Ägyptens Christen blicken auf ein Jahr voller Höhen und Tiefen zurück

Das Jahr begann mit einer Katastrophe

Ägyptens Christen blicken auf ein Jahr voller Höhen und Tiefen zurück. Nach Anschlägen auf Kirchen und Wahlerfolgen der Islamisten machen sich die Kopten Sorgen um die Zukunft. Viele wollen auswandern.

 (DR)

"Ich erinnere mich genau: Ich stand hier hinter der Tür und dort explodierte die Bombe", beschreibt Hany Botros. Der 55-jährige Ingenieur steht am Eingang der "Kirche der zwei Heiligen" von Alexandria. Als in der Silvesternacht vor einem Jahr die Mitternachtsmesse zu Ende ging, explodierte genau hier ein Sprengsatz. 24 Menschen starben. "Für uns begann das letzte Jahr mit einer Katastrophe, aber das Blut der Märtyrer wurde nicht umsonst vergossen", sagt er.



Positiv geprägt sind seine Erinnerungen an die Welle der Solidarität, die auf den Anschlag folgte: Viele Muslime kamen zu Mahnwachen und es wurde modern, T-Shirts mit Kreuz und Halbmond zu tragen. Auch während der Revolution, die im Januar begann und nach nur 18 Tagen zum Sturz von Präsident Husni Mubarak führte, hielten Christen und Muslime fest zusammen.



"Das waren schöne Tage, leider wurde die Revolution inzwischen von den radikalen Islamisten gekidnappt", so der Ingenieur. Tatsächlich fühlen sich viele Christen als Verlierer der Revolution. Bereits Tage nach dem Fall Mubaraks brannte südlich von Kairo die erste Kirche. Radikale Islamisten hatten sie angezündet und die Armee nicht beschützt.



Immer mehr Kopten wollen auswandern

Es kam zu großen Demonstrationen von Christen, die häufig in wüsten Straßenschlachten endeten. Bald darauf brannte die nächste Kirche in Kairo, auch diesmal waren es Salafisten, die sie angriffen und zerstörten. Immer mehr Kopten - sie machen rund zehn Prozent der 83 Millionen Ägypter aus - beschlossen daraufhin, die Koffer zu packen und auszuwandern.



"Ich habe mir nie vorstellen können, mein Land zu verlassen und habe in den letzten Monaten auch meine Freunde und Bekannten beschimpft, die gehen wollten, aber jetzt reicht es auch mir", sagt Ingy Hanna, eine Mutter von drei Mädchen. Ihren Entschluss fasste sie am 9. Oktober, als sie im TV die Bilder sah, wie die Militärpolizei mit großer Gewalt gegen vornehmlich christliche Demonstranten in Kairo vorging. 27 Menschen starben dabei.



"Es ist so deutlich, dass wir keine Zukunft in diesem Land haben", sagt sie und erzählt, wie sie weinte als sie den Visumsantrag für Kanada ausfüllte. Wie viele Christen Ägypten seit der Revolution verlassen haben, ist unklar. Wie viele von ihnen sowieso planten, ihr Glück im Ausland zu suchen ebenso.



Klar ist aber, dass sich viele Sorgen um die Zukunft machen: Erst recht, nachdem erste Ergebnisse der Parlamentswahlen bekannt wurden. Auf 70 Prozent könnten islamische Parteien im Parlament kommen, besonders beunruhigend ist das gute Abschneiden der radikalen Salafisten mit rund 20 Prozent. Sie punkteten beim Wähler mit Hetzparolen gegen Christen und Touristen.



Einschränkung beim Kirchenbau

Es gilt als unwahrscheinlich, dass ein solches Parlament das dringend erwartete Kirchenbau-Gesetz verabschiedet. Die Einschränkung beim Kirchenbau empfinden Christen seit Jahren als Diskriminierung, und um illegale Kirchen gibt es immer wieder Streit, der nicht selten mit Toten und Verletzten endet. "Trotz allem, ich bleibe!", sagt Ingenieur Hany Butros: "Wir Christen haben uns schon viel zu lange zurückgezogen und klein gemacht. Jetzt ist der Moment, wo wir uns in der Gesellschaft engagieren müssen, um das Land und die Gesellschaft zu verändern", sagt er.



Er ist deswegen Mitglied der Partei der freien Ägypter geworden. Sie wurde von dem christlichen Multimillionär Naguib Sawiris gegründet und hat bei den Parlamentswahlen recht gut abgeschnitten.

"Wir können nicht warten, bis uns jemand die Rechte gibt, die müssen wir uns schon selbst erstreiten", sagt Tamir Fouad. Auch er war vor einem Jahr in der "Kirche der zwei Heiligen" und entkam nur durch Zufall dem Anschlag.



Heute gehört Tamir Fouad zur "Jugend von Maspero", einer Gruppe christlicher Jugendlicher, die Demonstrationen organisieren - für Christenrechte und mehr Demokratie. "Es sieht zwar im Moment schlecht aus, aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben!", sagt er.