70 Jahre Anti-Kommunismus-Dekret des Vatikan

Als der Heilige Stuhl Wahlverbote aussprach

Als materialistisch und antichristlich bezeichnete die Kirche den Kommunismus. Vor 70 Jahren veröffentlichte der Vatikan ein Dekret gegen kommunistische Parteien. Es wurden Wahlverbote ausgesprochen. Wie steht man nun zur Politik von linker Seite?

Marx und Engels in Berlin / © Gehrke (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was war vor 70 Jahren der Grund, weshalb sich die katholische Kirche so deutlich vom Kommunismus distanziert hat?

Dr. Norbert Köster (Münsteraner Domkapitular und Kirchenhistoriker): Das waren die Erfahrungen aus der Zeit der Oktoberrevolution und auch aus anderen Ländern - wenn man zum Beispiel nach Spanien schaute und sah, wie die katholische Kirche und auch das Christentum von totalitären Regimen behandelt wurden. Als die Demokratie aufkam und damit auch kommunistische Parteien, ist dann sehr massiv abgelehnt worden, dass Kommunisten gewählt werden können.

DOMRADIO.DE: Der damalige Papst Pius XII. hatte zum Kommunismus ein sehr spannungsgeladenes Verhältnis. Hattes das biografische Gründe?

Köster: 1917 war er nach München gekommen und hat dort 1919 die Räterepublik erlebt. Dort sind die kommunistischen Räte mit dem päpstlichen Nuntius nicht so umgegangen, wie dieser das erwartet hat. Das war für ihn ein riesiger Schock. Kommunismus, das bedeutete für ihn einfach Chaos und Anti-Kirchlichkeit.

DOMRADIO.DE: Gab es denn ähnliche Stellungnahmen und Dekrete der katholischen Kirche zum Faschismus?

Köster: Zum Faschismus ist das wesentlich differenzierter gewesen, obwohl sich Pius XI. vor allem Dingen gegen den Faschismus in Italien sehr deutlich geäußert hat – gegen viele Aspekte des Faschismus.

DOMRADIO.DE: Zehn Jahre nach diesem Dekret wurde dann unter Papst Johannes XXIII. das Verbot für Katholiken, kommunistische Politiker zu wählen und zu unterstützen noch mal bekräftigt. Warum hatte da die katholische Kirche ein solch großes Interesse daran, ihren Mitgliedern das politische Engagement vorzuschreiben?

Köster: Ich glaube, es ging weniger um das politische Engagement, sondern um eine klassische Tradition: Die Kirche ist für die Bildung der Gewissen verantwortlich. Ich glaube, das ist der Hintergrund. Gläubigen wurde gesagt: Wer diese Partei wählt, muss das mit dem Gewissen vereinbaren können. Da sah die Kirche die Schwierigkeit, dass man das nicht mit einem guten Gewissen tun könne, da die Partei sich in manchen Positionen sehr klar vom Christentum abgrenzte.

DOMRADIO.DE: Auch deutsche Bischöfe haben auch immer wieder mal Wahlempfehlungen gegeben. Kardinal Höffner hat noch in den 80er Jahren die Grünen als eine für Christen nicht wählbare Partei bezeichnet. Erst vergangene Woche haben die deutschen Bischöfe in einem Papier vor Rechtspopulisten gewarnt. Wie sehr darf oder sollte die Kirche ihren Gläubigen heute noch vorschreiben, wen sie zu wählen haben und wen nicht?

Köster: Das hat sich heute - Gott sei Dank - sehr wohl geändert. In den damaligen Zeiten standen klare Themen im Vordergrund. In der Abgrenzung vom Kommunismus ging es ganz wesentlich um die Frage des Eigentums und die Aufhebung des Eigentums. Letzterem stand die christliche Soziallehre entgegen. Mit den Grünen kam es in den 80er Jahren massiv zum Konflikt um die Frage der Abtreibung. Wo diese Fragen stark im Vordergrund standen, haben die Bischöfe gemeint, sie müssten die Gewissen der Gläubigen anfragen.

Das hat sich heute sehr deutlich geändert, weil viele gesellschaftliche Diskurse längst weitergegangen sind. Gott sei Dank, das sieht man auch an dem Gespräch zwischen Kardinal Marx Marx und Robert Habeck, dass viele gemeinsame Positionen entdeckt und gestärkt werden.

Das Interview führe Tobias Fricke. 


Norbert Köster, ehemaliger Generalvikar in Münster / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Norbert Köster, ehemaliger Generalvikar in Münster / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR
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