Am 19. April hätte der eilige Heilige seinen Namenstag

Expeditus geht um die Welt

Historisch Verbürgtes ist über Expeditus nicht überliefert. Angeblich soll er zu einem unbekannten Zeitpunkt den Foltertod als Märtyrer erlitten haben. In einigen Gegenden wurde er zum Volksheiligen. In Rom ist er seit 100 Jahren Unperson.

Autor/in:
Alexander Brüggemann und Joachim Heinz
 (DR)

Sie stehen in gefährlichen Kurven, am Ortsausgang oder am Eingang von Felsschluchten. Wer hier betet, ist nicht selten unmittelbar in Gefahr, wie etwa gleich hinter der Brücke von Rivieres-des-Pluies Sainte Marie. Dabei sollen die feuerroten Altärchen die Beter eigentlich aus Not und Gefahr erretten. Hunderte dieser Gebetsstätten gibt es überall verteilt auf La Reunion, der zu Frankreich gehörenden Insel im Indischen Ozean. Meist bestehen sie aus einem roten Häuschen mit Kerzen und Blumen davor. Im Inneren eine oder mehrere Figuren aus Holz oder Plastik: ein legendärer Legionär.

Der Kult gilt dem "heiligen Expeditus ", einem römischen Soldaten aus dem 4. Jahrhundert, der sich hier innigster Verehrung erfreut. Der merkwürdige Heilige gilt in dem französischen Übersee-Departement als treuer Erfüller eiliger Bitten: bei Krankheit, Prüfungen oder plötzlicher Not. Auch in anderen Weltgegenden ist er ein allseits beliebter Begleiter. In Argentinien, Chile oder Bolivien ist der "rapido intercesor nuestro", "unser schneller Nothelfer", innerhalb weniger Jahre zur festen Größe der Volksfrömmigkeit mutiert.

Historisch Verbürgtes ist über Expeditus indes nicht überliefert. Angeblich soll er zu einem unbekannten Zeitpunkt mit fünf Gefährten im armenischen Melitene den Foltertod als Märtyrer erlitten haben. Dargestellt wird er meist als Soldat, der einen krächzenden Raben zum Schweigen bringen will. Der Vogel schreit "cras, cras" (morgen, morgen), während Expeditus auf eine Sonnenuhr zeigt oder ein Kreuz mit der Aufschrift "hodie" (heute) in der Hand hält.

Dem Streit nachzuspüren, hat etwas Detektivisches
In Rom ist Expeditus seit 100 Jahren Unperson. Unter Papst Pius X. wurde er 1906 endgültig vom Heiligenkalender gestrichen, nachdem sein Festtag zuvor der 19. April gewesen war. Dem Streit um die Heiligkeit nachzuspüren, hat etwas Detektivisches. Selbst die einschlägigen Fachlexika des 19. und 20. Jahrhunderts schweigen unter dem Stichwort "Expeditus " beredt. Nur das "Kirchliche Handlexikon" von 1907 berichtet ausführlicher - weil die Causa Expediti damals im Süden Europas ganz "heiß" war.

Dort heißt es: "In neuester Zeit sah sich Rom genötigt, gegen ungesunde Auswüchse dieses Kultus, der sich besonders seit Mitte des 19. Jahrhunderts (...) entwickelt hat, einzuschreiten." Dem war zum Jahreswechsel 1905/06 eine wissenschaftliche Diskussion in der semioffiziellen römischen Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" vorangegangen. Es ging um den Versuch, aus dem spätantiken so genannten Martyrologium Hieronymianum das hohe Alter eines Expeditus-Kultes nachzuweisen. Dem wurde entschieden widersprochen - und der Heiligenkalender bereinigt.

Schutzpatron der Computerbastler
Tatsächlich geht die Verehrung des Expeditus als Patron von Schifffahrern und Kaufleuten und als zuverlässiger "Expedient" dringender und verzweifelter Anliegen - vormals insbesondere in Frankreich und Süditalien verbreitet - höchstens bis ins 18. Jahrhundert zurück. Seit 1781 ist er Schutzpatron der sizilianischen Stadt Acireale.

Eine charmante Variante der Expeditus-Legende will wissen, dass fromme Pariser Ordensfrauen um die Zusendung von Reliquien aus Rom baten. Die Rücksendung habe die italienische Aufschrift "spedito" (eilig) getragen - was die Nonnen als den Namen des enthaltenen Heiligen deuteten. Nach La Reunion schließlich kam der Römer wohl in den 1920er Jahren über Frankreich, dessen Kolonie die Insel seit dem 17. Jahrhundert war.

Für die Ausbreitung des Kultes in Amerika gibt es bislang keine plausiblen Erklärungen. Gut möglich, dass er ursprünglich über europäische Einwanderer auf dem Kontinent Fuß fasste, etwa in Argentinien, Chile und Brasilien, wo eine Stadt nach ihm benannt ist. Von dort gelangte er wohl auch in das bolivianische Tiefland rund um die Stadt Santa Cruz. Dort fördern teils finanzkräftige Expeditus-Gesellschaften unter anderem den Bau von Kirchen und Kappellen. Auch im virtuellen Zeitalter ist der eilige Heilige längst angekommen. Im ältesten Gotteshaus der US-Südstaatenmetropole New Orleans wird er auf zeitgemäße Weise verehrt: als Schutzpatron der Computerbastler.