Armenischer Pfarrer fordert Sanktionen gegen Aserbaidschan

"Wir fühlen uns von der Welt alleingelassen"

Nach Aserbaidschans Rückeroberung der Region Bergkarabach sind viele Armenier geflohen. Diradur Sardaryan, armenischer Pfarrer in Deutschland, fordert Hilfe und Sanktionen. Er spricht von einer neuen Art des Völkermords.

Ethnische Armenier aus Berg-Karabach fliehen mit einem Lastwagen auf der Straße von Berg-Karabach nach Kornidzor / © Vasily Krestyaninov (dpa)
Ethnische Armenier aus Berg-Karabach fliehen mit einem Lastwagen auf der Straße von Berg-Karabach nach Kornidzor / © Vasily Krestyaninov ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Armenier haben über Tausende von Jahren in Bergkarabach gelebt. Wie schlimm ist es denn für die Menschen, dass sie jetzt ihre Heimat verloren haben?

Diradur Sardaryan (Gemeindepfarrer der Armenischen Gemeinde in Baden-Würtemberg): Das ist eine Katastrophe für die um die 120.000 Menschen, die vertrieben wurden, aber auch für uns alle, die wir in Armenien und in der Diaspora leben.

Vor ein paar Jahren hat uns die Welt versprochen, es werde keine weiteren Genozide und keinen weiteren Völkermord geben. Die Weltgemeinschaft würde das nicht zulassen. Jetzt gerade sehen wir, dass trotzdem vor aller Augen der Welt eine Vertreibung eines Volkes, eine neue Art des Völkermordes stattfindet.

DOMRADIO.DE: Es gibt inzwischen menschenleere Orte in Bergkarabach. Die allermeisten Menschen dürften nach Armenien geflohen sein. Wie verkraftet denn Ihr Land die vielen Menschen?

Diradur Sardaryan

"Armenien versucht diese Menschen so gut wie möglich zu empfangen, aber es ist ein Entwicklungsland."

Sardaryan: Die Menschen litten neun Monate unter der Blockade, die die Aserbaidschaner organisiert hatten. Es gab keine Medikamente, nichts zu essen für Kinder und für ältere Menschen. Sie lebten dort in diesen Monaten trotz der russischen Präsenz unter ständiger Angst.

Jetzt hat man sie auch noch bombardiert und dann nur einen schmalen Weg aufgemacht. Die Menschen haben alles zurückgelassen und sind geflohen, um das Leben ihrer Kinder und Eltern zu retten.

Armenien versucht diese Menschen so gut wie möglich zu empfangen, aber es ist ein Entwicklungsland. Es wird sich vor allem in den kommenden Monaten mit großen Herausforderungen auseinandersetzen müssen.

DOMRADIO.DE: Wie kann denn zum Beispiel Deutschland diesen Flüchtlingen am besten in dieser Situation helfen?

Archimandrit Serovpe Isakhanyan, Bischof der armenisch-apostolischen Kirche in Deutschland / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Archimandrit Serovpe Isakhanyan, Bischof der armenisch-apostolischen Kirche in Deutschland / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Sardaryan: Die Menschen brauchen jegliche Hilfe, sowohl kurzfristig als auch langfristig. Kurzfristig brauchen die Menschen jetzt eine Bleibe, eine Unterkunft. Unser Bischof Serovpe Isakhanyan ist gerade in Armenien und besucht die Orte, in denen die Menschen untergebracht sind.

Die Menschen sind mit dem einzigen Gewand, das sie hatten, geflohen. Sie brauchen jegliche Hilfe für den täglichen Bedarf.

Langfristig sind es traumatisierte Kinder und Familien, die geistlichen Beistand und Unterstützung brauchen, aber auch gewisse Perspektiven, wie sie ihr Leben zum zweiten oder sogar dritten Mal von Null anfangen sollen. Soziale Hilfe und Unterstützung sind da dringend notwendig.

DOMRADIO.DE: Sie sind Gemeindepfarrer der armenischen Gemeinde in Baden-Württemberg. Wie gehen denn die Gläubigen, die in Deutschland leben, mit der Situation in ihrem Heimatland um?

Sardaryan: Sie sind aktuell in einem Schockzustand. Keiner will glauben, dass wir das noch einmal erleben müssen. Die breite Öffentlichkeit sieht die Bilder dieser bestialischen Handlungen nicht, wie die Aserbaidschaner unsere Kirchen zerstören, die Kreuze zerschlagen und sie sieht auch nicht das Leid der Menschen.

Viele von uns haben dort Verwandte, beziehungsweise waren auch selbst schon in dieser Gegend. Das ist auch für uns hier eine schwere Last.

Diradur Sardaryan

"Wir müssen den Menschen andererseits die Perspektive eröffnen, irgendwann in ihre Heimat zurückkehren zu können."

Wir fragen uns aber auch, wie wir von hier aus weiter helfen können. Gerade deshalb ist auch unser Bischof derzeit in Armenien, damit wir einen anständigen Plan erarbeiten, um den Menschen dort zu helfen, wenn er zurückkommt.

Aber es geht auch darum, dass wir unsere Schwesterkirchen in Deutschland als Unterstützer an der Seite haben, um einerseits die Kirchen und die Geschichte, die Aserbaidschan verfälscht, irgendwie so weit es geht zu verteidigen und zu schützen.

Wir müssen den Menschen andererseits die Perspektive eröffnen, irgendwann in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Menschen in einem Luftschutzbunker in Berg-Karabach / © Siranush Sargsyan (dpa)
Menschen in einem Luftschutzbunker in Berg-Karabach / © Siranush Sargsyan ( dpa )

DOMRADIO.DE: Gibt es in dieser Situation irgendetwas, was Ihnen etwas Hoffnung macht?

Sardaryan: Wir fühlen uns von der gesamten Welt alleingelassen. Ich bin kein Politiker, ich kann nur das zum Ausdruck bringen, was unsere Landsleute denken. Wir sehen die Beileidsbekundungen, aber das bringt nichts.

Man braucht Sanktionen, man braucht militärische Kraft in Armenien, damit man sich schützen kann. Denn in den Nachrichten hört man, dass sowohl Aserbaidschan als auch die Türkei immer noch nicht zufrieden sind und Lust haben, jetzt auch die Republik Armenien anzugreifen.

In dieser Situation können wir nur hoffen, dass sich zumindest der Westen, die USA und die Staaten, in denen Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde noch etwas bedeuten, dem stellen und das Land und die Leute dort unterstützen.

Das Interview führte Mathias Peter.

Kirchen in Armenien

Mit mehr als 1.700 Jahren Tradition als Staatsreligion ist Armenien die erste christliche Nation in der Geschichte. Im Jahr 301 ließ der armenische König Trdat III. sich und seine Untertanen taufen. Die armenische Kirche zählt wie die Kopten und Äthiopier, die syrische Kirche und die indischen Thomas-Christen zu den sogenannten altorientalischen Kirchen. Diese sind sowohl von Rom als auch von den orthodoxen Kirchen getrennt, weil sie die Lehre des Konzils von Chalcedon (451) von den zwei Naturen Christi nicht akzeptierten.

Kloster Noravankh in Armenien / © Alexander Brüggemann (KNA)
Kloster Noravankh in Armenien / © Alexander Brüggemann ( KNA )
Quelle:
DR