Blinde Journalistin und ihr Alltag in Corona-Zeiten

"Abstand halten ist schwierig"

Der Corona-Alltag bringt Umstellungen und Herausforderungen für alle. Wie hält man aber Abstand, wenn man gar nicht sieht, wie weit der andere weg ist? Nina Odenius berichtet von ihrer Journalistenausbildung in Krisenzeiten.

Nina Odenius auf dem Bahnsteig (DR)
Nina Odenius auf dem Bahnsteig / ( DR )

DOMRADIO.DE: Nina Odenius ist Journalistin, macht ein Volontariat an der Katholischen Journalistenschule IFP in München, stammt aus Viersen in NRW. Und sie ist blind. Wie sieht Dein Alltag gerade aus?

Nina Odenius: Ich arbeite von zu Hause schon seit Mitte März. Das läuft ganz gut, aber ehrlich gesagt fühle ich mich so ein bisschen wie damals an der Uni zu Masterarbeitszeiten. Da saß man auch den ganzen Tag am Schreibtisch, war zu Hause und kam nicht so wirklich viel raus, weil die Arbeit ja fertig werden musste.

DOMRADIO.DE: So ein bisschen Lagerkoller?

Odenius: Ja, es geht noch. Aber so manchmal habe ich Momente, wo ich denke, dass es doch schön wäre, wenn man Freunde treffen oder einfach mal rausgehen und sich in ein Café setzen könnte.

DOMRADIO.DE: Du stößt in Deinem Alltag ja auf ganz andere und neue Herausforderungen. Das ist ja eine Umstellung für uns alle, aber Dich betrifft das ja nochmal ganz anders. Ich habe mal mit Handschuhen gearbeitet, aber da hat man kein richtiges Gefühl in den Fingern. Du als Blinde musst Dich ja über das Tasten orientieren. Wie erlebst Du das?

Odenius: Ich habe Handschuhe am Anfang getragen, als ich noch mit der Bahn zur Arbeit gefahren bin. Ich muss die Haltestangen und Geländer ja anfassen und da sind mir die Handschuhe lieber. Das war für mich ein gutes Gefühl, die Dinge nicht direkt mit den Händen berühren zu müssen. Ich versuche, die Handschuhe weitestgehend im öffentlichen Raum zu tragen. Wenn ich aber etwas direkt anfassen und fühlen muss, muss ich es ohne Handschuhe machen und danach gut die Hände waschen. Ich habe aber so dünne Stoffhandschuhe, mit denen man ein ganz gutes Gefühl hat.

DOMRADIO.DE: Was ändert sich noch in Deinem Alltag?

Odenius: Es ist schwierig, wenn man draußen unterwegs ist, den Abstand einzuhalten. Man kann nicht einschätzen, ob man zwei Meter von der anderen Person entfernt ist oder nicht. Das hat zur Folge, dass ich nur noch mit sehender Begleitung rausgehe, weil die für mich einschätzen kann, wie weit wir von der anderen Person entfernt sind. Ich vermeide Fahrten mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln und gehe nur noch raus zum Spazieren oder um Besorgungen zu machen.

DOMRADIO.DE: Ich habe gelesen, dass es auch komplizierter ist, weil niemand mehr auf der Straße ist, den man fragen kann: Muss ich hier jetzt abbiegen?

Odenius: Ja, ich habe auch schon gehört, dass die Linienbusse teilweise die vorderen Türen nicht mehr aufmachen. Dann ist es schwierig, weil man als Blinder schonmal vorne einsteigt und fragt "Guten Tag, sind Sie die Linie 5 und fahren Sie da und da hin?“ Wenn man aber vorne nicht mehr reinkommt und nur noch hinten einsteigen kann, hat man ja keinen Kontakt zum Fahrer und dann ist es wichtig, dass da vielleicht Passanten sind, die man fragen könnte.

DOMRADIO.DE: Du nimmst ja Deine Umwelt ein bisschen anders wahr. Spürst du eine andere Stimmung in der Stadt?

Odenius: Ich fand es in den ersten Wochen noch relativ normal. Ich glaube, das liegt auch daran, dass man es damals noch nicht ernst genommen hat. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich Anfang März an der Journalistenschule in München war, da haben die ersten Schulen von sich aus entschieden, zu schließen. Da hatte die Regierung noch gar nichts beschlossen. Da habe ich mich noch gefragt, ob das alles etwas übertrieben ist. Jetzt ist es aber sehr ruhig in der Stadt. Eigentlich eine schöne Atmosphäre. Ich habe in meiner Nachbarschaft Geigenspieler und Klavierspieler, die habe ich vorher nie spielen gehört.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind ja viele blinde Menschen auch in Jobs aktiv, wo es wirklich auf persönlichen Kontakt und Berührung ankommt. Ich denke jetzt zum Beispiel an Physiotherapie. Diese Menschen sind von der Situation auch besonders hart getroffen, oder?

Odenius: Es gibt viele selbstständige Physiotherapeuten, die jetzt keine Aufträge mehr haben, was natürlich auch mit Existenzängsten und Nöten einhergeht. Es gibt auch viele blinde Menschen, die Arbeitsassistenten haben. Das sind Menschen, die ihnen im Job bei Dingen helfen, die sie nicht ausüben können aufgrund von fehlender Barrierefreiheit zum Beispiel bei Computerprogrammen. Ich habe auch Assistenten. Die kamen dann zu mir nach Hause und haben mir geholfen. Ich versuche das aber auch so weit es geht zu reduzieren. Ich habe aber jeden Assistenten, sobald er ankam, ins Bad zum Händewaschen geschickt, weil es mir wichtig ist die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Ich habe auch schon von vielen Leuten gehört, dass sie jetzt im Home-Office mit Tools arbeiten müssen, die teilweise mit unseren Vorlesesystemen nicht kompatibel sind. Man kann als Blinder die Videokonferenz dann beispielsweise nicht richtig bedienen, wenn die Schaltflächen nicht angesagt werden. Das sind Dinge, die natürlich schwierig sind.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind wir ja schon ein paar Wochen in der Situation. Bist Du vor irgendeine Herausforderung gestoßen, die Du so nicht erwartet hättest?

Odenius: Ich würde sagen, dass es bei mir gut funktioniert. Dadurch, dass ich noch in der Ausbildung bin, ist es im Home-Office eine andere Situation. Wenn man an der Journalistenschule ist oder in einer Redaktion arbeitet, kann man immer mal jemanden fragen. Das ist im Home-Office nicht der Fall. Normalerweise helfen mir meine Assistenten zum Beispiel beim Einfügen von Bildern in Online-Artikel. Jetzt ging es darum, für mich Aufgaben zu finden, die ich weitestgehend alleine machen kann. Ich musste mich mehr absprechen und nachfragen. Auf der einen Seite möchte ich unterstützen, aber auf der anderen Seite Aufgaben ausführen, die ich ohne Assistenz erledigen kann. Das war eine Umstellung, dass ich mir meine Aufgaben suchen musste, aber jetzt läuft es mittlerweile auch gut.

DOMRADIO.DE: Wahrscheinlich ist das eine grundsätzliche Situation für Auszubildende, dass man im Moment nicht so wirklich Kontakt halten kann?

Odenius: Ja. Und dass man auch nachfragen muss. Klar kann man mal jemanden anrufen, aber das ist dann schon so eine Sache. Dann geht derjenige gerade nicht dran oder hat keine Zeit. Natürlich fragt man sich auch, wie die Ausbildung weitergeht. Wir hätten auch noch Kurse gehabt an der Journalistenschule, die jetzt alle auf unbestimmte Zeit verschoben sind. Ich habe auch von Leuten gehört, die jetzt ein Praktikum hätten machen sollen. Diese Praktika finden auch gerade nicht statt. Da fragt man sich schon, wie und wann das weitergeht. Wird die Ausbildung vielleicht am Ende verlängert? Keine Ahnung, das ist jetzt Spekulation, aber es fehlen ja Monate.

DOMRADIO.DE: Nina, jetzt hatten wir vor einer guten Woche das Osterfest. Gottesdienste gab es ja nicht so wirklich. Die musste jeder zu Hause veranstalten. Hast Du da auch irgendwas gemacht?

Odenius: Ja, wir haben tatsächlich in der Osternacht einen Gottesdienst übers Radio gehört. Normalerweise wären wir in der Osternacht im Gottesdienst gewesen. Das fiel ja dieses Jahr aus. Dann haben wir uns für das Radio entschieden. Es war eine ganz andere Situation, das übers Radio zu erleben. Ich fand es für mich richtig gut, weil dadurch, dass alles im Radio kommentiert wird, welcher Bischof welche Kerze wo hin trägt, fand ich es für mich richtig spannend. Ich weiß natürlich, was in der Osternacht passiert, aber wenn ich im Gottesdienst sitze, bekomme ich nicht mit, was die da vorne machen. Ich höre vielleicht das Weihrauchgefäß, aber ich weiß nicht, was die da vorne im Einzelnen tun. Die Kommentare im Radio haben mir gut gefallen und die Atmosphäre war toll.

DOMRADIO.DE: Damit vielleicht verbunden meine Abschlussfrage, die jeder gestellt bekommt: Was bringt Dir Hoffnung im Moment?

Odenius: Mir gibt im Moment wirklich mein Glaube Hoffnung. Zum Teil hatte ich wirklich nach dem Nachrichtengucken Angst, was ich selten habe. Ich habe mich gefragt, was da kommen wird. Am Ende habe ich zu meinem Partner gesagt: "Wir sind in Gottes Hand und Gott wird entscheiden, wie wir durch diese Zeit hindurchkommen. Was mit uns geschieht, das geschieht mit uns.“

In dem Moment habe ich gemerkt, dass mir das wirklich Hoffnung gibt. Ich kann für die Situation nichts und ich kann sie nicht beeinflussen, aber ich kann abwarten und das Beste daraus machen. Ich kann versuchen dem ganzen etwas Positives abzugewinnen. Die Zeit ist entschleunigt, man ist solidarisch miteinander und man sollte sich darauf besinnen, was im Leben wichtig ist. Das ist etwas Positives, dass für mich aus der Krise hervorgeht. Das bringt mir beides Hoffnung. Einmal das Wissen, dass wir nicht alleine sind und Gott bei uns ist. Das Zweite: Wir stehen vor dieser Herausforderung und müssen sie soweit es geht als Chance ansehen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Hinweis:

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.


Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
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