Vatikanberater blickt auf die Auseinandersetzungen in Ägypten

"Leute haben die Nase voll"

Alle Augen blicken besorgt, aber auch hoffnungsvoll nach Ägypten. Wie wird es in dem Land weitergehen? Welche Rolle werden in Zukunft Islamisten in der Politik spielen? Der ägyptische Jesuit Samir Khalil Samir berät den Vatikan.

 (DR)

Er sieht durchaus Unterschiede zur Situation in Tunesien, wo zuvor das Volk Präsident Ben Ali gestürzt hatte. "Tunesien ist viel weiter vorn als Ägypten, religiös und theologisch gesehen." Ägypten stehe dagegen in der Mitte zwischen der sehr traditionellen und der sehr offenen Linie, so Pater Samir im Interview mit Radio Vatikan. Aus christlicher Sicht könne er nachvollziehen, wenn aus Sicherheitsgründe manche weiter für den alten Machthaber Mubarak seien. Ihn kenne man und wisse, was komme - das sei die traditionelle Vorsicht. "Aber ich glaube, eines muss sich ändern: Die Ägypter leiden zu sehr", sagt der ägyptische Jesuit. "Wir brauchen eine Erneuerung - sicher nicht eine islamische, aber auch nicht eine harte Regierung."



P. Samir: Religiöse Rede fehlt in dieser Woche

Pater Samir glaubt angesichts der Entwicklung in Kairo eher nicht an einen bestehenden Machtzuwachs der Islamisten. "Die Leute wollen jetzt eine moderate Regierung, aber mit mehr Freiheit." Zurzeit seien in dem Land religiöse Unterschiede nachrangig. "Man merkt, dass die religiöse Rede in dieser Woche fehlte - es ging um Leben, um mehr Gerechtigkeit und mehr Freiheit." Der Jesuit erinnert, rund 30 Millionen Menschen müssten in dem Land geradezu um ihr Leben kämpfen.



In Kairo kamen in den vergangenen Tagen Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei und Vertreter der Muslimbruderschaft zu Gesprächen zusammen. Auch wenn die Opposition mit ElBaradei unter Beteiligung der Muslimbruderschaft an die Macht kommen sollte, hat der Jesuit wenig Bedenken. "Sie werden natürlich versuchen, mehr Einfluss bekommen." Doch von ihnen gehe keine Gefahr aus. Pater Samir sieht aber eine Tendenz hin zu einer "optischen Islamisierung" der Öffentlichkeit, vorallem sichtbar an der Kleidung.



Islamische Gelehrte für Modernisierung

Überrascht hat Pater Samir ein Schreiben von islamischen Gelehrten, dass kurz vor Beginn der Proteste veröffentlicht wurde. Die Gelehrten forderten darin eine Modernisierung des Islams.  Aus 22 Punkten besteht das am 24. Januar in der Zeitschrift "Der siebte Tag" veröffentlichte Dokument. "Ein für mich sehr wichtiger Punkt darin ist Nummer sieben: Wir wollen diese neue Tendenz einer äußerlichen Religiosität blockieren, die Sachen gehören nicht zu unserer Kultur", zitiert Pater Samir aus dem Schreiben.



Die Meldungen über gewaltsame Auseinanderschlagungen der Proteste reißen nicht ab, doch bis jetzt scheint die Opposition nicht einzuknicken. "Die Leute haben die Nase voll! Sie wollen essen, sie wollen Gerechtigkeit, und sie wollen, wenn sie krank sind, nicht unbedingt sterben, sondern Medizin bekommen können." Der Vatikanberater traut Mohammed ElBaradei zu, dass er die Opposition anführen kann. "Es wäre allerding besser, wenn er, wie er selbst gesagt hat, nur ein Übergangspräsident würde bis Ägypten seinen Weg findet."



Momentan ließen sich nur schwer Aussagen über den weiteren Verlauf der Vorgänge in Ägypten treffen. "Momentan gibt es keine Linie, das ist eine spontane oder nicht ganz spontane Volksreaktion, dahinter steht keine Partei und die Opposition hat sehr allgemeine Prinzipien, aber kein Programm!"