Austritte sorgen für neuen Schock in katholischer Kirche

Kette von Hiobsbotschaften

Den Kirchen laufen immer mehr Mitglieder davon. Neuerdings erfasst der Frust auch Teile ihres Managements. Über Rücktritte, Reformen und die Rolle von Päpsten - und warum der Bundespräsident eine "Gardinenpredigt" hält.

Autor/in:
Thomas Winkel und Joachim Heinz
Piktogramm einer Kirche, daneben die Worte Gehen und Bleiben / © Julia Steinbrecht (KNA)
Piktogramm einer Kirche, daneben die Worte Gehen und Bleiben / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die Hiobsbotschaften rund um die katholische Kirche reißen nicht ab. Nach einem mauen Katholikentag sorgen jetzt die neuen Austrittszahlen für einen Schock.

Sie sind selbst im Vergleich zum bisherigen Negativrekord nochmals sprunghaft gestiegen. "Die Zahlen des Jahres 2021 zeigen die tiefgreifende Krise, in der wir uns als katholische Kirche in Deutschland befinden. Es ist nichts schönzureden", erklärt Bischof Georg Bätzing für die deutschen Bischöfe.

Nachbeben in Folge des Missbrauchsskandals

Die Nachbeben in Folge des Missbrauchsskandals setzen sich also trotz aller Reformversuche immer heftiger fort.

Die Bistümer in Deutschland stellen ihre Missbrauchsgutachten unabhängig voneinander vor und lösen somit alle paar Monate neue Negativschlagzeilen aus. Ex-Papst Benedikt XVI. muss unter Druck eine falsche Aussage einräumen und spricht von einem "redaktionellen Versehen".

Papst Franziskus küsst die Hand des emeritierten Papstes Benedikt XVI. (l.) (Archiv) / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus küsst die Hand des emeritierten Papstes Benedikt XVI. (l.) (Archiv) / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Der amtierende Papst Franziskus kritisiert zunehmend eindeutig das Reformprojekt der katholischen Kirche in Deutschland. Mit diesem sogenannten Synodalen Weg will sie das ramponierte Vertrauen ja zurückgewinnen, doch bisher wirkt die Aktion kaum über sich selbst hinaus.

Frust bei aktiven Gemeindemitgliedern

Der Frust frisst sich bis in den Kern der Gemeinden, selbst langjährig Aktive treten aus. Neu ist, dass "Fremdschämen" und Verdrossenheit offenbar auch vor einem Teil der Leitungsebene, wie Stadtdechanten, nicht mehr Halt machen.

Mehrere Generalvikare, immerhin die mächtigsten Männer der Kirchenverwaltung, haben wohl auch aus diesem Grund ihren Hut genommen. Andreas Sturm aus Speyer erklärte zu seinem Rücktritt im Mai: "Ich habe im Lauf der Jahre Hoffnung und Zuversicht verloren, dass die römisch-katholische Kirche sich wirklich wandeln kann."

Ähnlich sein langjähriger Münchner Amtsbruder Peter Beer. Er habe bei der Aufarbeitung des Missbrauchs gegen die "Täterschützer" keine Chance gehabt, bekannte er kürzlich mit Blick auf seinen Rückzug 2020: "Ich konnte den Apparat letztlich kaum ändern." Mitte Juni erschütterte die mutmaßliche Selbsttötung eines hohen Kirchenmannes das Bistum Limburg - nach einer Anhörung zu Vorwürfen "übergriffigen Verhaltens".

Blick in die Erzbistümer München und Köln

Nach alledem nehmen auch Bischöfe Wörter wie "fassungslos" und "Schock" in den Mund. Eine einst mächtige Glaubensgemeinschaft derzeit fast in Schockstarre. Nicht zuletzt durch Hänge- und Zitterpartien in den großen Erzbistümern Köln und München.

Kardinäle Marx und Woelki (KNA)
Kardinäle Marx und Woelki / ( KNA )

Auch der dortige Kardinal Reinhard Marx bot vor gut einem Jahr seinen Rücktritt an, sah die Kirche da an einem "toten Punkt" - und schob hinterher, dass dieser zum Wendepunkt werden könne. Diesen Rücktritt lehnte Papst Franziskus praktisch im Handumdrehen ab. Ganz anders verfährt er im Erzbistum Köln, das in einer Krise steckt und zum Leidwesen mancher Bischöfe ihre Diözesen mitzieht.

Franziskus hat nach eigenen Worten den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki um ein Rücktrittsschreiben gebeten - und, salopp gesagt, wedelt der Pontifex damit öffentlich durch die Luft: "Ich habe sein Rücktrittsgesuch in der Hand", verriet der Papst in einem Interview. So bleibt auch im mitgliederstärksten deutschen Bistum vieles im Nebel.

Bundespräsident warnt

In dieser Großwetterlage warnt ausgerechnet ein Mann des Staates Bischöfe und Gläubige vor innerkirchlicher Nabelschau. "Die Kirchen sollten aufhören, vor lauter Angst vor ihrem eigenen Bedeutungsverlust zu viel nur um sich selbst zu kreisen", sagte Frank-Walter Steinmeier vor wenigen Tagen in Berlin. Und fügte nach dieser Gardinenpredigt hinzu: "Die Menschen wollen eine moderne, eine aufgeschlossene Kirche, die an ihrem Alltag teilnimmt, die sich ihren täglichen Problemen widmet."

Bundespräsident Steinmeier / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bundespräsident Steinmeier / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Vor Ort geschieht das immer noch in vielen Gemeinden, öffentlich meist wenig beachtet. Vor allem viele Frauen halten diese Basisarbeit in Schwung: Kinderbetreuung, Suppenküche für Bedürftige, Sprachkurse für Geflüchtete. Und selbst beim katholischen Arbeitsrecht kommen Dinge in Bewegung, die bis vor kurzem noch undenkbar schienen.

Auf dem Tisch liegt ein Entwurf, nach dem künftig "insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre" der Beschäftigten keinen Anlass mehr für Entlassungen bieten. Bislang konnte etwa ein Dienstverhältnis gekündigt werden, wenn jemand eine homosexuelle Partnerschaft einging oder nach einer Scheidung erneut auf dem Standesamt heiratete.

Keine Änderung von heute auf morgen

Doch selbst überfällige Reformen werden den Wind nicht von heute auf morgen drehen. Hinter einem Austritt steht meist ein langer Prozess und die Gründe sind höchst verschieden: von Kritik am Umgang mit Missbrauch und Macht, über das verstaubtes Kirchenimage bis hin zu einer simplen Kosten-Nutzen-Rechnung ("nutze die Angebote eh nicht").

Bischof Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht (KNA)
Bischof Georg Bätzing / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Dagegen sieht Steinmeier die Kirchen auch künftig gefordert, wenn "selbstgemachte Weltbilder" an Grenzen stoßen: "Wo es um die alten und immer neuen Fragen geht, nämlich worauf wir uns im Leben und im Sterben verlassen können, da ist Zugewandtheit gefragt und eindeutige, verstehbare Botschaft."

Bischof Georg Bätzing formuliert es so: Ohne Gottesdienste, Glaubensangebote und Caritas-Dienste verlöre das Miteinander an Tiefe und wäre die Gesellschaft ärmer. "Ohne das große Engagement für die Menschen an den Rändern, besonders die Geflüchteten und die vom Krieg Betroffenen, wäre die Welt noch trauriger." Bätzing plädiert daher bei aller Kritik für einen weiten Blick: "Ich möchte dafür werben, das Mehr, den Gewinn, das Plus von Kirche zu sehen."

Statistik der Deutschen Bischofskonferenz für 2021

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehört weniger als die Hälfte der Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen an. Die katholische Kirche zählte im vergangenen Jahr 21.645.875 Mitglieder, wie aus der Statistik der Deutschen Bischofskonferenz hervorgeht. Das entspricht rund 26 Prozent der Bevölkerung. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte bereits im März ihre Statistik veröffentlicht. Demnach zählte sie 19,72 Millionen Mitglieder, was einem Anteil von 23,5 Prozent entspricht.

Logo der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf einem Schild neben dem Eingang zum Sekretariat der DBK / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Logo der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) auf einem Schild neben dem Eingang zum Sekretariat der DBK / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA