor Driessen blickt auf die 2.000-jährige Geschichte Kölns

Köln ist und bleibt eine europäische Stadt

"Wenn man nicht gerade Domblick hat, sieht es in Köln aus wie in Castrop Rauxel". Der Autor und Journalist Christoph Driessen ist im Ruhrgebiet aufgewachsen. Den Charme der Heiligen Stadt Köln musste er sich erst erarbeiten.

Autor/in:
Johannes Schröer
Köln mit Groß Sankt Martin / © BalkansCat (shutterstock)
Köln mit Groß Sankt Martin / © BalkansCat ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie und ihre Frau Barbara sind im Ruhrgebiet aufgewachsen. Sie sind also gar kein waschechter Kölner. Was hat sie denn motiviert, eine Geschichte der Stadt Köln zu schreiben?

Buchcover / Köln. Geschichte einer europäischen Stadt / © Jenny Meyszner (Greven)
Buchcover / Köln. Geschichte einer europäischen Stadt / © Jenny Meyszner ( Greven )

Dr. Christoph Driessen (Journalist. Mit seiner Frau Barbara hat er das Buch "Köln, Geschichte einer europäischen Stadt" geschrieben): Das war am Anfang für mich absolut nicht naheliegend. Ich komme selbst aus dem Ruhrgebiet, habe sehr lange im Ausland gelebt und dann verschlug es uns hierher. Wenn man hier nicht gerade Domblick hat, dann sieht es hier aus wie in Castrop-Rauxel. Mich hat aber schnell fasziniert, dass sich hinter dieser Fassade der Normalität diese ungeheure 2.000-jährige Geschichte der Stadt verbirgt. Und die ist überall spürbar. Wenn man in der Tiefgarage unterm Dom ist, dann bricht da diese Kölner Stadtmauer aus dem Beton hervor. Wenn man über die Hohe Straße geht, dann ist das immer noch dieselbe Straßenführung wie zur Zeit der Römer. Das kann natürlich kein Tourist ahnen, der da entlang geht. Oder bei Sankt Maria im Kapitol ist der Kapitolstempel noch im Namen enthalten. 

DOMRADIO.DE: 2.000 Jahre Stadtgeschichte gibt es in keiner anderen deutschen Großstadt. Wie findet man da für ein Buch einen Rahmen, um diese 2.000 Jahre Kölner Geschichte zu erzählen? 

Driessen: Der rote Faden war für uns das Internationale. Deswegen haben wir das in der Neuauflage des Buches mit dem Untertitel "Geschichte einer europäischen Stadt" noch deutlicher gemacht. Das unterscheidet Köln von anderen Metropolen. Schon als römische Stadt war Köln in einen ganz großen internationalen Kontext eingebunden. Die römischen Städte waren alle nach dem gleichen Muster angelegt: immer mit der Badeanstalt, mit den Arenen, der Verwaltung, der politischen Machtstruktur. Insofern hatte Köln damals mit einer römischen Stadt in Nordafrika oder im Nahen Osten mehr gemein als mit der gegenüberliegenden Rheinseite, denn das war Barbarenland.

Dr. Christoph Driessen / © Greven Verlag
Dr. Christoph Driessen / © Greven Verlag

Oder wenn man Köln als die Handelsmetropole des Hochmittelalters, das heilige Köln, betrachtet: In vielen Büchern wird dann völlig zu Recht in Köln das Sakrale und Klerikale betont. Aber Köln war in erster Linie eine Handelsmetropole, die mit Städten in Burgund viel mehr zu tun hatte als mit anderen deutschsprachigen Städten.

Heinrich Böll, der das unzerstörte Köln vor dem Krieg noch erlebt hat, hat gesagt, er habe sich in Antwerpen oder Gent an Köln erinnert gefühlt. Da habe es genauso ausgesehen, wie er Köln vor dem Krieg in Erinnerung gehabt habe. Köln war quasi eine Stadt aus diesem niederländischen Raum. Später war es wiederum für 20 Jahre eine französische Stadt. Das ist das absolut Faszinierende, Interessante, was Köln von anderen deutschen Metropolen unterscheidet. 

DOMRADIO.DE: Blicken wir noch einmal zurück ins römische Imperium. Köln war eine Vielvölkerstadt. Wer hat da alles in Köln gelebt? 

Driessen: Das war ja allen römischen Städten eigen. Nehmen wir eine Stadt wie York, in England, am nördlichen Rand des römischem Imperiums. Da lebten Menschen aus Syrien und vielen anderen Ländern. Die Elite im römische Imperium war absolut flexibel, die hat sich hin und her bewegt. Das ist vergleichbar mit der heutigen Europäischen Union, wo wir uns auch überall ansiedeln und niederlassen können. 

Kaiserin aus Köln / Büste Agrippina / Kölner Stadtmutter / © Wolfgang Sauber (Greven)
Kaiserin aus Köln / Büste Agrippina / Kölner Stadtmutter / © Wolfgang Sauber ( Greven )

DOMRADIO.DE: Was die historische Internationalität von Köln betrifft, lässt sich gut eine Brücke in die heutige Zeit schlagen. 40 Prozent der Kölnerinnen und Kölner haben heute einen Migrationshintergrund. Und das prägt die Stadt, oder? 

Driessen: Absolut. Es leben Menschen aus 180 Nationen in Köln mit 150 verschiedenen Religionen. Das ist nicht weniger als in London. Und das wird ja auch in den kölschen Liedern immer wieder zurecht besungen. Heute ist natürlich auch eine deutsche Stadt wie Berlin eine absolute Weltmetropole. Aber Köln ist das auch in anderen historischen Epochen schon ganz stark gewesen. Das macht Köln einzigartig in Deutschland. 

DOMRADIO.DE: 1973, davon erzählen Sie in Ihrem Buch, arbeiteten bei Ford 12.000 Türken. Das ist enorm. Dabei waren die Türken hier zu Anfang sehr fremd. 

Driessen: Die Türken wurden damals in Deutschland als Fremdkörper wahrgenommen. In den letzten Jahren richten wir endlich den Blick verstärkt darauf, wie es für die türkischen Menschen gewesen ist, die damals mit großen Hoffnungen nach Deutschland kamen. Ich zitiere aus dem Bericht eines türkischen Zeitzeugen, der sagt: Ich hatte mir vorgestellt, dass wir in München, wo wir ankamen, von einer deutschen Musikkapelle freudig empfangen werden und tatsächlich war das dann ein Keller. Wir sind in diesen Keller quasi abgeführt worden. Da muss man sich wirklich wundern, dass viele trotz dieser Umstände geblieben sind und dann trotzdem hier heimisch geworden sind. 

DOMRADIO.DE: Sie verfolgen das in Ihrem Buch auch in der überarbeiteten zweiten Auflage. Da gehen Sie noch einmal an Orte, die Sie schon für die erste Buchauflage vor zehn Jahren genauer beschrieben haben. Sie erzählen von ihren Eindrücken in der Kölner Keupstraße, wo sehr viele Türken wohnen.

Driessen: Ich lebe mittlerweile seit knapp 20 Jahren in Köln und die Keupstraße ist in der Zeit viel offener geworden. Wenn man heute vor einem Geschäft dort stehen bleibt, wird man sofort angesprochen. Insofern haben die Nazi-Terroristen mit ihrem rechtsextremen Nagelbombenanschlag 2004 ihr Ziel absolut nicht erreicht. Sie wollten die Gesellschaft spalten, sie wollten Gruppen gegeneinander aufhetzen. Das ist nicht passiert. Im Gegenteil, in Köln hat das noch weiter zur Integration beigetragen. 

DOMRADIO.DE: Stichwort Integration. 1965 ist in Köln etwas Erstaunliches passiert. Im Kölner Dom haben Muslime zum Ende des Ramadan gebetet. 

Driessen: Das hat mich auch überrascht, genauso wie die Tatsache, dass der Dom seine Tür für Muslime geöffnet hat, damit sie dort beten konnten. Also da war die Kirche offenbar vorne mit dabei. 

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt denn die katholische Kirche für Köln? Schließlich ist Köln eine Heilige Stadt. Wie sehr prägt das die Stadt? 

Driessen: Das hat die Stadt ganz wesentlich geprägt. Der Erzbischof war der Grund für den Aufstieg Kölns zur Handelsstadt im Mittelalter. Der Erzbischof hat die Verbindung etwa zum englischen Königshaus geschaffen. Der gesamte deutsche Englandhandel wurde zeitweise über Köln abgewickelt. Für einen besonderen wirtschaftlichen Aufschwung haben auch die Reliquien der Heiligen Drei Könige gesorgt, die Erzbischof Rainald von Dassel nach Köln geholt hat. Die Reliquien haben ganz wesentlich zum Aufstieg Kölns beigetragen, weil Köln dann eine ungeheure Bedeutung als Pilgerstätte gehabt hat – vergleichbar mit Jerusalem, Santiago de Compostela oder Rom. 

DOMRADIO.DE: "Köln, Geschichte einer europäischen Stadt", so heißt Ihr Buch. "Köln ist und bleibt eine europäische Stadt par excellence und sollte dies noch viel stärker auch nach außen hin betonen", schreiben Sie. Warum und wie? 

Driessen: Weil das ein Alleinstellungsmerkmal ist. Das bleibt zurzeit in Köln auf der Strecke. Das Römisch-Germanische-Museum ist schon seit vielen Jahren geschlossen und wird es auch noch viele Jahre bleiben. Die neue Kölner-Mitte, also quasi der Neubau des kölnischen Stadtmuseums direkt neben dem Römisch-Germanischen-Museum, ist sogar ganz begraben worden.

Römische Hafenstraße in Köln / © Reinhard Matz (Greven)
Römische Hafenstraße in Köln / © Reinhard Matz ( Greven )

Köln sollte viel stärker auf seine Geschichte setzen. Viele Touristen kommen nur für einen Tag nach Köln und schauen sich den Dom an, um dann gleich in die Fußgängerzone Hohe Straße zu gehen. Diese Touristen könnte man über die Via Culturalis, einem historischen Kulturweg, zum Jüdischen Museum und weiter zum Wallraf-Richartz-Museum und zu St. Maria im Kapitol locken. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie auch das Gefühl, dass Köln inzwischen etwas sensibler wird, was die enorme Geschichte der Stadt betrifft? Die alte mittelalterliche Stadtmauer in einem Parkhaus vor dem Dom zu verstecken, wo sie vergammelt, so etwas würde man heute nicht mehr machen, oder?  

Driessen: Ich weiß nicht, ob die Stadt so viel sensibler wird. Ich kann noch nicht erkennen, dass das wirklich eine Priorität hat, wenn man zum Beispiel über den Hochbau spricht, also über die Hochhäuser, die in Köln gebaut werden sollen, um das Wohnungsproblem zu lösen. Ich bin radikal dagegen, denn eines hat sich in Köln auf wunderbare Weise erhalten: das ist die einmalige mittelalterliche Skyline – mit dem Dom, der alles überragt, darunter kommen dann die Turmspitzen der romanischen Kirchen und darunter die Giebelhäuser der Kaufmannsresidenzen. Diese Skyline muss unbedingt erhalten bleiben und darf nicht durch Hochhäuser verschandelt werden. 

DOMRADIO.DE: Das letzte Kapitel ihres Buches heißt "Wie geht es weiter? Kölns Zukunft?" Und da behaupten Sie und das ist doch sehr kühn, dass Köln unendlich mehr Gemeinsamkeiten mit Düsseldorf habe als mit dem Köln vor 100 Jahren. 

Driessen: Das ist eine Passage im Buch, in der ich mich dagegen richte, diese furchtbare Köln-Tümelei zu sehr zu betonen. Das darf man nicht übertreiben. Wenn man einen Kölner in die Stadt von vor 100 Jahren zurückversetzen würde, dann würde der Köln nicht wiedererkennen. Der würde sagen, oh, das ist ja eine völlig andere Stadt mit einer völlig anderen Mentalität der Menschen, hier finde ich mich nicht mehr zurecht. In dieser Welt komm ich nicht mehr klar. Im Vergleich dazu sind Kölner und Düsseldorfer heute eben doch nicht so unterschiedlich. 

DOMRADIO.DE: Und wie geht es denn weiter? Wie sieht Kölns Zukunft aus? 

Driessen: Historiker sind sehr schlecht darin, die Zukunft vorherzusagen. Wir haben uns im letzten Kapitel auf einige Vorhersagen beschränkt, die, würde ich sagen, unstrittig sind. Es wird zum Beispiel wärmer. Darüber sind sich alle einig. Deswegen gibt es ja auch immer mehr Trinkwasserbrunnen. Und Köln wird wachsen, aber das wird sich in Grenzen halten. Was sich mit Sicherheit erhalten wird, ist das Kosmopolitische. Das ist Köln nicht mehr zu nehmen. Das wird sich eher noch verstärken. 

DOMRADIO.DE: Und eine wie auch immer geartete Identifikation mit dem Kölner Dom wird auch immer bleiben. 

Driessen: Die ist ja sowieso immer da, egal, welcher Religion oder Ethnie man angehört. Wenn man aus dem Urlaub zurückkommt und die Domspitzen sieht, dann hüpft das Herz, dann bekommt man Gänsehaut und dann weiß man, jetzt ist man wieder zu Hause. 

DOMRADIO.DE: So lässt sich Köln auch zusammenfassen: Der Dom, der Karneval und der Effzeh, mehr braucht es doch nicht, oder? 

Driessen: Absolut.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!