Angela Merkel betont vor Unionsabgeordneten ihr Christsein

"Viele suchen nach Halt"

Am Mittwochmittag war Kanzlerin Angela Merkel im Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft beim Kardinal-Höffner-Kreis der Unionsfraktion zu Gast. Im Oktober 2003 besuchte sie den 1993 von katholischen Abgeordneten gegründeten Zusammenschluss erstmals, nun steht sie vor knapp 80 Zuhörern aus der Fraktion und dem Umfeld erneut Rede und Antwort. Christoph Strack war dabei.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

So persönlich erlebt man Angela Merkel selten. Von Fröhlichkeit im Glauben spricht die Bundeskanzlerin, vom gemeinsamen Singen und Beten, vom Ansporn, aus dem christlichen Glauben heraus «Politik mit so viel Freude zu machen». Eher amüsiert als irritiert sagt die ostdeutsche Pfarrerstochter, es würden über sie «ja jetzt verschiedene Bücher geschrieben, wie ich Christ bin» - eine Anspielung auf die jüngsten mal kritischen, mal wohlwollenden Veröffentlichungen über Merkel und das «C» in der CDU. Den Schulalltag in der DDR schildert die 54-Jährige, die Entscheidung «Christenlehre ja oder nein» vor den Mitschülern. «Glaube ist für mich etwas sehr persönliches, sehr individuelles.»

«Liebe Angela», sagt der Vorsitzende Georg Brunnhuber (61), «Schorsch» erwidert sie. Hier fragt niemand mehr explizit nach der Papstkritik, die die Regierungschefin im Februar zum Ärger mancher Katholiken im Zusammenhang mit dem Traditionalistenstreit geäußert hatte. Der ein oder andere aus dem Kreis hat ihr seine Meinung dazu schon bei Gelegenheit mitgeteilt. Die Fragen drehen sich jetzt um Sachthemen, um Bioethik und Abtreibung, um Familienbilder und soziale Gerechtigkeit. Ihre Erwartung an die Bundestagswahl fällt im
Nebensatz: «Wir wollen ja Volkspartei sein, wollen 40-und-mehr-Prozent.»

Merkel geht es im Kreis der Unionskatholiken nicht um die Detailfragen. Die CDU-Vorsitzende mahnt die Abgeordneten mehrfach, sich der gesellschaftlichen Realität in Deutschland zu stellen. Sie wirbt für das neue Familienbild der CDU, das auf frühe Kinderbetreuung setzt und damit beiden Elternteilen Berufstätigkeit ermöglichen will. Zugleich aber sagt sie, wie unersetzlich elterliche Zeit und Zuwendung für die Kinder sei. Sie bemängelt den parteiinternen Umgang mit Alleinerziehenden, «wer anders ist, muss sich bei uns erst mal rechtfertigen...» Sie berichtet von ihrem Gespräch mit den Lesben und Schwulen in der CDU, «hammerhart":
«Unglaublich nette Menschen», denen sie dann habe erklären können, dass sie nicht gleichgeschlechtlich heiraten dürften.

Und Merkel schildert Dispute mit Berlins Kardinal Georg Sterzinsky beim Thema Asyl. «Damit wäre ich relativ weit links in der CDU, wenn nicht sogar überhaupt nicht mehr erträglich....» Wenn sich Kirche in solchen Fragen bewege, sei das Mahnung an die CDU, «sich ein bisschen zu bewegen». Manche Äußerungen aus Parteikreisen, so die Chefin, täten ihr durchaus weh...

So appelliert Merkel an das Weltbild ihrer konservativen Fraktionskollegen - und nimmt sie dann wieder in die Pflicht. Die Kanzlerin verweist auf das Ergebnis der Berliner Volksentscheids zum
Religionsunterricht: «ernüchternd. Das habe selbst ich nicht erwartet.» Deshalb müssten auch die Christen in der Union «viel mehr Vorfeldarbeit leisten» und «in gewisser Weise missionarisch sein. Es gibt viele, die suchen nach Halt.» Wenn sich immer noch so viele im Osten Deutschlands zur Jugendweihe meldeten, zeige das doch auch, «dass wir es nicht schaffen, sie abzuholen».

Die protestantische CDU-Chefin, die auch mal Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU war, schildert den katholischen Abgeordneten ihr evangelisches Credo: Die Ideale - beispielsweise bei Ehe und Familie - nicht aufzugeben und doch eine Form zu finden, damit verantwortet zu leben.

Bei all dem spricht sie von Papst Benedikt XVI. und Johannes Paul II. mit viel Respekt, beim Blick auf den Polen lässt sie fast auch Rührung spüren. Für eine in sich schlüssige Dogmatik habe sie sehr viel übrig. Denn es sei wichtig, «dass grundsätzliche Ansprüche überhaupt noch formuliert werden». Und gerade beim aktuellen Thema Soziale Marktwirtschaft wünsche sie sich endlich mal wieder Beiträge von Seiten der katholischen Kirche, die eine Debatte prägen oder qualitativ voranbringen.