Anglikanischer Domkapitular zu den Folgen des Brexit-Votums

Politische Nebelschwaden

Ein gutes halbes Jahr ist es nun her, dass die Briten "Nein" zu Europa gesagt haben. Noch immer ist unklar, wie sich der Abschied aus der EU gestalten soll. Pater Johannes Arens lebt in England und beobachtet politische Brexit-Nebelschwaden.

Wohin steuert Großbritannien nach dem Brexit? / © Kerim Okten (dpa)
Wohin steuert Großbritannien nach dem Brexit? / © Kerim Okten ( dpa )

domradio.de: Das Referendum ist jetzt fast schon ein halbes Jahr her. Seit dem hat das politische Ziehen und Zerren auf der Insel nicht mehr aufgehört. Wie ist die Stimmung im Land?

Dr. Johannes Arens (Anglikanischer Domkapitular im englischen Leicester): Die Stimmung ist nach wie vor sehr gespalten. Es gab in einer Zeitung einen sehr amüsanten Ratgeber, wie man sich denn verhalten soll, wenn über Weihnachten dieses Gesprächsthema "drohte" und selbiges entweder vermieden werden kann oder die Debatte gewonnen werden soll. Das Thema spaltet ja immer noch ganze Familien. Auch deshalb, weil sich politisch seit dem Referendum nicht wirklich viel getan hat.

Die inzwischen auch nicht mehr ganz neue Premierministerin Theresa May hat versprochen, Ende März den Artikel 50 des EU-Vertrages - also die Kündigung an die EU - auszusprechen. Dann hat man noch zwei Jahre zur Umsetzung Zeit. Aber es weiß niemand, ob man diese Entscheidung nicht wieder innerhalb dieser zwei Jahre rückgängig machen kann. Da läuft momentan ein Gerichtsverfahren, bei dem geprüft wird, ob das überhaupt geht. Teile des Parlamentes möchten über das Endergebnis abstimmen können. Die Regierung verneint ein solches Vorgehen. Ob das denn tatsächlich so ist, weiß übrigens auch keiner, und was die Regierung wirklich vorhat, ebenso wenig.

domradio.de: Das klingt nach einer Prüfung eines "Auf-Probe-Austritts". Und wenn man feststellt, dass das "Nein" zu Europa eine dumme Idee war, dann kommt man wieder zurück...

Arens: Die Frage ist, ob das tatsächlich geht. Wenn man den Artikel 50 zieht und die Kündigung ausspricht, hat man im Rahmen der europäischen Gesetzgebung zwei Jahre Zeit, die abschließenden Verhandlungen zu führen, wie genau der Ausstieg aussehen soll. Doch was passiert, wenn man innerhalb dieser Frist einen Rückzieher macht? Es gibt viele, die das auch wollen.

Man merkt momentan ein bisschen, ganz allmählich, dass die Entscheidung anfängt, wehzutun. Ein kleines Zeichen sind die Importgüter, die so langsam teurer werden. Zu Weihnachten wurden beispielsweise gerne Geschenke eines amerikanischen Elektronikkonzerns gemacht. Das wird halt in Dollar bezahlt - und das Pfund befindet sich derzeit im Keller. Daran merkte man schon einen Preisunterschied. Ein weiteres Beispiel sind Urlaube in Kontinentaleuropa. Da, wo der Euro gilt, ist das Pfund momentan nicht mehr so kaufkräftig, wie das vor einem halben Jahr noch der Fall war. Die Leute merken es also ein wenig. So richtig werden sie es allerdings erst im Sommer merken. Die Lebensmittelpreise ziehen auch an - aber noch nicht so, dass es in irgendeiner Form schmerzt.

domradio.de: Die britische Premierministerin Theresa May hat gesagt "Brexit meint Brexit". Wie nimmt man den Slogan bei Ihnen im Umfeld auf?

Arens: Das ist ja eine Tautologie, das heißt überhaupt nichts. Das ist ja quasi eine "Nicht-Erklärung". Es kommt letztlich ganz darauf an, wie man dazu steht. Im Moment sind die Fronten eher verhärtet zwischen den Befürwortern und Gegnern des Brexits. Es ist auch unklar, wie das Referendum ausgehen würde, wenn man es heute noch einmal abhalten würde. Wahrscheinlich ginge es in die andere Richtung.

Die Regierung und Theresa May haben bislang nicht mitgeteilt, was das Ziel ihrer Verhandlungsstrategie ist. Wie soll das denn danach aussehen? Ist man noch weiter Teil des europäischen Binnenmarktes? Ist man weiter Teil des europäischen Rechtssystems? Oder werden wirklich alle Brücken abgebrochen? Es gibt nicht wenige Menschen, die das wollen und die aus politischen Gründen ein komplett unabhängiges Vereinigtes Königreich befürworten. Es wird deshalb schwierig, weil das Vereinigte Königreich aus vier Ländern besteht, von denen zwei gegen den Brexit gestimmt haben: nämlich Schottland und Nordirland. Da ist die Stimmung ganz deutlich. Dort wollen die Menschen mehrheitlich in der EU bleiben. Die Schotten sind dabei besonders deutlich. Ich habe keine Ahnung, wie das letztendlich ausgehen soll.

domradio.de: Das klingt nach erheblichen Komplikationen. Beim nächsten EU Gipfel sind die Briten schon nicht mehr dabei. Ist das ein Thema in der Öffentlichkeit?

Arens: Ja, natürlich. Das Thema Brexit beschäftigt fast jeden Tag die Presse. In einer der großen Tageszeitungen, die ich lese, gibt es täglich einen Artikel zu diesem Thema - auch wenn es eigentlich nichts Neues zu berichten gibt. An sich ist es skandalös, dass es überhaupt keine Pläne für den Fall gab, dass das Referendum so ausging wie es ausging. Damit hat niemand gerechnet und da diese Pläne müssen jetzt erst geschmiedet werden.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Dr. Johannes Arens / © leicestercathedral.org
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Quelle:
DR