25 Jahre Suchthilfe auf Höfen der Hoffnung in Deutschland

"Das Evangelium ist unsere Therapie"

Mit der Bibel vom Heroin wegkommen, das haben in den vergangenen 25 Jahren hunderte junge Menschen in Deutschland auf Fazendas da Esperança geschafft. Christian Heim erklärt, wie das christlich geprägte Selbsthilfeprojekt funktioniert.

Fazenda da Esperança auf Gut Neuhof bei Nauen (KNA)
Fazenda da Esperança auf Gut Neuhof bei Nauen / ( KNA )

KNA: Pater Christian, vor 25 Jahren wurde auf Gut Neuhof die erste Fazenda da Esperanca in Deutschland gegründet. Was hat Sie dazu gebracht, sich für dieses ungewöhnliche christliche Suchthilfe-Projekt zu engagieren?

Pater Christian Heim (Leiter der Fazenda da Esperança auf Gut Neuhof bei Nauen): Ich stamme aus Meschede im Sauerland, bin 1968 dort geboren und zur Schule gegangen. Durch meinen Heimatpfarrer bin ich auf Brasilien aufmerksam geworden. Er erzählte mir vom deutschen Franziskanerpater Hans Stapel, der dort die erste Fazenda da Esperança gegründet hat.

1989 bin ich dann nach Brasilien geflogen und habe 15 Monate auf einem der ersten Höfe der Hoffnung verbracht.

KNA: Das war vor über 30 Jahren ...

Fazendas da Esperança

Die Fazendas da Esperanca (Höfe der Hoffnung) sind von Brasilien ausgehende christliche Hilfsprojekte für suchtkranke Menschen. Die Initiative dazu kam vor 40 Jahren unter anderen vom deutschen Franziskanerpater Hans Stapel (77).

Die oft in ehemaligen Gutshöfen untergebrachten Einrichtungen nehmen Jugendliche und junge Erwachsene in der Regel für ein Jahr auf. In dieser Zeit sollen sie sich gemeinsam mit den Ursachen und Hintergründen ihrer Abhängigkeiten beschäftigen und sich auf ein Leben ohne Drogen vorbereiten.

Fazenda da Esperança auf Gut Neuhof bei Nauen (KNA)
Fazenda da Esperança auf Gut Neuhof bei Nauen / ( KNA )

Heim: Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich katholische Theologie studiert und bin 1997 im Erzbistum Paderborn zum Priester geweiht worden. Ich hatte zwei wunderschöne Stellen als Gemeindeseelsorger, jeweils fünf Jahre, aber es hat mich immer wieder zurückgezogen zum Leben mit Drogenabhängigen.

Nun bin ich freigestellt für die Arbeit in der geistlichen Gemeinschaft "Familie der Hoffnung", die den Kern jeder Fazenda bildet. Seit zwei Jahren lebe ich in Gut Neuhof und habe dort die Leitung übernommen, seit Januar auch die Regionalleitung für unsere Gemeinschaft in Europa.

KNA: Was ist besonders am Konzept der Fazendas im Vergleich mit anderen Einrichtungen für suchtkranke Menschen?

Heim: Zum einen, dass wir ganz bewusst einen spirituellen Weg gehen, der sich an der christlichen Botschaft orientiert. Das Evangelium ist sozusagen unsere Therapie. Zum anderen, dass zu unseren Höfen keine Psychologen, Psychiater oder Pädagogen gehören und sie also eher Einrichtungen zur Selbsthilfe sind.

Zudem finanzieren wir uns nicht durch Zuwendungen von Krankenkassen oder andere Sozialversicherungen, sondern nur durch Einnahmen aus eigener Arbeit oder Spenden. Dadurch können wir jeden Menschen aufnehmen, der an unsere Tür klopft. Wir sind auch nicht abhängig von kirchlichen Zuschüssen.

KNA: Was wird auf den Höfen produziert, und wie wird es vermarktet?

Heim: Wir stellen etwa Nistkästen und andere Holzgegenstände her, aber auch Säfte und Marmeladen und verkaufen sie über unsere Hofläden. Sonntags gibt es ein Hofcafe, weil wir keine isolierte Insel sein wollen, sondern Kontakte mit den Menschen in unserer Umgebung haben wollen. Deshalb bieten wir auch Catering etwa für Kirchengemeinden an. Auf Gut Neuhof haben wir dazu noch ein Tagungs- und Gästehaus mit 18 Zimmern.

KNA: Unter welchen Bedingungen werden suchtkranke Menschen aufgenommen?

Pater Christian Heim

"Bevor jemand auf Dauer zu uns kommt, erwarten wir, dass er oder sie in einem Krankenhaus eine qualifizierte Entgiftung von seiner Sucht hinter sich hat."

Heim: Bevor jemand auf Dauer zu uns kommt, erwarten wir, dass er oder sie in einem Krankenhaus eine qualifizierte Entgiftung von seiner Sucht hinter sich hat. Eine weitere Bedingung ist, aus eigener Entscheidung zu uns zu kommen. Wir nehmen niemand, der sich etwa wegen richterlicher Auflagen an uns wendet. Wer hier leben will, muss zuvor einen Brief schreiben und darin erklären, warum er nicht wie bisher weiterleben will.

KNA: Welche Auflagen gibt es für das alltägliche Leben?

Heim: Er oder sie muss akzeptieren, hier auf Alkohol, Rauchen, Handy und Internet zu verzichten, auch, die ersten drei Monate keinen Besuch zu haben und den Hof nicht zu verlassen. Viele schreckt das ab, auch kein Einzelzimmer zu haben und hier mit Menschen aus vielen anderen Nationen zusammenzuleben.

KNA: Warum sind die Regeln vor allem am Anfang so streng?

Heim: Es geht darum, sich auf sich selbst zu konzentrieren und sich nicht ablenken zu lassen, aber auch, wieder ein Buch zu lesen, wieder mit anderen zu einem Spiel zusammenzukommen. Auch gemeinsam zu essen, ist für viele etwas Neues.

KNA: Der Tagesablauf auf einer Fazenda ist auch durch Zeiten des Gebets und des Austauschs über religiöse Erfahrungen geprägt. Wie bringen Sie das Menschen nahe, die keinen Bezug zur Kirche haben?

Pater Christian Heim

"Es geht vor allem um eine Offenheit für einen neuen Lebensstil, der sich an der Liebe Gottes orientiert."

Heim: Wir laden dazu ein, sich unser Leben auf dem Hof anzuschauen und sich anzuschließen, sich darauf einzulassen. Es geht vor allem um eine Offenheit für einen neuen Lebensstil, der sich an der Liebe Gottes orientiert. Natürlich gehen Leute, wenn sie diesen Lebensstil für sich nicht akzeptieren können. Das ist auch ihr gutes Recht. Bei uns findet keine Zwangsmissionierung statt.

KNA: Warum sind Fazendas jeweils für Männer oder Frauen getrennt?

Heim: Das hat sich so entwickelt, weil die Männer-Fazendas zuerst entstanden sind. Es ist auch zum Schutz der Frauen, weil viele aus der Prostitution kommen oder Missbrauchserfahrungen gemacht haben.

KNA: Wie geht es mit den Fazendas weiter, stehen neue Gründungen an?

Heim: Wir planen eine Fazenda in Ungarn, dann wären es 13 in Europa.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.

Quelle:
KNA