Seebestattung auf der Ostsee

Abschied mit Seemannsritualen, aber ohne Grabstein

Die Nachfrage nach Seebestattungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Die Beweggründe für einen Abschied auf dem Meer sind ganz unterschiedlich. Ein Ortsbesuch in der Kieler Bucht.

Autor/in:
Michael Althaus
Seebestattung - die Glocke als wichtiges Symbol während der Zeremonie / © Jozef Kubica (KNA)
Seebestattung - die Glocke als wichtiges Symbol während der Zeremonie / © Jozef Kubica ( KNA )

Manche Badegäste schauen verdutzt, als eine Familie an diesem heißen Sommertag in schwarzer Kleidung über den Deich geht. Ein Mann trägt einen Blumenstrauß. Ziel der Gruppe ist der nahe Anleger, wo bereits die "MS Seewind" wartet. Auf dem Oberdeck ist die Urne mit der Asche der vor einigen Wochen gestorbenen Mutter und Großmutter der Familie aufgebahrt - geschmückt mit Blumen und einem Schiffstau. Sie wird heute bei einer feierlichen Zeremonie dem Wasser übergeben werden.

Drei Seemeilen von der Küste entfernt

"Mein Vater wurde bereits vor 19 Jahren auf der Ostsee bestattet", sagt die Tochter der Verstorbenen. "Nun soll meine Mutter an derselben Stelle beigesetzt werden." Der Vater liebte das Reisen und die weite Welt und entschied sich deshalb für die Seebestattung. Die Mutter schloss sich diesem Wunsch an. Die Familienmitglieder sind aus Hessen und Bayern angereist und haben die Bestattung mit einem Urlaub in dem Örtchen Stein am Ostufer der Kieler Förde verbunden, wo heute auch das Schiff startet.

Kapitän und Bestatter Heinz Beutler steuert die "MS Seewind" zielsicher zu der Position, an der vor 19 Jahren die Asche des Vaters dem Meer übergeben wurde. Sie liegt gut drei Seemeilen von der Küste entfernt, wie es das schleswig-holsteinische Bestattungsgesetz vorschreibt. Auf der gut einstündigen Fahrt sitzen die Familienmitglieder entspannt am Bug des Schiffes und unterhalten sich; ein Matrose reicht Getränke.

Als der Zielort erreicht ist, verstummt der Schiffsmotor. Die Angehörigen versammeln sich auf dem Oberdeck, wo sich Kapitän Beutler in dunkelblauer Uniform neben der Urne postiert und in einer Trauerrede das Leben der Verstorbenen Revue passieren lässt. "Solange es das Meer gibt, solange gibt es Hoffnung. Denn die Sehnsucht, die das Meer in uns weckt, ist ein Gefühl, das wir schon ewig kennen", sagt Beutler, während im Hintergrund nur das Meeresrauschen und das Säuseln des Windes zu hören sind. "In diesem Sinne verabschieden wir uns in Würde und Respekt von unserer Verstorbenen, die ihr Leben vollendet hat und in ihrem Tod nun endgültig Frieden finden möge - an dem Ort, an dem alles wieder zusammenfließt und sie jetzt symbolisch mit ihrem Mann wiedervereint ist."

Die Schiffsglocke läutet mit vier Doppelschlägen

Der Matrose nimmt behutsam die Urne und trägt sie auf das Hauptdeck hinunter. Beutler läutet die Schiffsglocke mit vier Doppelschlägen - das Signal für den Wachwechsel und damit ein Symbol für den Übergang vom Leben zum Tod. Zusammen mit dem Sohn der Verstorbenen lässt der Matrose die Urne an der Steuerbordseite - der Ehrenseite des Schiffs - mit einem Tau langsam herab. Als sie die Wasseroberfläche erreicht hat, lässt der Sohn das Tau los. Die Urne verschwindet in der Ostsee - wo sie sich schon bald auflösen und die Asche sich am Meeresgrund absetzen wird.

Die Familienmitglieder werfen Blumen ins Wasser. Während sie still aufs Meer schauen, umkreist die "MS Seewind" drei Mal die Stelle, wo eben die Urne versunken ist. Auf Pfeifkommandos des Kapitäns wird die Nationalflagge, die bisher symbolisch auf Halbmast hing, zum letzten Gruß gedippt und wieder vollständig gehisst. Dann geht es zurück zum Anleger.

Firma Beutler bietet seit über 30 Jahren Seebestattungen an. Heinz Beutler übernahm Ende der 1990er Jahre das kleine Bestattungsunternehmen seines Vaters. "Eigentlich wollte ich Lotse werden", sagt Beutler. Doch als sein Vater erkrankte, fühlte er sich der Familientradition verpflichtet. Heute ist er geprüfter Bestatter, Trauerredner und Trauerbegleiter - und von der Vielfältigkeit seines Berufs begeistert. Bei den Zeremonien legt er großen Wert auf Individualität. Angehörige dürfen etwa Musikwünsche äußern oder über das Catering auf dem Schiff mitbestimmen. Auch die Begleitung durch einen Geistlichen ist möglich. Dass manche Mitbewerber Massenbeisetzungen anbieten, ärgert Beutler. Das rücke die ganze Branche in ein schlechtes Licht.

Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Bestatter hat sich die Nachfrage nach Seebestattungen in den vergangenen zehn Jahren etwa verdoppelt. Insgesamt machen sie aber weiterhin nur einen Anteil von zwei Prozent aller Bestattungen in Deutschland aus.

Günstiger als Erdbestattung

Anja Beutler, die gemeinsam mit ihrem Mann das Unternehmen in Stein führt, verzeichnet seit Jahren eine konstante Nachfrage. Die Gründe, sich für eine Seebestattung zu entscheiden, seien vielfältig. Einige hätten einen sportlichen oder beruflichen Bezug zum Wasser, andere ihre Urlaube an der See verbracht. Geschätzt stammten nur 20 Prozent der Kunden aus der Region. Die meisten kämen aus entfernteren Gebieten in ganz Deutschland.

Weil Grab- und Pflegekosten entfallen, sei eine Seebestattung in der Regel deutlich günstiger als eine Erdbestattung. "Der finanzielle Aspekt spielt aber bei den meisten Menschen keine Rolle", so Beutler.

Gegen eine Beisetzung zu Wasser spricht für viele Menschen der fehlende Trauerort. Nicht jeder Angehörige kommt laut Bestatterverband im Nachhinein damit klar, dass die Grabstelle auf See praktisch anonym ist. Manche Bestattungsunternehmen haben daher inzwischen Gedenkstätten an den Küsten geschaffen - so auch Firma Beutler. 2003 richteten die Inhaber in ihrer neu gebauten Firmenzentrale einen Erinnerungsraum ein, der für die Angehörigen jederzeit zugänglich ist. Mit Blick auf das Meer können sie die Ruhe genießen und ihre Gedanken und Erinnerungen in ein Album eintragen. Kleine Gedenktafeln aus Messing erinnern an die auf See bestatteten Toten. "Immer wieder kommen Angehörige vorbei, zum Beispiel, wenn sie im Urlaub sind", berichtet Anja Beutler.

Die Familie, die sich heute von ihrer Mutter und Großmutter verabschiedet hat, ist inzwischen in einer Strandbar auf ein Getränk eingekehrt. Das Fehlen eines Gedenkorts ist für sie offenbar kein Problem. Im Gegenteil: An jedem See und an jedem Fluss könne sie an ihre Eltern denken, sagt die Tochter. Und nach kurzem Nachdenken fügt sie hinzu: "Der Erinnerungsort ist im Herzen."


Trauergäste sitzen am Bug des Schiffes MS Seewind vor der Seebestattung in der Ostsee / © Jozef Kubica (KNA)
Trauergäste sitzen am Bug des Schiffes MS Seewind vor der Seebestattung in der Ostsee / © Jozef Kubica ( KNA )
Quelle:
KNA