Ausstellung mit Fotografien aus Tschernobyl

Heimat in der atomaren Sperrzone

Das zeitliche Zusammentreffen ist unheimlich. Während die Welt fassungslos auf die zerstörten Atomkraftwerksruinen von Fukushima schaut, wirft eine neue Ausstellung im "Raum für Fotografie" der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen einen intensiven Blick auf den Ort, der noch bis vor einer Woche als alleiniger Inbegriff des Supergaus der Atomkraft galt: Tschernobyl.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Die Aufnahmen des russischen Fotokünstlers Andrej Krementschouk porträtieren Menschen, deren Wunsch, ihrer Heimat treu zu bleiben, größer ist als die Angst vor Radioaktivität und Krankheit.



Geschätzte 1.000 Menschen leben in der offiziell verbotenen 30-Kilometer-Zone rund um den havarierten Atomreaktor. "Die Ausstellung erzählt vom Alltag dieser Menschen", so Krementschouk bei der Eröffnung der bis Ende Juli gezeigten Schau mit rund 80 großformatigen Bildern. Die Menschen aus der Sperrzone lassen den in Russland geborenen, aber seit Jahren in Deutschland lebenden Fotografen nicht los. Seit 2008 ist er immer wieder vor Ort, durchstreift die Geisterstadt Prypjat, wo zum Zeitpunkt der Katastrophe 40.000 Menschen wohnten.



Fotos zeigen einen verwüsteten Klassenraum, ein Luxusrestaurant, ein im grauen Winternebel verschwindendes, seit 25 Jahren stillstehendes Riesenrad. "Die Menschen liebten ihre Stadt, noch drei Jahre nach der Katastrophe hatten sie die Hoffnungen, die Radioaktivität einfach abwaschen zu können und zurückzukommen", so Krementschouk. Ein Irrglaube. Prypjat wird nie wieder bewohnt werden.



Katastrophentourismus

Heute durchstreifen nur illegale Altmetallhändler die Stadt und reißen Heizkörper aus den verwüsteten Gebäuderuinen. Mit staatlicher Genehmigung der ukrainischen Behörden können sich westliche Touristen gegen Zahlung harter Dollars auf speziellen Katastrophentourismustouren durch die Stadt in Sichtweite des unter dem gespenstischen, mittlerweile baufälligen Stahlbetonsarkophag liegenden Reaktors fahren lassen. In der einen Hand den Geigerzähler, in der anderen die Digitalkamera.



Mehr als die verlassenen Städte interessiert Krementschouk aber das Leben der ländlichen Bevölkerung, die trotz Strahlen ihre Heimat nie verlassen wollte. Eine porträtierte Frau erzählt ihm, dass sie nur zwei Tage nach der Räumung auf Schleichwegen wieder in ihre zwei Kilometer vom Reaktor entfernte Hütte zurückkehrte. "Sie konnte ihre Tiere und die Gräber ihrer Familie nicht zurücklassen." Sie und ihr Ehemann - mittlerweile über 70 Jahre alt - leben bis heute dort und ernähren sich ausschließlich von selbst angebautem Gemüse, wie fast alle Rückkehrer. Der nächste Supermarkt ist weit entfernt außerhalb der Sperrzone.



Nähe zu den Porträtierten

Die Stärke der Fotos ist eine spürbare Nähe zu den Porträtierten. Es gelingt Krementschouk, eine Beziehung aufzubauen. Die Menschen nehmen ihn mit in ihre ärmlichen Küchen und Wohnzimmer, sie ermöglichen ihm, sie gemeinsam mit den geliebten Hunden oder Pferden zu zeigen. Eine Frau schreit mit ausgebreiteten Armen ihre Trauer und ihr Leid heraus, dass ihr Geburtshaus und ihr Heimatdorf nicht mehr existieren.



Innerhalb des Sperrgebiets leben vor allem Alte. In der letzten Schule vor dem Sperrzaun begleitet der Fotograf drei Tage lang den Alltag von Kindern. Zwei Jungen tollen ausgelassen im radioaktiven Wasser einer Schleuse eines kleinen Flusses herum, ein Junge mit mutmaßlich wegen der Radioaktivität missgebildeter Hand durchstreift mit Krementschouk die Wälder. "Die Gesundheitsgefahr wird von den meisten schlicht ausgeblendet. Sie haben sich dafür entschieden, hier zu leben, also tun sie das einfach."



Ausstellungskurator Thomas Schirmböck sieht eine dramatische Koinzidenz der Ausstellung, des 25. Tschernobyl-Jahrestags und der Katastrophe von Fukushima. Wer sich auf die Fotografien Krementschouks einlässt, hat zwangsläufig die Bilder aus Japan im Hinterkopf. "Vielleicht sehen wir hier, was im schlimmsten Fall Japan in den kommenden Jahrzehnten droht", sagt Schirmböck.