Aktion Sühnezeichen schickt junge Freiwillige nach Brüssel

"Die Religion ist nur ein kleiner Aspekt des Gegenübers"

In Brüssel arbeiten junge Deutsche als Freiwillige in Einrichtungen des jüdischen Lebens. Die 19-jährige Rinah Groeneveld schafft im Jüdischen Museum Begegnungen zwischen Jugendlichen verschiedener Religion und Herkunft.

Autor/in:
Niklas Hlawitschka
Das Jüdische Museum in Brüssel / © Niklas Hlawitschka (epd)
Das Jüdische Museum in Brüssel / © Niklas Hlawitschka ( epd )

"Hier sieht man die wichtigsten Stationen im Leben einer jüdischen Person", erzählt Rinah Groeneveld. Die 19-Jährige führt regelmäßig Besucher durch die Ausstellung im Jüdischen Museum in Brüssel, wo sie einen zwölfmonatigen Freiwilligendienst leistet. Von der Geburt bis zum Tod wird ein typischer Lebensweg nachgezeichnet. Über Dokumente und Bilder, Gebetsmäntel und Schmuck, fällt der Blick auf kunstvoll angerichtete Festspeisen hinter Vitrinenglas. "Das ist ein traditionelles Pessach-Essen", erklärt sie. Ein Stockwerk weiter oben steht sie in einem großen Festsaal. Hier wird nicht nur ausgestellt, hier wird auch das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana gefeiert. "Man kann hier auch die Bar Mizwa, oder Bat Mizwa, wenn es eine Frau ist, feiern." Es sei schade, sagt Rinah, dass die schönen, lebendigen Seiten des Judentums oft vergessen würden.

Seit 1958 organisiert die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) solche Freiwilligendienste. Neben Polen, Tschechien oder der Ukraine sind junge Deutsche auch in westeuropäischen Ländern wie Belgien aktiv. Die deutsche Schuld am Holocaust anzuerkennen, steht im Zentrum der von evangelischen Christen gegründeten ASF. "Nicht als eine irgendwie beträchtliche Hilfe oder Wiedergutmachung, aber als Bitte um Vergebung und Frieden", heißt es im Gründungsaufruf, "bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun."

Aktion Sühnezeichen

Die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) ist ein christlich inspiriertes Hilfswerk, das sich durch Freiwilligenarbeit dem Dienst an Frieden und Versöhnung verschrieben hat. Sie wurde am 30. April 1958 auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland unter wesentlicher Mitwirkung von Präses Lothar Kreyssig (1898-1986) ins Leben gerufen. Am Anfang stehen die Anerkennung der historischen Schuld für die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Überzeugung, dass der erste Schritt zur Versöhnung von den Tätern und ihren Nachkommen ausgehen müsse.

Friedensdemonstration der Aktion Sühnezeichen 1984 (ARCHIV) (KNA)
Friedensdemonstration der Aktion Sühnezeichen 1984 (ARCHIV) / ( KNA )

Museum war bereits Ziel eines Anschlags

Das Museum war bereits Ziel eines judenfeindlichen Anschlags: Am 24. Mai 2014 starben vier Menschen durch die Kugeln eines islamistischen Attentäters. Heute scheint die Sonne in den Innenhof und es herrscht geschäftiger Verkehr. Eine in Luftpolsterfolie verpackte Skulptur des Künstlers Sol LeWitt muss durch die schmale Tür geschleust werden. Rinah sitzt mittlerweile auf einer Bank und macht Mittagspause.

Sie arbeite daran, ein Bewusstsein für die Vielfalt jüdischen Lebens zu schaffen, erzählt sie. Mit dem Gründungsaufruf der Aktion kann sich die junge Bremerin identifizieren. "Ich habe einen Großvater, der im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat. Deshalb spielt meine Herkunft natürlich eine Rolle und ich sehe eine Verantwortung damit verbunden."

Antisemitismus sichtbar im Israelhass

Schon in der Schulzeit habe sie sich gegen Antisemitismus engagiert. Nun gibt sie im Museum Workshops. Ihr Interesse sei der Initiative ihrer Lehrerin zu verdanken, die neben Holocaust und Verfolgung auch die jüdische Kultur im Unterricht behandelt habe.

Gerade wenn Schulklassen das Museum besuchten, sagt Rinah, gebe es häufig Diskussionen. In Brüssel träfen viele Kulturen aufeinander. Vor allem der Nahostkonflikt polarisiere. Antisemitismus werde heute sichtbar als Israelhass.

"Ich fürchte mich etwas davor, dass die beiden Minderheiten Islam und Judentum gegeneinander aufgehetzt werden. Dass Fronten entstehen, die nicht entstehen müssten." Andererseits könne man auch über das Judentum als weltoffene und liberale Religion aufklären.

Zu Begegnung und Dialog anregen 

Deshalb versucht das Jüdische Museum Formate zu schaffen, die zu Begegnung und Dialog anregen. Sie habe sich vor allem über eine Begegnung gefreut, erzählt Rinah. "Es kamen eine Schulklasse aus einer jüdischen Schule und drei Klassen aus öffentlichen Schulen. Für gemeinsame Aktivitäten wurden sie durchmischt. Für mich war es interessant, zu beobachten, wie Brücken gebaut wurden, und dass die Religion nur ein kleiner Aspekt des Gegenübers geworden ist." Das sei der richtige Weg, findet sie.

"Wenn die Menschen die Kultur der anderen kennen, gibt es mehr Verständnis und Akzeptanz", meint auch Rabbi Avi Tawil. Er ist Direktor des Europäischen Jüdischen Gemeindezentrums EJCC. Durch die Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen in Brüssel bemüht sich die Organisation darum, die Geschichte der jüdischen Kultur in Europa zu beleuchten.

Draußen scheint die Sonne, eine Klimaanlage kühlt den Konferenzraum auf angenehme 25 Grad. Die Räume sind in einem Hinterhof, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Europäischen Parlament, über einer Synagoge. Im Internet findet man die Adresse zum Schutz der jüdischen Gemeinde nicht, von der Straße aus deutet nichts auf ein jüdisches Zentrum und Gotteshaus hin.

"Anfangs wie ein Eimer kaltes Wasser"

Auch im EJCC arbeiten zwei deutsche Freiwillige über die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. "Für die jüdische Gemeinde war es anfangs wie ein Eimer kaltes Wasser, deutsche Freiwillige hier zu haben", erzählt der Rabbi lachend. "Mittlerweile ist es normal und schön, dass sich Deutsche in die jüdische Kultur und Arbeit einbringen."

Denn jüdisches Leben gehöre zur europäischen Kultur, trotz Holocaust und Hass, das erlebten die Brüsseler ASF-Freiwilligen. Rabbi Avi Tawil: "Das Bewusstsein für die Geschichte der jüdischen Kultur zu schärfen, bedeutet nicht nur, über Antisemitismus zu sprechen. Es bedeutet vor allem, das Leben zu feiern!"
 

Quelle:
epd
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