AfD zu zehntem Geburtstag auch bei Katholiken beliebt?

"Kein Rückweg bei der Radikalisierung"

Vor zehn Jahren trafen sich im Gemeindezentrum der Christuskirche in Oberursel 18 Männer, um eine neue Partei zu gründen: Alternative für Deutschland – AFD – nannten sie die Partei. Was bedeutet der zehnte Geburtstag der Partei?

Fahnen der AfD / © Peter Steffen (dpa)
Fahnen der AfD / © Peter Steffen ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ist es richtig, wenn ich sage, dass die AfD immer extremer geworden ist, wenn es darum geht, immer dagegen zu sein?

Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist): Ja. Die Radikalisierung besteht allerdings nicht nur im Dagegensein. Sie ist am augenscheinlichsten ablesbar am Verschleiß und Verlust von Gründungsmitgliedern und von Parteivorsitzenden. Bei Wahlen setzen sich fast immer Kandidaten durch, die zumindest ein entspanntes Verhältnis zum Flügel haben oder die dazu gehören. Zudem sieht man die Radikalität deutlich bei Umfragen, wo der Balken der AfD-Anhänger meistens heraussticht aus allen anderen Parteianhängerschaften, auch bei der Demokratiezufriedenheit, wo die AfD-Wähler noch unzufriedener sind als die Anhänger der Linkspartei.

Und zuletzt beim großen Lackmustest des verbrecherischen Krieges Putins, wo die AfD den Linken den Rang als Liebling des Kremls abgelaufen hat, aber auch in der Einstellung zu Orban oder zu Trump. Man muss sich nur mal die Aussteiger-Zeugnisse durchlesen, wie etwa von Franziska Schreiber das Buch "Inside AfD". Dann sieht man, dass die zweite und dritte Reihe der Funktionäre tendenziell noch radikaler ist als die erste. Ich warne allerdings davor zu meinen, es sei am Anfang eine ganz normale Partei gewesen, die sich dann später radikalisiert habe. Denn die Verähnlichung von Demokratie und Diktatur, also die Verleumdung unseres demokratischen Rechtsstaats als quasi diktatorisch findet sich schon im Grundsatzprogramm.

IW Köln: AfD hat deutlich weniger Anlaufstellen als andere Parteien

Die AfD ist laut einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) mit ihren Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger weniger präsent als andere Parteien in Deutschland. "Das Selbstbild der Partei, besonders volksnah zu sein, trügt mindestens hinsichtlich ihrer Verankerung in der Fläche", sagte der Politikwissenschaftler und Studienautor, Knut Bergmann, am Montag in Köln mit Blick auf die Parteigründung vor zehn Jahren. Um die Präsenz der Parteien vor Ort zu ermessen, hat das IW-Team die Verfügbarkeit von Anlaufstellen der Parteien untersucht.

Bonbon der AfD (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Einige Politikerinnen und Politiker sind im Laufe der Parteiengeschichte auf der Strecke geblieben. Zum Beispiel ja auch der Gründungsvater Bernd Lucke, Frauke Petry oder auch Jörg Meuthen. Das scheint der Partei aber gar nicht geschadet zu haben?

Püttmann: Ja, und dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst die Dominanz von Feindbildern bis hin zum Hass. Das schweißt zusammen und relativiert interne Differenzen oder marginalisiert sie völlig. Die Integration verläuft über das Negative, über Verachtung. Dazu kommt ein Mangel an politischer Bildung. Das heißt, dass viele AfD-Anhänger Extremismus gar nicht erkennen bzw. seine Gefahren unterschätzen, weil ihnen die historisch-politischen Kategorien fehlen.

Und schließlich beantwortet sich die Frage nicht nur durch das Angebot an Politik, das die AfD macht, sondern auch durch die Beschaffenheit ihrer Wählersegmente. Hier muss man einfach realistisch feststellen, dass in jeder Gesellschaft ein gewisser Prozentsatz an autoritären Persönlichkeiten existiert sowie an destruktiven, querulantischen, teils auch versponnenen Geistern. Und denen ist es relativ egal, ob die AfD ihr Politikangebot so oder so variiert. Sie werden ihr immer treu bleiben. AfD-Wähler sind auch diejenigen, die vor Wahlen am frühesten ihre Wahlentscheidung getroffen haben.  

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf das Verhältnis der AfD zu den Kirchen. Gibt es da in konservativen katholischen Kreisen Schnittmengen, also Sympathisanten mit der AfD?

Püttmann: Von Beginn an war es so, dass Katholiken und Protestanten unterdurchschnittlich die AfD gewählt haben, insbesondere die kirchennahen Katholiken. Da hat der "sensus fidelium", die Schwarmintelligenz ethisch gut funktioniert. Übrigens auch dank Orientierungen, die etwa das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Diözesanräte, Verbände oder die Deutsche Bischofskonferenz durch rote Linien gegeben haben.

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist)

"Kennzeichnend für die kleine Gruppe Rechtskatholiken ist die Fokussierung auf ganz wenige Themen, insbesondere Abtreibung, das Geschlechterverhältnis und dabei vor allem Homosexualität sowie den Islam."

Wie zu erwarten, gibt es aber auch ein kleines Segment an autoritär Katholischen und an Törichten, die auf das Angebot der AfD angesprungen sind. Das war ab 1930 auch nicht anders. Da haben ja auch nicht alle Katholiken das Zentrum oder sonstwie demokratisch gewählt. Kennzeichnend für die kleine Gruppe Rechtskatholiken ist die Fokussierung auf ganz wenige Themen, insbesondere Abtreibung, das Geschlechterverhältnis und dabei vor allem Homosexualität sowie den Islam.

Wer nur diese zwei, drei Themen im Auge hat und alles andere nicht, also mit einem Tunnelblick auf die Politik schaut, der lässt sich leicht von Rechtsaußen verführen. Diesen Katholikentypus hat übrigens der Papst in "Evangelii Gaudium", Ziffer 93 folgende, sehr gut beschrieben im Kapitel "Nein zur spirituellen Weltlichkeit", wo er sagt: Das sind ostentativ Rechtgläubige, die ihre Energien im Kontrollieren anderer verbrauchen, und die sich rigoristisch besonders da zeigen, wo sie selbst sich nicht einschränken müssen. Sie stellen eine narzisstische Kirche dar, die sich selbst genügt, und wollen ein Museum aus dem Christentum machen. Ich empfehle jedem, das mal nachzulesen.

DOMRADIO.DE: Eng damit verbunden ist ja auch vielleicht das Verhältnis zur CDU. Friedrich Merz hat sich immer klar distanziert. Im Osten Deutschlands gibt es aber auch Parteimitglieder, die sich eine Koalition mit der AfD durchaus vorstellen könnten.

Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, stand wegen seiner Zahnarzt-Äußerung in der Kritik / © Michael Kappeler (dpa)
Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, stand wegen seiner Zahnarzt-Äußerung in der Kritik / © Michael Kappeler ( dpa )

Püttmann: Bei Merz ist es so: Er hat grundsätzlich seine Distanz zur AfD mehrfach betont. Verbal hat er ihr allerdings durch rhetorische Ausrutscher immer wieder Legitimationshilfe gegeben. Mit dem angeblichen ukrainischen Sozialtourismus, den migrantischen "Paschas" und so weiter. Das wird ja AfD-Wähler mehr bestätigen. Und er ist dem AfD-nahen Flügel seiner Partei nicht frühzeitig und entschlossen genug entgegengetreten, wenn es konkret wurde. Beispielsweise ist die Causa Maaßen viel zu lange verschleppt worden. Da war er allerdings nicht der einzige. Sein Vize Kretschmer gibt auch nicht gerade ein positives Beispiel der scharfen Abgrenzung; übrigens auch nicht gegenüber Putin-Russland.

Die AfD ihrerseits wäre wahrscheinlich bereit, um Machtposten zu erlangen, in Koalitionen zu gehen. Allerdings wäre sie wohl kaum kompromissfähig. Und die Frage stellt sich sowieso nicht, da für die CDU so eine Bündnispolitik suizidal wäre. Man weiß allerdings nicht, was in zehn Jahren sein wird. Die Linkspartei sitzt zwar nach 33 Jahren noch immer nicht in der Bundesregierung.

Die bloße parlamentarische Zeit führt also nicht schon zur Mäßigung und zur Regierungsfähigkeit. Sie kann auch im Gegenteil Radikalisierung zeitigen. Wenn sich allerdings die Radikalisierung weiter in die Mitte der Gesellschaft hineinfrisst und die Probleme sich verschärfen, dann halte ich nicht für ausgeschlossen, dass man – am ehesten in den ostdeutschen Ländern – irgendwann doch sehen wird, dass man vielleicht erst mal über eine Duldung oder über eine partielle Zusammenarbeit doch die Brandmauer durchlöchert. Ich kann der CDU nur davon abraten, denn dann würde sie eine andere Partei.

DOMRADIO.DE: Sie haben es schon angedeutet: Zehn Jahre ist die AfD alt. Wie kann sie sich weiter entwickeln? Wo steht sie vielleicht in den nächsten zehn Jahren? Und ist es denkbar, dass sie dann vielleicht in der Regierung sitzt?

Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und Publizist)

"Ich fürchte aber, dass wir weiterhin in stürmischen Zeiten leben werden und dass Radikale davon profitieren."

Püttmann: Ich denke, dass es keinen Rückweg gibt bei der Radikalisierung. Wir haben mehrere Schübe erlebt, von Lucke über Petry, über Meuthen sind wir jetzt bei Weidel und Chrupalla angekommen, und ich kann nicht erkennen, welche gesellschaftlichen oder geistigen Faktoren dafür sprechen sollten, dass sich die Partei jetzt plötzlich beginnt zu mäßigen und regierungsfähig zu werden.

Insofern müsste sich schon umgekehrt die Gesellschaft weiter radikalisieren, um die AfD in Regierungsverantwortung zu bringen. Das freilich kann man schlecht prognostizieren, weil man nicht weiß, wie die internationale und die wirtschaftliche Lage sich weiterentwickeln. Ich fürchte aber, dass wir weiterhin in stürmischen Zeiten leben werden und dass Radikale davon profitieren. Insofern kann ich nicht ausschließen, dass irgendwann die AfD doch mal in eine Regierung eintritt, zumindest in östlichen Bundesländern, wo sie sehr stark ist.  

Das Interview führte Elena Hong. 

Quelle:
DR