Ehemaliger Caritaschef fordert bessere Chancenverteilung

"Armut muss sich nicht vererben"

Der Sozialstaat muss nicht nur Geld, sondern auch Chancen besser verteilen. Das fordert der ehemalige Caritas-Generalsekretär Georg Cremer. Der gelernte Volkswirtschaftler nimmt neben dem Sozialstaat auch die Zivilgesellschaft in die Pflicht.

Schriftzug "Armut!" an einer Wand / © Jens Kalaene (dpa)
Schriftzug "Armut!" an einer Wand / © Jens Kalaene ( dpa )

Der Volkswirtschaftler Georg Cremer plädiert dafür, nicht nur Geld, sondern auch Chancen besser zu verteilen. Damit die Ungleichheit in einer Gesellschaft nicht zu groß werde, müsse ein leistungsfähiger Sozialstaat durch Steuern, die Sozialversicherung und die Sozialhilfe umverteilen, sagte der frühere Caritas-Generalsekretär dem "Münchner Kirchenradio" des Sankt Michaelsbunds. Geld allein könne aber Gerechtigkeit nicht erzwingen.

Ein Fünftel der Kinder kann kaum lesen

"Wenn ein Fünftel der Kinder in Deutschland nicht richtig lesen kann und somit nicht die Voraussetzungen erwirbt, eine gute Ausbildung zu machen, dann ist ein Leben in der Prekarität und Armut vorgezeichnet", erklärte Cremer. Deshalb müsse Sozial-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik zusammen betrachtet werden. Der Sozialstaat habe die Aufgabe, Menschen in prekären Milieus besser mit seinen Hilfen zu erreichen. Bisher gelinge dies eher mit der Mittelschicht. So nähmen etwa gut ausgebildete Mütter die Dienste der Hebammen nach der Geburt viel häufiger in Anspruch als Mütter in prekären Lebenslagen.

Ausstieg aus dem Abseits

Nach den Worten von Cremer trauen sich Menschen aufgrund langer Arbeitslosigkeit oder der Überlastung als Alleinerziehende nicht mehr zu, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Dennoch schafften manche den Ausstieg aus dem Abseits, weil sie auf Menschen gestoßen seien, die sie ermutigt oder als Paten gewirkt hätten. Das könnten Nachbarn, eine Grundschullehrerin, ein Sozialarbeiter oder eine Pastorin sein. "Armut muss sich nicht vererben, wenn Menschen die Unterstützung finden, die sie brauchen."

Staat und Gesellschaft Hand in Hand

Der Staat könne zivilgesellschaftliches Engagement nicht verordnen, aber er könne es fördern, zeigte sich der Volkswirtschaftler überzeugt. "Ein engagierter Staat und eine starke Zivilgesellschaft müssen Hand in Hand gehen." So gebe es ermutigende Erfahrungen mit Patenschaften; dazu gehörten etwa Studierende, die sich ein Jahr lang mit einem Kind treffen, die Umgebung erkunden, die Freizeit gestalten, eine Bibliothek besuchen. Auswertungen hätten gezeigt, dass Patenschaften das Selbstbewusstsein von Kindern, ihr Vertrauen in die eigenen Kräfte enorm steigern könnten.

Sozialberatung schon beim Arzt

Weiter schlug Cremer vor, eine Sozialarbeiterin bewusst einige Tage in der Woche in einer Kinderarztpraxis in einem sozialen Brennpunkt arbeiten zu lassen. Denn ein Teil der Eltern scheue sich, eine Beratungsstelle für soziale Problemlagen aufzusuchen, aber sie gingen zum Arzt mit ihrem Nachwuchs. Derzeit scheitere ein solcher Einsatz an der Finanzierung. Doch wenn Eltern gestärkt werden sollen, "dann müssen wir solche Möglichkeiten nutzen".

 


Quelle:
KNA