Nach einem Treffen der Krisenobleute in der Deutschen Botschaft nannte er am Donnerstagabend im telefonischen Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur die politische Lage sehr unübersichtlich. Neue blutige Zusammenstöße nach dem muslimischen Freitagsgebet seien nicht auszuschließen.
Deutsche Staatsbürger seien dringend aufgefordert, Menschenansammlungen zu vermeiden, so der Pfarrer. Er selbst werde mit seiner Soutane als ein "Mann Gottes" respektiert und habe sich noch vergleichsweise frei bewegen können. Zum Kloster der Boromäerinnen, einem der Gebetsorte der deutschen Gemeinde nahe dem zuletzt umkämpften Tahrir-Platz, habe er jedoch am späten Nachmittag nicht mehr durchdringen können. Schroedel und sein Seelsorge-Mitarbeiter Frank van der Velden wollten einstweilen in der Hauptstadt bleiben.
Die jüngsten Äußerungen und Gesprächsangebote der ägyptischen Regierung wertete der Pfarrer als extrem widersprüchlich. "Offenkundig ist sehr viel Augenwischerei dabei", so Schroedel wörtlich. Er persönlich könne sich kaum vorstellen, dass der neue Vizepräsident Omar Suleiman glaubwürdig als Heilsbringer und Versöhner fungieren könnte. Über viele Jahre hätten die Ägypter unter dem von ihm geleiteten Geheimdienst leiden müssen, erinnerte der Pfarrer.
"Das ist nicht mehr Ägypten"
Auch die Entschuldigung des neuen Ministerpräsidenten Ahmad Schafik für das Aufmischen der Demonstranten sei so nicht zu akzeptieren. Schroedel: "Wir sprechen von mindestens 600 Verletzten und mindestens 6 bis 12 Toten - da sagt man doch nicht einfach sorry, war nicht so gemeint."
Die Szenen vom Mittwoch, als Kamelreiter am Tahrir-Platz in die zuvor friedliche Menschenmenge gesprengt seien, hat der Geistliche nach eigenen Worten "wie im Film" erlebt. Viele ägyptische Bekannte, auch Jugendliche, mit denen er seitdem gesprochen habe, hätten ihm fassungslos gesagt: "Das ist nicht mehr Ägypten."
Evangelischer Pfarrer feiert Gottesdienst trotz Unruhen
Axel Matyba, Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Kairo, will trotz Chaos und Gewalt am kommenden Sonntag einen Gottesdienst in der ägyptischen Hauptstadt feiern. Der Gottesdienst solle nicht in der Kirche der Gemeinde, sondern in der Kapelle der Deutschen Evangelischen Oberschule gefeiert werden, sagte Matyba den "Kieler Nachrichten". Die Kirche liege in einer Gegend "zu dicht am Geschehen".
Er fürchte zwar nicht um seine Sicherheit, doch sei er froh, dass seine Frau mit den beiden Kindern nach Deutschland zurückgekehrt ist, so Matyba. Er selber wolle im Land bleiben solange die Botschaft nicht zur Ausreise auffordert. Der Alltag laufe wegen der Gewalt derzeit eingeschränkt. "Man weiß, welche Gegenden man meiden sollte", sagte der evangelische Theologe.
Erstmals Reisewarnungen
Wie das Auswärtige Amt mitteilte, wird nun vor Reisen nach Kairo, Alexandria und Suez gewarnt. "Von Reisen in die übrigen Landesteile einschließlich der Urlaubsgebiete am Roten Meer wird weiterhin dringend abgeraten", hieß es. Deutschen Staatsangehörigen wird nachdrücklich geraten, die Ausgangssperre strikt zu beachten und möglichst auch außerhalb der Sperrzeiten, insbesondere am Freitag, dem 4. Februar, in sicheren Unterkünften zu bleiben.
Darüber hinaus empfiehlt das Auswärtige Amt, eine Ausreise aus Kairo, Alexandria und Suez ernsthaft in Erwägung zu ziehen, sofern dies sicher möglich sei. Dazu sollten die Angebote der Fluggesellschaften genutzt werden. Der Mitteilung zufolge berät die deutsche Botschaft in Kairo Ausreisewillige und organisiert nach Möglichkeit gesicherte Konvois zum Flughafen.
USA wollen Wende
Vor neuen Protesten nach dem Freitagsgebet hat in der Nacht in Kairo eine "angespannte Atmosphäre" geherrscht. Die Lage sei ruhig, berichtete eine Korrespondentin des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira. Sporadisch seien Schüsse zu hören gewesen. Zu den neuen Protesten würden Hunderttausende erwartet. Die Opposition hatte den Freitag zuvor zum "Tag des Abgangs" für Mubarak erklärt.
Derweil drängen die USA mit aller Macht auf eine Wende in Ägypten. Obwohl Mubarak die Macht nicht aus den Händen geben will, arbeitet Washington an einer Lösung. Nach einem Bericht der "New York Times" diskutieren die Regierung von Präsident Barack Obama mit ägyptischen Regierungsbeamten einen Vorschlag für einen sofortigen Rücktritt Mubaraks.
In Ägypten droht erneut Gewalt – erstmals Reisewarnungen für Deutsche
Sorge vor blutigem Freitag
Auch für Ausländer wird die Lage in Ägypten immer gefährlicher: Nach der Eskalation der Auseinandersetzungen hat das Auswärtige Amt nun erstmals Reisewarnungen für das Land herausgegeben. Inzwischen hat die Hälfte aller Deutschen das Land verlassen, schätzt der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Kairo, Joachim Schroedel.
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