Attac startet erste Europäische Sommeruniversität in Saarbrücken

Bildung für Globalisierungskritiker

Alles wird komplizierter, auch politisches Handeln. Als Susan George, Mitbegründerin von Attac Frankreich, in den 60er Jahren begann, politisch aktiv zu werden, reichte es schon, "USA raus aus Vietnam" zu rufen. Heute seien Forderungen an die Politik komplexer, schreibt die Politikwissenschaftlerin und Schriftstellerin in ihrer Einladung zur ersten Europäischen Sommeruniversität von Attac: "Wir befassen uns mit Steuern, Umweltschutz und Handelsabkommen, Klimaerwärmung und Gentechnik."

 (DR)

Auch erfahrene Aktivisten brauchen viel Wissen. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac veranstaltet deshalb unter dem Motto "Ein anderes Europa ist möglich" vom 1. bis 6. August in Saarbrücken die erste Europäische Sommeruniversität zum Informationsaustausch, gemeinsamen Nachdenken und Planen. Etwa 200 Veranstaltungen haben die Attac-Mitarbeiter organisiert. Zehn Jahre nach der Gründung der Organisation in Frankreich werden bis zu 1.000 Aktivisten aus allen europäischen Ländern und Marokko erwartet.

Auf ein Kulturprogramm mit großen Namen  immerhin sind die Musiker Manu Chao, Bela B. und Konstantin Wecker Attac-Mitglieder  wurde bewusst verzichtet. Die inhaltliche Arbeit soll im Vordergrund stehen, heißt es. Eine "éducation populaire" (Volksbildung) in Form von Sommeruniversitäten ist in Frankreich verbreiteter als in Deutschland. Doch auch in Saarbrücken sollen bekannte Namen wie der französische Bauernaktivist und Präsidentschaftskandidat von 2007, José Bové, Lust auf vertiefte Auseinandersetzung mit europäischen Themen machen: den Verfassungsprozess, die Rohstoffimporte, die Handelspolitik.

Wer Globalisierung als Naturkatastrophe und Sachzwang verstehe, entmündige die Menschen, sagt Sven Giegold, einer der Mitgründer von Attac Deutschland. Es gehe darum, Alternativen aufzuzeigen und deutlich zu machen, dass Politik gestaltbar sei, unterstreicht der Wirtschaftswissenschaftler, der seit 2007 auch Mitglied der Präsidialversammlung des evangelischen Kirchentages ist.

Die Sommeruni soll eine Basis für gemeinsame Aktivitäten der autonomen Länderorganisationen schaffen und Aktionen aufeinander abstimmen helfen. Als Beispiel nennt Giegold den Druck von Attac auf einen Wasserkonzern, gegen dessen Verflechtungen mit Weltbank und Politik derzeit in acht europäischen Ländern Widerstand entwickelt werde. Vielleicht gelinge in Saarbrücken ein konzertiertes Vorgehen.

Etwa 85.000 Mitglieder hat Attac in Europa, weltweit sind es nur etwa 5.000 mehr. In Deutschland gehören der Organisation, die sich selbst zwischen einer offenen sozialen Bewegung und einer Nichtregierungsorganisation (NGO) mit klar definierter Struktur ansiedelt, 19.500 Menschen an. Prominente Mitglieder sind der CDU-Politiker Heiner Geißler, der im vergangen Jahr feststellte, dass "die Globalisierung aus dem Ruder läuft", Linken-Chef Oskar Lafontaine und der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter.

Bei den meisten Forderungen ist sich die Organisation einig, etwa nach einer demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte, berichtet Giegold. Auch über die Ablehnung von Gewalt bestehe Konsens. Doch darüber hinaus hätten die einzelnen Ländergruppen durchaus unterschiedliche Strukturen und Auffassungen. So sei Attac in Frankreich - ohnehin tendenziell hierarchischer als in Deutschland - keineswegs eindeutig, wenn es um Kernenergie oder die "Force de Frappe", die französische Atomstreitmacht, gehe.

Attac Deutschland erlebte durch die Proteste gegen den Gipfel der sieben wichtigsten Industrienationen und Russlands (G-8) in Heiligendamm 2007 einen regelrechten Mitgliederschub. "Wir müssen nicht in allen Fragen europaweiten Konsens haben", heißt es bei Attac. Gebraucht werde aber ein demokratisches Europa "von unten".