Aus Personalnot machen sich die Bundesländer ihre Pädagogen abspenstig

Ruinöser Lehrerfang

Not macht erfinderisch. In deutschen Schulen übernehmen mittlerweile auch Förster, Dolmetscher und Studenten den Unterricht. An einem Gymnasium in Bayern wurden zuletzt zwei Abiturientinnen als Ersatzlehrer engagiert. Das Problem: Überall fehlen Pädagogen. In ihrer Misere machen sich die Bundesländer nun gegenseitig die verbleibenden Lehrer abspenstig.

Autor/in:
Christiane Jacke
 (DR)

Gelockt wird mit mehr Lohn und besseren Konditionen. Lehrerverbände warnen vor einem "ruinösen Wettbewerb", beklagen eine Entwertung ihres Berufs und sorgen sich vor allem um die Qualität der Schulausbildung in Deutschland.

Nach Angaben des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) gehen in den kommenden zehn Jahren die Hälfte aller rund 700 000 deutschen Lehrer in Pension. "Das ist Wahnsinn", sagt Verbandschef Ludwig Eckinger. Durch die Lehrerausbildung seien die Lücken in den Kollegien längst nicht mehr zu schließen. Schon jetzt fehlen laut VBE deutschlandweit Zehntausende Lehrer, insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern.

Hessen hat die begehrten Pädagogen in den vergangenen Wochen mit einer bundesweiten Kampagne umgarnt. 2800 Pädagogen braucht das Land nach eigenen Angaben. Anzeigen und Plakate sollten den Lehrern den Wechsel schmackhaft machen. Locken kann Hessen etwa mit einer höheren Verbeamtungsgrenze als anderswo. Bis zum Alter von 50 Jahren können Lehrer dort den Beamtenstatus bekommen, im Zweifel sogar später. Gerade für Quereinsteiger ist das attraktiv. In Rheinland-Pfalz beispielsweise liegt die Grenze bei 40 Jahren.

Mit seiner Werbung war Hessen erfolgreich. Fast 2200 neue Lehrer, die bis zum Schulstart im August nötig waren, hat das Land nach Angaben des Kultusministeriums mittlerweile gefunden. "Ohne die Kampagne hätten wir das nicht geschafft", sagt eine Sprecherin der Behörde.

Im Nachbarland Rheinland-Pfalz hält sich die Begeisterung dagegen in Grenzen. Die Aktion sei "nicht die feine Art", mosert ein Sprecher des dortigen Bildungsministeriums. "Wenn ein Land anfängt, in fremden Karpfenteichen zu fischen, dann gucken die Nachbarländer in die Röhre", kritisiert er. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fehlen den Rheinland-Pfälzern selbst rund 500 Lehrer.

In anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Das Kultusministerium in Thüringen klagt, der Markt für Berufsschullehrer sei "wie leer gefegt". In Berlin wird derzeit diskutiert, den Beamtenstatus für Lehrer wieder einzuführen. Auch dort verlassen viele Pädagogen die Stadt, weil sie in anderen Bundesländern verbeamtet und besser bezahlt werden.

Eckinger klagt, mittlerweile habe sich überall in der Republik ein "ruinöser Wettbewerb" zwischen den Bundesländern entwickelt. Finanzschwache Länder müssten dadurch "noch härter kämpfen", um mit ihrem Lehrermangel zurechtzukommen. Nur durch bundesweit einheitliche Gehaltssätze und Bedingungen zur Verbeamtung könne der "Irrwitz" gestoppt werden, mahnt er.

Zunächst sollen es Seiteneinsteiger richten: Förster unterrichten Biologie, Dolmetscher Französisch, arbeitssuchende Diplom-Physiker wechseln ins Schullabor. Die Entwicklung macht Eckinger Sorgen. In einigen Ländern müssten sich die Neu-Pädagogen vor dem Einsatz an der Schultafel zwar qualifizieren, erzählt er. In anderen Ländern gebe es aber keinerlei Zusatzausbildung vor dem Start im Klassenzimmer. "Das schadet der Qualität des Unterrichts und damit auch den Kindern", klagt der Verbandschef.

Auch der Lehrerberuf wird nach Ansicht des VBE entwertet. "Wenn der Eindruck entsteht, dass jeder mit ein bisschen Fachwissen unterrichten kann, ist das ein großes Missverständnis", sagt Eckinger. "Ich kann der größte Mathematiker sein, aber das heißt trotzdem nicht, dass ich auch lehren kann", betont er.

Dem Vorsitzenden des Bundeselternrats, Dieter Dornbusch, bereitet der zunehmende Einsatz von nicht ausgebildeten Pädagogen ebenfalls "Bauchschmerzen". Trotzdem sei es oft besser, wenn es überhaupt eine Vertretung gebe. Bei dem Verband gehen immer mehr Klagen von unzufriedenen Eltern ein. "Es fallen schon jetzt viel zu viele Stunden aus", sagt Kathrin Hinze vom Bundeselternrat, "irgendwann fehlt den Schülern dann der Stoff." Die Erfahrungen mit den Seitensteigern seien aber nicht immer negativ, betont sie. Der Praxisbezug könne auch helfen, Inhalte besser zu vermitteln, "denn ein ausgebildeter Lehrer ist nicht unbedingt ein guter Pädagoge."