ARD-Moderator Zamperoni sieht USA auf dem Weg zum autoritären Staat

"Wir wollen Argumente erlebbar machen"

ARD-Moderator Ingo Zamperoni will mit der Sendung "Die 100" den gesellschaftlichen Dialog fördern und setzt auf Gespräch statt Konfrontation. Wie Zuhören gegen Spaltung hilft und warum ihn die Entwicklungen in den USA beunruhigen.

Autor/in:
Steffen Grimberg
USA: Noch Hoffnung auf Befriedung? (dpa)
USA: Noch Hoffnung auf Befriedung? / ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Zamperoni, was ist für Sie das entscheidende Merkmal, oder wie man heute sagt, der "USP" der Sendung "Die 100 - Was Deutschland bewegt"?

Ingo Zamperoni, Fernsehmoderator / © Sven Hoppe (dpa)
Ingo Zamperoni, Fernsehmoderator / © Sven Hoppe ( dpa )

Ingo Zamperoni (ARD-Moderator, Journalist und Podcaster): "Die 100" ist vor allem eine Zuhörsendung. Wir hören den Menschen zu. Das hat mich von Anfang an diesem Projekt und seiner Herangehensweise überzeugt. Hier geht es in erster Linie darum, eine Seite mit ihren Argumenten kennenzulernen, sie wirken zu lassen - und sich erst dann dazu zu verhalten. Denn wir müssen auch Meinungen aushalten, von denen wir nicht überzeugt sind.

KNA: Es geht in dieser Sendung also nicht darum, jemanden zu überzeugen?

Zamperoni: Es geht darum, zu erkennen, dass es auch eine andere Seite gibt, die genauso leidenschaftlich argumentiert und die auch einen Punkt haben kann. Und es geht darum, diese Position zu respektieren und anzuerkennen. Ich glaube, dass droht heute verloren zu gehen. Ich erlebe das ganz stark in den USA, wo dieses Aushalten-können, dieses "We agree to disagree" auf dem Rückzug ist.

Ingo Zamperoni

"In den USA, ist dieses Aushalten-können, dieses "We agree to disagree", auf dem Rückzug."

KNA: Wie gehen Sie dabei auf die 100 Teilnehmer zu?

Zamperoni: Ich gehe in die Runde und wähle meist spontan Menschen aus, die zum Thema etwas sagen wollen. Oder wo ich denke, guck mal da, die da hinten wirkt interessant, vielleicht hat sie etwas dazu zu sagen. Uns geht es darum, neue Impulse oder Denkanstöße zu finden.

KNA: Und wenn jemand nichts zu sagen hat oder sagen will?

Zamperoni: Wer nicht im Fernsehen auftreten mag, um seine Meinung zu äußern, würde sich wahrscheinlich gar nicht für "Die 100" bewerben. Aber natürlich gibt es Punkte oder Argumente, in denen jemand sagt: "Da möchte ich jetzt lieber nichts sagen". Das ist völlig in Ordnung, wir zwingen keinen. Dann wende ich mich an die nächste Person.

KNA: Trotzdem kommen Menschen, deren Meinung sich im Laufe der Sendung verändert, stärker zum Zuge.

Zamperoni: Ja, das stimmt. Denn das finde ich besonders spannend, was jemanden bewegt, seine bisherige Meinung zu hinterfragen. Das ist in diesem Format auch deshalb so spannend, weil "Die 100" ja einen gewissen Querschnitt der Gesellschaft abbilden: Menschen aus der Stadt, vom Land, Handwerker, Akademiker, Rentner, Studierende, und so weiter.

KNA: Fehlen Ihnen da manchmal bestimmte Gruppen? Und kennen Sie die Teilnehmer vorher?

Ingo Zamperoni

"Wir wollen Argumente erlebbar machen, etwa durch die Requisiten in der Sendung."

Zamperoni: "Die 100", also "nur" 100 Menschen, können ja nicht repräsentativ für unsere ganze Gesellschaft sein. Das herzustellen, würde den Rahmen sprengen. Aber wir möchten die gesellschaftliche Wirklichkeit schon möglichst breit abbilden und deshalb würden wir zum Beispiel gern mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Sendungen sehen. Bei den bisherigen sechs Folgen wusste ich überhaupt nicht, wer kommen wird.

Die Teilnehmer habe ich erst gesehen, als sie die Spielfläche betreten haben. Bei den neuen Sendungen wollen wir das ändern: Ich werde schon beim Warm-up dabei sein, um ein besseres Gefühl für die Teilnehmer zu bekommen. Außerdem befragen wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon vorab zu bestimmten Themen und Argumenten, damit es nicht mehr nur ein reines Zufallsprodukt ist.

KNA: Was hat Sie an den bisherigen sechs Sendungen am meisten überrascht?

Zamperoni: Ich finde sehr beeindruckend, wie eloquent und respektvoll die Menschen sind - selbst bei Themen, zu denen sie vielleicht erst einmal keinen direkten Bezug haben. Wir versuchen alle anzusprechen, die sich für politische und gesellschaftliche Themen interessieren, und das Ganze etwas spielerischer zu gestalten, um verschiedene Meinungen und Positionen abzubilden. Wir wollen Argumente erlebbar machen, etwa durch die Requisiten in der Sendung.

Es macht einen Unterschied, wenn man zum Thema Geflüchtete nicht nur Argumente vorträgt oder ein Einspiel-Video hat, sondern ein Flüchtlingsboot, das tatsächlich in Lampedusa gestrandet ist. Oder ein zerschossenes Auto aus der Ukraine. Auch wenn es jetzt schon die siebte Folge ist, fühlt es sich für mich immer noch wie ein Fernsehlabor an, in dem wir experimentieren können.

Symbolbild Kirche und die USA / © anthony heflin (shutterstock)
Symbolbild Kirche und die USA / © anthony heflin ( shutterstock )

KNA: Sie waren Korrespondent in den USA, bereisen das Land immer wieder. Bedauern Sie, jetzt nicht permanent vor Ort zu sein oder sind Sie eigentlich ganz froh darüber?

Zamperoni: Ich habe als Korrespondent bis zur ersten Wahl von Donald Trump 2016 dort gearbeitet und bin dann 2017 zurück nach Deutschland gekommen. Schon damals hat man mir diese Frage gestellt. Es ist immer ein bisschen was dazwischen. Ich finde nach wie vor, dass die USA ein großartiges Land zum Leben, aber auch zum Arbeiten sind.

Gudrun Engel, unsere ARD-Studioleiterin in Washington, hat die aktuelle Lage gut beschrieben und gesagt, man komme sich wie ein Golden Retriever vor. Und Donald Trump habe so eine Tennisballmaschine, und ballere täglich in alle Richtungen zig Tennisbälle, und ihr dreht sich der Kopf, weil sie nicht weiß, welchen sie hinterherrennen soll.

US-Präsident Donald Trump (l) gestikuliert neben Erika Kirk bei der Trauerfeier für ihren Mann, den konservativen Aktivisten Charlie Kirk, im State Farm Stadium / © Julia Demaree Nikhinson/AP (dpa)
US-Präsident Donald Trump (l) gestikuliert neben Erika Kirk bei der Trauerfeier für ihren Mann, den konservativen Aktivisten Charlie Kirk, im State Farm Stadium / © Julia Demaree Nikhinson/AP ( dpa )

KNA: Teilen Sie die Befürchtungen, dass die USA auf dem Weg zu einem autoritären Staat sind?

Zamperoni: Ich habe schon Sorgen, wie dieser Druck auf Medien, Journalisten, aber auch auf Gerichte, auf Universitäten und ganz allgemein auf Andersdenkende wirkt. Da sagt die Witwe von Charlie Kirk bei der Trauerfeier über den Täter "Ich vergebe ihm" und direkt danach kommt Präsident Trump und sagt, "Ich hasse meine Gegner". Das treibt die ohnehin schon bestehende Polarisierung weiter voran. Solche Mechanismen kennen wir aus autoritären Staaten. Da werden Grenzen verschoben, und es ist immer schwer und mühsam, so etwas wieder zurückzuschieben.

Das Interview führte Steffen Grimbergm, KNA.

Quelle:
KNA