20 Jahre "Cittaslow" - Die Entdeckung der Langsamkeit

Städte leben "bewusst im Zeichen der Schnecke"

Ferienzeit - Entschleunigungszeit. In Deidesheim in der Pfalz oder im bayerischen Nördlingen gilt das besonders. Denn dort lebt man ganzjährig "bewusst im Zeichen der Schnecke".

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Eine Bank im Grünen (shutterstock)

Sommerferien - eine Zeit der Entschleunigung. Das Leben läuft ein bisschen langsamer, gemächlicher. Sehr angenehm. Eine Reihe von Städten ist 2019 besonders entschleunigt: Ihre Vereinigung feiert nämlich ihr 20-jähriges Bestehen. "Cittaslow", ein loser Verbund von 240 zumeist europäischen Kommunen, hat den Verzicht auf Stress zum Programm erhoben.

"Bewusstes Leben im Zeichen der Schnecke"

Die Schnecke als Wappentier ist Programm. Das internationale Netzwerk lebenswerter Städte pflegt überlieferte Traditionen. Lebensqualität, Entschleunigung und Nachhaltigkeit sind die großen Begriffe; "bewusstes Leben im Zeichen der Schnecke". Das Gegenbild sind die vom Massentourismus und AirBnb erdrückten Großstädte wie Venedig oder Barcelona, die kaum mehr zum Atmen kommen.

Stefano Cimmicchi, Bürgermeister im umbrischen Orvieto und einer der Mitbegründer von Cittaslow: "Wir nehmen nicht länger hin, dass sich Städte als gesichtslose Ballungsgebiete alle einander ähneln und es keine Rolle mehr spielt, in welcher wir leben. Heute entdecken wir wieder die Bedeutung historischer Stadtkerne, restaurierter kulturhistorischer Orte und Gebäude; wir greifen wieder auf heimische Produkte zurück und lernen, unsere sozialen Beziehungen neu zu gestalten."

Von der Slow-Food-Bewegung inspiriert

Die Cittaslow-Bewegung (italienisch-englisch für "langsame Stadt") entstand 1999 in Italien. Die Idee stammt von Paolo Saturini, Bürgermeister des toskanischen Ortes Greve, der sich von der sogenannten Slow-Food-Bewegung inspirieren ließ. Diese entzündete sich in den 80er Jahren an der Eröffnung eines Fastfood-Restaurants bei der Spanischen Treppe in Rom. Die Slow Fooder trieb die Sorge vor einem Verlust der Esskultur um. Für Cittaslow geht es um mehr als nur Ernährung. Allerdings spielen auch hier etwa regionale Märkte und Produkte eine wichtige Rolle.

Im eigenen Manifest heißt es: Cittaslow, "das ist eine Stadt, in der Menschen leben, die neugierig auf die wiedergefundene Zeit sind; die reich ist an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafes, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den Wechsel der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet".

21 deutsche Städte gehören dem Netzwerk an

Angesprochen sind vor allem kleinere Städte unter 50.000 Einwohnern. Zu den Mitgliedern in Italien gehören so klangvolle Namen wie Positano, Amalfi oder Orvieto. 2001 wurde Hersbruck in Mittelfranken als erste Stadt in Deutschland und als erste Stadt außerhalb Italiens aufgenommen. Es folgten Waldkirch im Breisgau und Überlingen am Bodensee, später etwa das pfälzische Deidesheim, Berching in der Oberpfalz oder die ehemalige Reichsstadt Nördlingen in Bayern.

Zurzeit gehören 21 deutsche Städte und Gemeinden dem Netzwerk an. Weltweit sind es 240 aus 30 Ländern, darunter auch Australien, Neuseeland oder Südafrika. 13 Mitglieder gibt es allein in Südkorea, 6 in China und 4 in Taiwan. Sitz der internationalen Vereinigung ist ein ehemaliges Kloster aus dem 15. Jahrhundert im historischen Zentrum von Orvieto.

Förderung von Umwelt und Aufwertung der Region

Präsident von Cittaslow Deutschland und Vizepräsident von Cittaslow International ist seit 2015 der Bürgermeister von Deidesheim, Manfred Dörr. Von seiner 3.700-Einwohner-Gemeinde an der pfälzischen Weinstraße aus ermuntert er dazu, "Vereinheitlichung und Amerikanisierung" von Städten zu verhindern, in denen nur noch "Franchise-Unternehmen dominieren".

Die Hebel von Cittaslow: Förderung von Umwelt und Infrastruktur, Aufwertung einheimischer und regionaltypischer Erzeugnisse unter Ausschluss genmanipulierter Produkte, Gastfreundschaft, Bewusstsein und landschaftliche Qualität. Hinzu kommen eigene Veranstaltungen, etwa das CittaSlow-Festival in Nördlingen.


Quelle:
KNA