Weihnachtsgruß des Patriarchen Fouad Twal

"Kein Frieden ohne Gerechtigkeit"

Erzbischof Fouad Twal ist seit Juni 2008 Lateinischer Patriarch von Jerusalem und damit der höchste Vertreter der katholischen Kirche im Heiligen Land. In seinem Weihnachtsgruß geht er auch auf die Morde an Kopten in Ägypten und die Verfolgung der aramäischen Christen ein.

Erzbischof Fouad Twal / © Jan Hendrik Stens (DR)
Erzbischof Fouad Twal / © Jan Hendrik Stens ( DR )

"Weihnachten gilt als Fest der Freude und des Friedens. Freude über die Geburt des Erlösers der Menschheit, des Gottessohnes Jesus Christus. In der Mitternachtsmesse am historischen Ort der Geburt Jesu in Bethlehem will sich die Mutterkirche von Jerusalem auch in diesem Jahr wieder ergreifen lassen von der Erfüllung der Jahrtausende alten Prophezeiung der Ankunft des Messias, des Nachkommen Evas, der der Schlange den Kopf zertritt (Gen 3,15), des Immanuel - "Gott mit uns" - des Propheten Jesaja (7,14).



Die ersten Zeugen dieser Erfüllung waren nicht die Frommen und Gelehrten aus Jerusalem, nicht die Mächtigen am Königshof. Der gute Gott sandte Seine himmlischen Boten mit dieser Freudenbotschaft zu den armen und diskriminierten Hirten auf dem Felde bei Bethlehem.

Die Herzen dieser "Am Haaretz" - des verachteten Volkes vom Lande -, die wenig Anteil an den Freuden dieser Welt hatten, waren offen und frei für die dankbare Aufnahme der entscheidendsten Heilsbotschaft der Menschheitsgeschichte: "Euch ist heute in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr" (Lk 2,11). Und nachdem sie das Kind in der Krippe bei Maria und Josef gesehen hatten, kehrten sie voll unaussprechlicher Freude, Gott lobend und preisend, zu ihrer Herde zurück (Lk 2,20).



Der Gesang der Engel verkündet den Frieden. Frieden für eine Welt unter Besatzung, damals der römischen, in welcher Unzufriedenheit, Aufstände und Kriege den Alltag bestimmten. Kommt uns das nicht bekannt vor? Die Welt durchlebt gerade eine Anhäufung von Krisen, die Unsicherheit und Angst vor der Zukunft mit sich bringt: die Wirtschafts- und Finanzkrise - Angst vor materiellem Verlust; die Aufbrüche und Bürgerkriege in der arabischen Welt mit unvorhersehbaren politischen Entwicklungen und Folgen - schwankende Erwartungshaltungen, die sich besonders unter Juden und Christen zunehmend pessimistisch gestalten.



Die Morde an den koptischen Christen in Ägypten und die anhaltende islamistische Verfolgung der aramäischen Christen im Irak tragen zur wachsenden Verunsicherung der bedrängten Kirche des Ostens bei. Von einem politischen oder gesellschaftlichen Frieden sind wir in unserer Region noch weit entfernt. Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.



Gerechtigkeit kann man definieren als den Zustand des Einzelnen oder einer Gemeinschaft, dem oder der all das zugestanden und verschafft wird, was nach den allgemeinen Menschenrechten ihm oder ihr ein menschenwürdiges Leben, seiner Eigenheit angemessen, ermöglicht.

Gesellschaftliche Marginalisierung von Minderheiten und noch mehr die Unterdrückung und Bevormundung eines ganzen Volkes durch eigene oder fremde Machthaber, sind schwere Vergehen gegen die Gerechtigkeit. Regierungen und Politiker und die Gesellschaft, die ihr Parlament wählt, müssen sich dessen bewusst werden: Es gibt keinen Frieden ohne diese Gerechtigkeit, weder für die Unterdrückten noch für den Ünterdrücker; weder für die Besetzten noch für die Besatzer.



Die Weihnachtsbotschaft der Engel an die Hirten spricht von einem Frieden, der denen zugute kommt, die "guten Willens" sind. Hier ist zunächst der Frieden gemeint, den Gott mit den Menschen macht. Der Frieden des Herzens, der hervorgeht aus der persönlichen Verbindung mit dem liebenden und verzeihenden Gott. Durch Seine Menschwerdung und Sein daraus folgendes Opfer am Kreuz hat der Gottessohn die Sünde - das ist die Ungerechtigkeit der Menschen - getilgt und sie in und durch sich gerecht gemacht. Er ist für uns zur Gerechtigkeit geworden (1 Kor 1,30) und hat so den Frieden zwischen Gott und Mensch gestiftet; einen Frieden, von dem er selbst sagt, dass ihn die Welt nicht gibt (Joh 14,27).



Allen, die "guten Willen" haben, die diese Gerechtigkeit annehmen und anwenden, schenkt er diesen Herzensfrieden. Nur solche haben die Voraussetzung, über jenen wahren Frieden, den Frieden zwischen den Menschen, den Gesellschaften und Völkern aufzubauen. Mögen sich die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes bewegen lassen und sich in allen Belangen als Menschen "guten Willens" erweisen. Möge jeder von Ihnen wie ein "Heiliges Land" sein, in dem der Herr geboren werden kann und anderen Licht und Frieden spendet. Ich wünsche allen Lesern diesen wunderbaren, weihnachtlichen Frieden und ein gnadenreiches Christfest!"



+ Fouad Twal, Lateinischer Patriarch von Jerusalem



Zur Person:

Der Jordanier Fouad Twal wurde am 23. Oktober 1940 als fünftes von neun Kindern einer christlichen Familie geboren. Nach seiner Priesterweihe und sechs Jahren in verschiedenen Pfarreien ging er 1972 zur Promotion in Kirchenrecht nach Rom. Anschließend wechselte er als erster Araber in die diplomatische Akademie des Heiligen Stuhls und diente 18 Jahre als Kirchendiplomat, unter anderem von 1988 bis 1990 in Deutschland.



1992 wurde Twal zum Erzbischof von Tunis ernannt, 2005 zum Koadjutor und designierten Nachfolger des Palästinensers Michel Sabbah als Patriarch von Jerusalem. Sabbah war 1987 nach 140 Jahren als erster Einheimischer zum Oberhaupt der meist arabischen Katholiken des westlichen Ritus in Israel, den palästinensischen Gebieten, Jordanien und Zypern berufen worden. Als Patriarch von Jerusalem setzt Twal einen stärkeren Akzent auf die Seelsorge denn auf die Politik. Allerdings fühlt er sich immer wieder auch aufgrund der aktuellen Situation zu politischen Aussagen gedrängt.



Twal stammt aus einem alten christlichen Beduinenstamm in Jordanien.

Zwar kenne er das Nomadenleben selbst nur noch aus den Erzählungen seiner Großeltern, berichtet er. Doch habe seine Familie sich aus dieser Zeit die Gastfreundschaft bewahrt. "Unser Haus war immer voll, bis in die Nacht hinein. Ein wenig habe ich mir das bis heute zu erhalten versucht: Wenn man mich besuchen will, genügt ein Telefonanruf - auch wenn meine Zeit leider sehr viel knapper bemessen ist als früher."