Adveniat blickt mit Sorge auf Stichwahl in Argentinien

"Der Kompass ist die Option für die Armen"

Am Sonntag treten in Argentinien Javier Milei und Sergio Massa in der Stichwahl um das Präsidentenamt an. Pater Martin Maier von Adveniat erklärt, warum der Ausgang der Wahl völlig offen ist und welche Rolle Papst Franziskus spielt.

Argentinien: Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei Massa jubeln während einer Wahlkampfveranstaltung / © Natacha Pisarenko/AP (dpa)
Argentinien: Anhänger des Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei Massa jubeln während einer Wahlkampfveranstaltung / © Natacha Pisarenko/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE Eigentlich galt der Populist Milei schon in der ersten Runde der Wahlen als Favorit. Dass Massa dann klar gewonnen hat, hat viele erst einmal erleichtert. Aber jetzt ist das Rennen wieder total offen. Warum?

Pater Martin Maier SJ (Hauptgeschäftsführer des katholischen Lateinamerikahilfswerks Adveniat): Javier Milei lag in den Vorwahlen knapp vor der zweiten Kandidatin der Konservativen, Patricia Bullrich, und Sergio Massa. Der derzeitige Wirtschaftsminister lag eigentlich ziemlich abgeschlagen mit 21 Prozent auf dem dritten Platz. Von daher war es überraschend, dass er jetzt im ersten Wahlgang eine deutliche Mehrheit von 36 Prozent gegenüber etwa 30 Prozent von Milei erreicht hat. Patricia Bullrich kam auf 23 Prozent.

Martin Maier / © Andre Zelck (KNA)
Martin Maier / © Andre Zelck ( KNA )

Bei der Stichwahl wird jetzt entscheidend sein, auf welche Seite sich die Wähler und Wählerinnen von Bullrich stellen. Sie hat sehr schnell nach den Wahlen eine Empfehlung für Javier Milei abgegeben. Aber es ist davon auszugehen, dass nicht alle ihrer Wähler und Wählerinnen dieser Empfehlung folgen werden. Von daher ist der Wahlausgang derzeit offen.

DOMRADIO.DE Beobachter nennen Javier Milei in einem Atemzug mit radikalen Politikern wie den Ex-Präsidenten aus den USA und Brasilien, also mit Donald Trump und Jair Bolsonaro. Was will Milei, wofür steht er?

P. Maier: Das Symbol, das Milei immer wieder für seine Politik verwendet hat, ist das der Motorsäge. Er möchte den Staatsapparat zersägen. Er vertritt eine extrem liberale Wirtschaftspolitik. Er möchte staatliche Subventionen streichen. Er hat angekündigt, die Zentralbank abzuschaffen. Er möchte die Wirtschaft dollarisieren. Er leugnet den menschengemachten Klimawandel. Er möchte den freien Verkauf von Schusswaffen einführen. All das weckt große Sorgen. Und er wendet sich auch immer wieder polemisch-populistisch gegen die herrschende politische Kaste.

DOMRADIO.DE Er hat sich tatsächlich auch immer polemisch und ausfällig gegen Papst Franziskus gewendet. Er hat ihn als Idioten bezeichnet, als lausigen Linken beschimpft. Zuletzt allerdings hat er mit Blick auf den Papst sein Tun gemäßigt. Warum?

Pater Martin Maier SJ

"Papst Franziskus hat im Gespräch mit einer argentinischen Presseagentur vor Rattenfängern gewarnt und vor messianischen Clowns."

P. Maier: Das passiert aus taktischen Gründen, weil ihm natürlich klar ist, dass Papst Franziskus in Argentinien ein hohes Ansehen genießt. Und er hat jetzt in der letzten Fernsehdebatte mit Sergio Massa erklärt, dass er selbstverständlich, wenn Papst Franziskus zu Besuch nach Argentinien kommen wolle – und darüber wird ja spekuliert – ihn empfangen würde, als Staatsoberhaupt des Vatikans. Aber das ist wenig glaubwürdig, wenn man sieht, was er zuvor gesagt hat: Der Papst sei ein Kommunist, er sei ein Jesuit, der den Kommunismus fördert. Papst Franziskus hat darauf natürlich nicht unmittelbar reagiert, aber er hat im Gespräch mit einer argentinischen Presseagentur vor Rattenfängern gewarnt und vor messianischen Clowns.

DOMRADIO.DE Wie sieht es denn aus, wenn wir auf die katholische Kirche in Argentinien blicken? Hat die sich in den Wahlkampf eingeschaltet, zu Wort gemeldet?

P. Maier: Der populäre Armenpriester Padre Pepe di Paola hat erklärt, ein Katholik könne nicht für Milei stimmen. Die argentinische Bischofskonferenz ist dazu auf Distanz gegangen und hat betont, es sei nicht Aufgabe der Kirche, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Allerdings hat Erzbischof Jorge Ignacio Garcia Cuerva von Buenos Aires nach dem ersten Wahlgang und nachdem Bullrich ihre Wahlempfehlung für Milei ausgesprochen hat, erklärt, dass es schwierig sei, Öl und Wasser zusammenzubringen, um an die Macht zu kommen. Das war doch recht deutlich eine Warnung vor diesem Bündnis.

DOMRADIO.DE Argentiniens Wirtschaftslage ist schon länger ziemlich desolat. Und Mileis Gegenkandidat Massa war bisher ausgerechnet Wirtschaftsminister. Vor der Stichwahl hat er jetzt zur Einigkeit aufgerufen. Wie schätzen Sie das ein: Wie wahrscheinlich ist das, dass das verfängt, was er da sagt?

Pater Martin Maier SJ

"Wenn man seinen Erfolg im ersten Wahlgang sieht, dann hat er hier doch sehr wichtige Fortschritte gemacht."

P. Maier: Die wirtschaftliche Lage in Argentinien ist wirklich desolat. Die letzte offizielle Zahl vom vergangenen Montag berechnet die Inflation bei 142 Prozent und die Armutsrate landesweit liegt bei 40 Prozent. 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsschwelle, 10 Prozent in extremer Armut. Viele sind auf Suppenküchen angewiesen. Natürlich hat Sergio Massa als Wirtschafts- und Finanzminister diese verheerende Situation mitzuverantworten. Es ist ihm allerdings in den letzten Wochen gelungen, sich von der aktuellen Regierung abzusetzen und zu vermitteln, dass er für ein Projekt der Einheit der Argentinier und Argentinierinnen stehe. Wenn man seinen Erfolg im ersten Wahlgang sieht, dann hat er hier doch sehr wichtige Fortschritte gemacht.

DOMRADIO.DE Adveniat unterstützt auch in Argentinien Projekte. Was erhoffen Ihre Partner vor Ort sich vom Wahlausgang am Sonntag?

P. Maier: Der Kompass von Adveniat ist die Option für die Armen. Wir setzen uns zusammen mit unseren Projektpartnern und -partnerinnen in Lateinamerika und in der Karibik und auch in Argentinien dafür ein, dass die Menschen und vor allem die Armen menschenwürdig leben können. Von daher beurteilen unsere Partner und Partnerinnen politische Projekte aus der Perspektive der Armen. Das leitet sie auch in ihrer Wahlentscheidung.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Adveniat

Adveniat ist das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas. Der Name leitet sich ab von der lateinischen Vaterunser-Bitte "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme"). 

Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. (Adveniat)
Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. / ( Adveniat )
Quelle:
DR