ARD-Reportage über den Mangel an Zivilcourage

Erschreckendes Spiegelbild

In ihrer Reportage "Zivilcourage - Gaffen oder helfen?" befasst sich die Dokumentarfilmerin Liz Wieskerstrauch mit der erschreckenden Tatsache, dass Opfern von Gewalt häufig nicht geholfen wird. Sie zeigt aber auch, was Menschen dazu bringt, beherzt einzugreifen, selbst wenn sie dabei zu Schaden kommen. Ihr Film ist im Rahmen der "ARD-Themenwoche: Ist doch Ehrensache" am Mittwoch um 21.45 Uhr in der ARD zu sehen.

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
 (DR)

«Hiiillfee!!!» Eine junge Frau schreit verzweifelt. Sie befindet sich in der Gewalt eines Mannes. Er beschimpft sie lautstark, versucht sie zu würgen und zu schlagen.
Sie windet sich, tritt ihm zwischen die Beine. Das alles geschieht am helllichten Tag am Rande des Hamburger Fischmarkts. Bei freundlichem Sonnenschein sind hier viele Menschen unterwegs. Doch die Passanten, gleich ob Männer oder Frauen, alte oder junge, bleiben meist ungerührt. In diesem Fall ist die Situation zum Glück nur nachgestellt. Liz Wieskerstrauch hat sie zusammen mit dem Polizisten Jens Mollenhauer und seiner Tochter Janina inszeniert.

Den erläuternden Kommentar spricht «Bella Block» alias Hannelore Hoger. Mit ihrer rauen, lakonischen Stimme verleiht sie der Reportage einen besonderen Reiz. Die gestellten Überfälle ergänzen die Schilderungen zweier Gewalttaten, in denen in einem Fall Hilfe erst in letzter Minute und im anderen sofort, allerdings mit ernsten Folgen für den Helfer, geleistet wurde.

In einem voll besetzen Berliner Doppeldeckerbus wird der Fahrer mit einem Messer angegriffen. Seine Fahrgäste bleiben ungerührt. Kräftige Männer hätten einfach weggesehen, erinnert sich der schockierte Fahrer heute. Im oberen Teil des Busses sind zwei Frauen, der Lärm alarmiert sie. Sie laufen die Treppe hinunter und greifen sofort ein. Gedacht habe sie eigentlich gar nichts, sie sei einfach nur wütend gewesen, dass da jemand körperlich attackiert werde, erinnert sich eine der couragierten Helferinnen. Dass ein Messer im Spiel war, habe sie nicht mitbekommen, sagt sie heute. Als besonders mutig will sie sich nicht verstanden wissen, auch wenn ihr das alle anderen versichern. Denn ohne ihr Eingreifen hätte der Busfahrer keine Überlebenschance gehabt.

Tapferkeit bescheinigt die Polizei auch Jan Tietze. Eines Abends wird er durch einen lautstarken Ehestreit in der Wohnung über sich aufgeschreckt. Die Frau habe so geschrien, dass er glaubte, sofort handeln zu müssen. Er habe keine Zeit mehr gehabt, die Polizei zu alarmieren, erinnert sich Tietze. Er klingelt an der Tür, versucht den tobenden Mann zu beruhigen und die Frau abzuschirmen. Dabei wird er durch einen Messerstich so schwer verletzt, dass er operiert werden muss.

Um die direkten Reaktionen auf Gewalttaten besser beobachten zu können, wurden für diesen Film Notsituationen konstruiert. Mit seinen Töchtern inszenierte der 44-jährige Jens Mollenhauer nicht nur Gewalt-Attacken, sondern auch eine Situation, in der er scheinbar ein Kind «entführt».

Ein Problem benennt der Film ganz klar: Menschen haben es sich hierzulande zu eigen gemacht, sich nicht in das Leben anderer einzumischen und auf Distanz zu bleiben. Diese Lebenshaltung führt schließlich dazu, dass man nicht mehr bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und für andere einzustehen. Mollenhauer, der ein wenig aussieht, als täte er neben Jan Fedder im «Großstadtrevier» Dienst, wirbt in seiner Arbeit seit Jahren für mehr persönlichen Einsatz.
Ehrenamtlich gibt er Kurse zur Gewaltvorbeugung. Die Reportage hält dem Zuschauer den Spiegel vor - ein mitunter erschreckender Anblick.

Hinweis: «ARD-exclusiv: Zivilcourage - Gaffen oder helfen?» Reportage von Liz Wieskerstrauch. ARD, Mi 13.5., 21.45 - 22.15 Uhr.