Auslandsseelsorger Haska berichtet aus Kiew

"Ich bin in vollem Ornat dazwischengegangen"

In der Ukraine droht der Ausnahmezustand. Der deutsche evangelische Pfarrer Ralf Haska erzählt im domradio.de-Interview wie es ist, Demonstranten und Polizisten mit Suppe zu versorgen.

Pastor Ralf Haska in Kiew / © dpa (dpa)
Pastor Ralf Haska in Kiew / © dpa ( dpa )

domradio.de: Sie wohnen mit Ihrer Familie nur fünf Minuten vom Justizministerium entfernt, das die Demonstranten bis gestern besetzt hatten. Hatten Sie eine ruhige Nacht?

Haska: Ich hatte eine ruhige Nacht und ich denke auch, Kiew hatte eine ruhige Nacht. Ich war ja heute Morgen schon um sechs Uhr dreißig schon in Kiew unterwegs. Es war sehr ruhig und es kam auch in der Nacht zu keinerlei weiteren Auseinandersetzungen.

domradio.de: Auf der Homepage Ihrer Kirchengemeinde gibt es ein Foto, da stellen Sie sich zwischen die Demonstranten und die Regierungstruppen. Wie gefährlich ist für Sie so etwas?

Haska: Ich werde das oft gefragt, ich weiß es nicht. Ich denke, es wird schon eine gewisse Gefährlichkeit dabei sein, weil man nie weiß, wie die Seiten reagieren, die man auseinanderbringen möchte. Ob sie Respekt haben, ob sie das einsehen, was man sagt oder ob sie einfach weiter aufeinander losgehen wollen. Ich weiß es nicht. Aber in dem Moment, wo das eben nötig ist, muss man handeln. Also das ist ja genau vor meiner Kirche passiert, genau vor der Tür sozusagen, und ich kann ja da nicht einfach so stehenbleiben und nur zuschauen, vielleicht noch die Videokamera draufhalten. Da muss man einfach helfen, wenn man es kann und wenn man die Möglichkeit hat. Und ich hab eben gehofft, dass man einem Geistlichen gegenüber, ich bin ja in vollem Ornat dazwischengegangen, dass man da einfach ein Stück Respekt hat. Gott sei Dank und mit Gottes Hilfe ist das auch gelungen.

domradio.de: Jetzt gibt es ja einige Entwicklungen in dem Konflikt, mittlerweile eben das Rücktrittsangebot vom Regierungschef. Glauben Sie denn, dass jetzt die Welle der Gewalt etwas abebben wird?

Haska: Also ich hoffe das sehr. Im Moment ist es ruhig. Ich hoffe sehr, dass da nicht weiter Gewalttaten und nicht weitere Angriffe gestartet werden. Das, was jetzt im Parlament passiert, müssen wir erstmal gut weiter beobachten. Die Information ist, dass Asarow, Premierminister, seinen Rücktritt angeboten hat, der muss natürlich vom Präsidenten erstmal angenommen werden. Bis dahin ist er weiterhin Premierminister. Dann ist jetzt auch vor ein paar Minuten die Nachricht gekommen, dass auch ein Teil zumindest der umstrittenen Gesetze vom 16. Januar zurückgenommen wurden, dass es eine Abstimmung im Parlament gegeben hat und da eine Mehrheit dafür war, die wieder zurückzunehmen. Also, es sind anscheinend die ersten Schritte, den Demonstranten, ja im Grunde genommen dem Volk der Ukraine entgegenzukommen, die Gesetze richteten sich nicht bloß gegen die Demonstranten, sondern gegen jeden Menschen in der Ukraine, gegen das eigene Volk.

domradio.de: Glauben Sie denn, dass die Androhung des Ausnahmezustandes damit jetzt vom Tisch ist?

Haska: Ich hoffe das sehr, ja ich bin eigentlich froher Hoffnung, muss ich ehrlich sagen, dass es nicht passieren wird. Allerdings, in diesem Land weiß man nie: was heute ist, kann morgen schon wieder völlig anders sein. Hier ändert sich schnell die Situationen. Und es kann sein, dass es vom Tisch ist, so sieht es im Moment aus, es sieht im Moment so aus, dass beide Seiten tatsächlich einen Schritt aufeinander zu getan haben, muss aber nicht heißen, dass es am Nachmittag oder am Abend nicht schon wieder völlig anders aussieht.

domradio.de: Letzte Frage: Sie versorgen Polizisten und Demonstranten in Ihrer Kirchengemeinde mit Strom für Handys, aber auch mit Suppen oder mit warmen Getränken. Fällt es Ihnen da schwer, neutral zu bleiben oder haben Sie eine ganz klare Position für die Demonstranten oder für die Polizei?

Haska: Ich habe eine klare Position für Rechtsstaatlichkeit und für Gerechtigkeit. Ich kann die Leute, die demonstrieren, das Volk der Ukraine, sehr gut verstehen, vor allem auch nach diesem 16. Januar, nach diesen Gesetzen, die einfach unmenschlich sind und nicht rechtens sind. Kann ich sehr gut verstehen, dass man demonstriert und dass man auch demonstriert gegen Gewaltanwendung, die Gewalt ging ja nicht von den Demonstrierenden aus, sondern die Gewalt ging ganz eindeutig vom ukrainischen Staat aus. Das kann ich sehr gut verstehen. Auf der anderen Seite stehen da 18-,19-,20-jährige junge Polizisten, die ganz sicher in einer gewissen Zwickmühle sind. Sie sind da hingestellt, müssen da stehen, auf der anderen Seite würden sie vielleicht lieber auf der Seite der Demonstrierenden stehen. Denen genauso freundlich erstmal entgegenzukommen, denke ich, ist ein Gebot der christlichen Nächstenliebe. Und das versuchen wir, sowohl den Demonstrierenden zu geben, was sie nötig haben, als auch den Polizisten, die zu uns kommen.

Das Gespräch führte Mathias Peter.


Quelle:
DR