Kölnische Gesellschaft zur Zunahme rechtsextremer Straftaten

"Aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden"

Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund haben zugenommen. Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ordnet die derzeit fehlende Wahrnehmung von Antisemitismus in der Corona-Krise ein.

Davidstern / © Franziska Broich (KNA)
Davidstern / © Franziska Broich ( KNA )

DOMRADIO.DE: Zeitungen der Funke Mediengruppe melden einen Zuwachs von Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund basierend auf Zahlen des Innenministeriums. Im Jahr 2019 gab es den Angaben zufolge über 2000 rechtsextreme Straftaten mehr, insgesamt waren es 22.000 Straftaten im Jahr. 

Auch die antisemitischen Straftaten haben 2019 laut Polizeistatistik zugenommen. Wie sehr sind Sie über diese Zunahme an Straftaten besorgt?

Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Wir sind ja schon seit einiger Zeit darüber besorgt und stellen fest, dass sie in Gewalt umgeschlagen sind. Aus diesen antisemitischen Straftaten sind rechtsradikale Gewalttaten geworden. Das haben wir ja in den vergangenen Monaten oft genug feststellen müssen. 

Das eine funktioniert nicht ohne das andere. Insofern ist es für uns nicht verwunderlich, dass 2019 wiederum über 2.000 Delikte stattgefunden haben, die man eindeutig als antisemitisch bezeichnen kann.

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm  / © gemeinfrei
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm / © gemeinfrei

DOMRADIO.DE: In einer Pressemitteilung der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit warnen Sie davor, dass der Antisemitismus immer militanter wird und die Berichterstattung wie weggeblasen scheint in der aktuellen Situation. Warum ist das gerade jetzt so gefährlich?

Wilhelm: Die Welt und die Menschen mit ihren Einstellungen haben sich trotz der Corona-Krise nicht geändert, auch wenn die mediale Berichterstattung sich verständlicherweise gerade mehr auf die Krise konzentriert. 

Zwar gibt es veränderte Umfragewerte zulasten der AfD, was mich natürlich sehr freut, aber ich befürchte, dass sich das antisemitische und rechtsradikale Gedankengut nach er Corona-Krise nicht wesentlich verändert haben sollte im Vergleich zu vorher. Es ist zur Zeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, aber nicht weggepustet.

DOMRADIO.DE: Wir bekommen aber gerade mit, dass die AfD ziemlich zerstritten scheint. Der sogenannte Flügel hat sich aufgelöst und es droht der Partei ja sogar eine Spaltung. Stimmt das hoffnungsfroh?

Wilhelm: Das sind natürlich auch Scheingefechte. Ich war froh, als das Bundesamt für Verfassungsschutz den Flügel von Björn Höcke und Co. unter Beobachtung stellen wollte. Die lösen sich auf? Was heißt das genau?

 Innerparteilich haben sie wohl mit Spaltung in Ost und West gedroht. Dann wird die Partei in Flügel und Nicht-Flügel geteilt. Das sind doch Spielchen. Die wollen uns für dumm verkaufen. Die Menschen, die Inhalte und die politischen Positionen bleiben doch alle bestehen und im Amt. 

Keiner dieser Neofaschisten hat seine politische Meinung geändert, im Gegenteil. Sie haben sich auf einer Bundestagssitzung versammelt, um jetzt noch heftiger und mächtiger gegen die Politik der Bundesregierung vorzugehen. 

Man hat anscheinend die Befürchtung, dass man in der Corona-Krise nicht wahrgenommen wird. Das überrascht mich nicht, aber es beruhigt mich auch nicht.

DOMRADIO.DE: In der Corona-Zeit momentan gibt es aber auch Verschwörungstheorien aus der rechtsextremen Szene. Da heißt es dann, dass die Kapitalisten aus der Krise Kapital schlagen wollten. Oder die Flüchtlinge hätten den Virus eingeschleppt oder es wird allgemeines Staatsversagen beklagt. Für wie gefährlich halten Sie das?

Wilhelm: Auf solche pauschalen Unsinnigkeiten kann man ja nicht immer reagieren, weil es sie ja ständig gibt. In Zeiten von elektronischer Vernetzung durch die Sozialen Medien kommt das noch mehr zum Bewusstsein, insbesondere dann, wenn das eine oder andere seriöse Medium das nach außen transportiert. 

Diese Verschwörungstheorien sind allesamt unsinnig und teilweise auch bösartig. Ich glaube auch nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung auf so einen gefährlichen Unsinn hereinfällt. Da gibt es andere Gefahren, die sehe ich sehr viel konkreter.

DOMRADIO.DE: Wir befinden uns mitten in einem Kulturkampf gegen rechts, schreiben Sie. Was muss passieren, damit unsere Demokratie stabil scheint?

Wilhelm: Wir bemühen uns mit einer Bescheidenheit, das tun ja viele andere in unserer Republik auch, hier in der Kölner Region, in dem wir auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zugehen. Das sind in der Regel Lehrkräfte, die in den Schulen unterrichten. 

Wir bieten Seminare und Workshops an, wir stellen Ausstellungen und Veranstaltungen zur Verfügung. Diese Veranstaltungen werden sehr gut besucht, weil Antisemitismus nicht zum normalen Curriculum eines Lehrers gehört. Er lernt darüber nichts an den Universitäten, es sei denn in Theologie, aber das sind ja nur wenige. 

Viele Lehrer fühlen sich unsicher, dieses Thema anzusprechen. Diese Unsicherheit wollen wir ihnen nehmen und es sind sehr viele Lehrer und Lehrerinnen, die glücklicherweise davon Gebrauch machen. Über die jungen Menschen erhoffen wir uns mittel- und langfristig eine Wirkung in die Gesellschaft. Mehr können wir, glaube ich, nicht tun.

DOMRADIO.DE: Aktionen, Ausstellungen und Veranstaltungen. Sie haben es gerade schon gesagt, die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit hat in diesem Jahr viel geplant gehabt, davon muss jetzt coronabedingt viel ausfallen. Wie gehen Sie damit um, wie kann es trotzdem weiterhin gelingen, aktiv zu bleiben?

Wilhelm: Wir sind natürlich auch vom Verbot größere Veranstaltungen durchzuführen betroffen und auch die Workshops und Seminare, wo man wie in der Schule zusammensitzt, funktionieren zur Zeit nicht. Es fallen zwei bis drei Monate Veranstaltungen aus, je nachdem, wie der Verlauf von Corona sein wird.

 Wir halten natürlich den Kontakt zu den Menschen, die sich schon angemeldet hatten und wir werden, sobald es geht, die Veranstaltungen im Sommer, Herbst oder Winter nachholen. 

Das ist schon ärgerlich, dass man zwei bis drei Monate zurückversetzt wird. Aber dazu gibt es keine Alternative. Die Themen, die uns bewegen, werden im Sommer und Herbst wieder mehr wahrgenommen. Dafür wollen wir gerüstet sein.

Das Interview führte Katharina Geiger.

Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit haben ihren Ursprung in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Schriftsteller, Philosoph und Lehrer Martin Buber und der damalige Leiter des Freien Jüdischen Lehrhauses in Frankfurt am Main, Franz Rosenzweig, suchten und förderten gemeinsam mit christlichen Partnern den christlich-jüdischen Dialog. 

Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch (dpa)
Interreligiöser Dialog (Symbolbild) / © Friso Gentsch ( dpa )
Quelle:
DR