Altbischof Hofmann gratuliert Richter zum 90. Geburtstag

"Er geht seinen eigenen Weg"

Der emeritierte Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann ist seit Jahren im Kontakt mit dem berühmten Künstler Gerhard Richter. Für ihn ist er ein Suchender, der um höhere Wahrheit ringt. Zu Richters 90. Geburtstag gratuliert er herzlich.

Bischof em. Friedhelm Hofmann / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof em. Friedhelm Hofmann / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Gerhard Richter ist ein Künstler, der die Öffentlichkeit scheut. Jetzt wird 90 Jahre alt. Sie begleiten ihn seit vielen Jahren auf seinem Lebensweg. Wie geht es ihm?

Bischof em. Friedhelm Hofmann (Emeritierter Bischof von Würzburg): Ja, er ist sicherlich nicht mehr der Kräftigste und der Agilste. Aber mit fast 90 Jahren darf man sich auch ein wenig zurücklehnen und auch an das Alter denken, das er geschenkt bekommen hat.

DOMRADIO.DE: Gerhard Richter hat zu Hause ein schwarzes Album, in dem er alle seine ihm wichtigen Werke im Kleinformat sammelt, darin blättert und sehen kann, was er geschaffen hat. Er verschafft sich so die Möglichkeit, kleinteilig und akribisch einen Überblick über sein Lebenswerk zu erhalten. Was sagt das über ihn?

Gerhard Richter  / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Gerhard Richter / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

Hofmann: Das ist in der Struktur seiner Persönlichkeit begründet. Gerhard Richter ist ein Mann, der sehr konzentriert und mit aller Tatkraft an seine Arbeiten herangeht und sehr kritisch seine eigenen Werke prüft. Er will schon eine Bilanz seines Lebens zusammenstellen, sodass nicht alles dem Zufall zugeordnet wird, sondern er selber auch die Linien vorgibt, was ihm wichtig ist und welche Suche nach Lebens- und Selbsterkenntnis sich in seinen Werken wiederfindet.

DOMRADIO.DE: Er möchte schon gerne die Kontrolle behalten?

Hofmann: Ja, auf jeden Fall.

DOMRADIO.DE: Wenn wir auf sein umfangreiches Werk blicken, stellen wir fest, es ist ein Werk voller Widersprüche. Wir finden fotorealistische Naturdarstellungen, aber Richter spielt auch gerne mit der Unschärfe, mit dem Spiegel und den Spiegelungen. Auch abstrakte Werke finden sich in seinem Ouvre. Und diese unterschiedlichen Stile können nicht einer einzigen Schaffenphase geordnet werden, sondern er greift sie immer wieder auf. Was bewegt Gerhard Richter?

Hofmann: Er lässt sich nicht in einem Mainstream einordnen. Er geht seinen eigenen Weg. Und Sie haben völlig recht. Es tauchen die Gegensätze auf von Planung und Willkür, von Nähe und Distanz, von Präzision und Unschärfe. Er verbindet diese Dinge in seinen Werken. Das zeigt eigentlich, dass er darauf aus ist, das “In-eins-Fallen” der Gegensätze zu erreichen. Nikolaus von Kues (Anm. der Redaktion: Kardinal und Universalgelehrter) hat diese “coincidentia oppositorum” als Begriff geprägt, und das würde ich als Raster auch bei Gerhard Richter anwenden. Es ist das Ziel, dass er aus diesen Gegensätzen heraus auf einmal die Lösung findet.

Da ist sicherlich der Paulussatz aus dem ersten Korintherbrief entscheidend auch für das Lebenswerk von Gerhard Richter. Paulus sagt, jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse. Dann aber schauen
wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich nur unvollkommen. Dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin.

Dieser Satz ist meines Erachtens der Schlüssel, um das Werk Gerhard Richters zu verstehen. Von daher sind seine Spiegel- und Glasarbeiten auch dieser Frage der Wirklichkeitsdeutung zuzuordnen. Er hat ja in den 1960er-Jahren vor allen Dingen diese Spiegelobjekte geschaffen. Er hat immer auch das Mehr, das außerhalb der Künstlerpersönlichkeit liegt, geprägt.

Er ist immer von dem lapidaren Satz ausgegangen: Meine Bilder müssen klüger sein als ich. Also, in dem, was in der Kunst uns zufällt, ist mehr drin, als das, was vom Künstler hinein gegeben worden ist. Das ist für mich natürlich in meiner christlichen Perspektive eine ganz gewichtige Aussage, die Gerhard Richter hier trifft.

DOMRADIO.DE: Das heißt auch, ihn begleitet eine gewisse Demut.

Hofmann: Ja, unbedingt. Er ist ein sehr demütiger, schlichter, zurückgezogener, aber voll gespannter Mensch, der sich ganz auf seine Arbeit und seine Möglichkeiten konzentriert.

DOMRADIO.DE: Vielleicht spielen wir noch mal so ein bisschen mit diesem Gedanken, das Gegensätzliche zu etwas zusammenzufügen. Er ist ja ein Forscher, der es liebt zu experimentieren. Jetzt frage ich mich, wenn er sich in dem Ungewissen, in den Gegensätzen bewegt, verliert er da nicht den Halt?

Hofmann: Nein, er ist stark genug, um diese Gegensätze auszuhalten. Und wo ich auch drauf hinweisen möchte, ist, dass die Bedeutung des Lichtes bei ihm eine Rolle spielt, dass er auch daraufhin seine Werke prüft und schafft.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt das Licht für ihn?

Hofmann: Dass in dem Licht eine Art Erkenntnis uns zuwächst. Wir haben, jetzt theologisch gesprochen, Teil am Gottesreich, das kommt und doch nicht da ist. Es ist im Aufbruch, aber schon haben wir Anteil. Im Licht ist etwas von der nicht fassbaren Wirklichkeit Gottes zu erahnen. Die ganze Gotik etwa ist ja nur möglich geworden, weil man dem Licht eine entsprechende Bedeutung zugesprochen hat. Das ist auch im Gerhard Richter-Fenster im Kölner Dom erlebbar.

Richter-Fenster im Kölner Dom / © Matthias Jung (KNA)
Richter-Fenster im Kölner Dom / © Matthias Jung ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wenn wir aber seine Bilder anschauen, zum Beispiel seine Selbst- oder Familienporträts, entdecken wir auch eine gewisse Schwermut in seinen Bildern. Das Frohe, Lichte fehlt.

Hofmann: Ich würde das nicht ableugnen. Er ist eine Persönlichkeit, die sehr in die Tiefe hineinreicht. Frühere Erlebnisse als Kind etwa in Dresden oder Umgang mit seiner Tante, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde, das ist etwas, was er in sich trägt und was er nicht vergessen kann und was auch seine Arbeiten prägt.

DOMRADIO.DE: Gerhard Richter ist ein Künstler, für den Licht wichtig ist, der in seinen Werken mit Gegensätzen spielt und versucht, Gegensätze immer wieder zu einem größeren Zusammenhang zusammenzufügen. Wie hält es Gerhard Richter mit Gott?

Hofmann: Er ist auf der Suche, das darf ich vielleicht sagen. Wir haben viele Gespräche über Gott miteinander geführt und auch die christliche Theologie entsprechend berührt. Gerhard Richter ist auf der Suche, ein ganzes Leben lang - auch jetzt. Und wie er sich entscheidet, das muss er letztlich selber sagen und selber nach außen tragen.

Das Interview führte Birgitt Schippers.

Quelle:
DR