25 Jahre "Dies Domini" - Sonntagsruhe weicht auf

Wie sich das Arbeiten am Sonntag schleichend normalisiert hat

Vor 25 Jahren erinnerte Papst Johannes Paul II. mit "Dies Domini" an den Sinn der Sonntagsruhe. Auf dem Papier ist diese in Deutschland verfassungsrechtlich geschützt – die Realität ist aber längst eine andere.

Autor/in:
Magdalena Thiele
Wird die Sonntagsruhe aufgeweicht? / © Lisa-S (shutterstock)
Wird die Sonntagsruhe aufgeweicht? / © Lisa-S ( shutterstock )

Das christliche Gebot des Sonntags als Gelegenheit der Anbetung und des Abschaltens ist tief in der europäischen Gesellschaft verankert. In Deutschland so sehr, dass es Verfassungsrang erlangt hat. Und doch scheint es im Alltag mitunter fast vergessen.

In seinem Schreiben "Dies Domini" widmete Papst Johannes Paul II. dem Sonntag vor einem Vierteljahrhundert über 100 Seiten: Der Tag des Herrn sei der Tag der Freude, der Ruhe und der Solidarität. Als Prototyp aller Feiertage erkläre er Sinn und Wert der Zeit.

Steht "christlich" drauf, ist "christlich" drin

Auch das Grundgesetz gibt dem Sonntag ausdrücklich den Zweck der "Arbeitsruhe und seelischen Erhebung". Klingt christlich, ist auch christlich – soll es aber nach heutiger gesetzgeberischer Auslegung nicht mehr sein: "Mit der Formulierung von Artikel 139 GG sollte eine säkularisierte Formel des christlichen Sonntags etabliert werden", erklärt Rechtsanwalt Daniel Barrera Gonzalez. De facto habe das aber nichts an dem Schutzauftrag für Sonn- und Feiertage geändert.

Grundsätzlich gilt an Sonntagen in Deutschland ein Beschäftigungsverbot, betont der 39-Jährige, der Partner einer Berliner Kanzlei ist, die sich auf Arbeitsrecht spezialisiert hat.

Allerdings gebe es inzwischen so viele Ausnahmen, dass die Regel zumindest infrage gestellt sei, meint Barrera Gonzales. Schon 1994 sei das Arbeitsrecht diesbezüglich weitestgehend liberalisiert worden. Ist sie vertraglich vereinbart, steht der Sonntagsarbeit fast nichts mehr im Weg: Theoretisch existiert ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers – praktisch müssen dafür eklatante Gewissenskonflikte nachgewiesen werden. Ihm sei kein solcher Fall bekannt, sagt der Anwalt.

Unternehmer darf nicht arbeiten

Mustafa würde dagegen gerne sonntags arbeiten – darf es aber nicht.

Sein Spätkauf liegt in Berlin-Kreuzberg. "Ich möchte selbst bestimmen, wann ich meinen Späti öffne und schließe", sagt der Ladeninhaber. Er habe keine Angestellten und schmeiße den Laden ganz allein. "Ich verstehe nicht, warum mir ein Staat, in dem Meinungsfreiheit herrscht, vorschreibt, wann ich arbeiten darf." Es gibt nicht wenige Einzelhändler wie Mustafa, für die der Sonntag ein wichtiger Umsatztag wäre: "Gerade wir Spätis könnten am Sonntag ein gutes Geschäft machen."

Berlin hat wie alle anderen Bundesländer – ausgenommen Bayern – nach der Föderalismusreform ein eigenes Ladenschlussgesetz erlassen. Nur explizit genannte Verkaufsstellen wie Bäckereien, Tankstellen oder Apotheken dürfen sonntags öffnen.

Aber auch hier gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel, erklärt der Arbeitsrechtler: "Die Späti-Betreiber können bei den jeweiligen Bezirksämtern Ausnahmegenehmigungen beantragen. Die werden beispielsweise erteilt, wenn der Späti vorwiegend touristische Produkte vertreibt – Kaffee, Dosenravioli und Zahnpasta gehören allerdings nicht dazu." Ohnehin seien die Berliner Gerichte in den vergangenen Jahren eher strenger als milder mit den Spätis geworden, weiß Barrera Gonzales.

Sonntagsschutz versus Realität der Gesellschaft

Dies sei eine Auslegung des Sonntagsschutzes, die nicht mehr die Realität der Gesellschaft abbilde, fügt er hinzu. Der Grundsatz eines "Sonntagsarbeitsverbots" sei und in Zeiten von "remote work" längst überholt. Das Arbeitsrecht sehe die Gewährung angemessener Erholungs- und Freizeit vor. Das sei auch völlig ausreichend. Nur Christen einen freien Sonntag zu garantieren, wäre allerdings rechtlich schwierig, erklärt Barrera Gonzales: Das verstieße gegen das Gleichbehandlungsgebot.

Deshalb bleibt es bis auf weiteres bei dem Grundsatz: Sonntagsarbeit ist verboten, außer der Arbeitgeber möchte das anders – aber nur, wenn er keinen Laden besitzt. Andere Länder sind in dieser Frage konsequenter, wieder andere deutlich flexibler. Selbst im überwiegend katholischen Nachbarland Polen sind am heiligen Sonntag die Läden geöffnet.

Ob es zur geistigen Erhebung einer gesetzlich verordneten Feiertagsruhe bedarf, mag diskutabel sein. Dennoch erinnert der "dies domini" daran, dass der Mensch auch Zeiten der Ruhe braucht – für sich selbst, die Familie und die Gemeinschaft. In einer Welt, die sich ständig verändert, bietet aber nicht nur der Sonntag eine wertvolle Gelegenheit, innezuhalten und das Wesentliche zu schätzen.

Hintergrund: Sonntagsruhe beruht auf Zehn Geboten

Der religiöse Ursprung des arbeitsfreien Sonntags geht auf die biblischen Zehn Gebote zurück. "Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht", heißt es im fünften Buch Moses über den Sabbat (hebräisch: schabbat = ruhen).

Dieser jüdische Feiertag beginnt bereits am Freitagabend und dauert bis zum Abend des Samstages. Im Christentum wurde der Sabbat durch den Sonntag - dem Tag der Auferstehung Jesu Christi - abgelöst.

Symbolbild Sonntagsruhe / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Sonntagsruhe / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA