15 Jahre nach Srebrenica zur Rolle der UN

Die Frage der Immunität

Die niederländischen UN-Blauhelme sollten 1995 die Muslim-Enklave Srebrenica beschützen. Am 11. Juli ermordeten hier dennoch serbischen Einheiten gut 8.000 Männer und Jungen. Der Rechtsanwalt Axel Hagedorn streitet für die Stiftung Mütter von Srebrenica gegen die UN. Warum, erklärt er im Interview mit domradio.de.

 (DR)

domradio.de: Die Mütter von Srebrenica verklagen die UNO und die Niederlande, weil sie bei einem Massaker Angehörige verloren haben, obwohl die Stadt in einer Schutzzone lag - haben die sich wirklich schuldig gemacht?
Axel Hagedorn: Sie müssen es so sehen: Die UNO sagte eigentlich in ihrem eigenen Bericht von 1999, dass sie schwere Fehler begangen haben. Der Unterschied liegt nur darin, dass sie der Meinung sind, man dürfte sie dafür nicht vor Gericht ziehen. Um diese Frage dreht es sich momentan: Die sogenannte Immunität der UNO.

domradio.de: Wie kann das sein, dass die einfach sagen: Ja, wir sind schon schuldig, aber Verantwortung übernehmen wir trotzdem nicht?
Axel Hagedorn: Als die UNO 1946 gegründet wurde, hat man eine sogenannte UN-Charta, eine Art Grundgesetz für die UNO, aufgestellt. Darin war eine Immunität für die UNO festgelegt, d.h. man darf sie nicht vor Gerichten verklagen, damit sie ihre Funktion ausüben kann und nicht ständig mit Prozessen überhäuft wird. Das wollte man vermeiden. Aber immer nur im Zusammenhang mit ihrer Aufgabe. Wir sagen nun: Die Beteilung an einem Völkermord kann nicht unter diese Funktion fallen - nie und nimmer! Das ist der eine Punkt. Und der zweite Punkt ist, dass gleichzeitig auch ein völkerrechtlicher Vertrag geschlossen wurde. In diesem Vertrag hieß es: Die UNO muss gerade wegen ihrer Immunität einen Rechtsweg kreieren, also die Möglichkeit eines Gerichtsgangs einrichten für Leute, die die UNO rechtlich überprüfen wollten. Das ist seit 1946 überhaupt nicht passiert. Damit ist die UNO die einzige Organisation weltweit, die gerichtlich nicht überprüfbar ist.

domradio.de: Sie haben die Mütter von Srebrenica vertreten, rund 6000 Angehörige von Überlebenden. Was fordern die?
Axel Hagedorn: Diese 6.000 Mandanten von uns sind in einer "Stiftung der Mütter von Srebrenica" vereinigt. Diese Stiftung klagt nun. Damit man nicht zu sehr den Schaden im Vordergrund sieht, sondern erstmal die Grundfrage klärt, verantwortlich oder nicht verantwortlich, wurde eine Massenklage eingereicht und nur eine sogenannte Feststellung gefordert. Das Gericht soll feststellen, dass die UNO und die Mitgliedsstaaten verantwortlich sind.

domradio.de: Was hätte denn eine solche Feststellung für Folgen? Müssten dann auch Entschädigungen gezahlt werden?
Hagedorn: Ja sicher! Also wenn die Verantwortlichkeit festgestellt wird, dann würde natürlich auch irgendwie ein Vergleich stattfinden, wahrscheinlich über irgendwelche Schadensersatzzahlungen. Wobei Sie sich natürlich immer vorstellen müssen: Wie soll man denn Geld ausschütten, wenn jemand ein, zwei, drei oder vier Familienmitglieder verloren hat. Das ist enorm schwierig.

domradio.de: Sie sind seit 2007 mit dieser Klage befasst. Jetzt gerade erst haben die Vereinten Nationen im März gesagt: Nein, wir genießen Immunität. Wir müssen gar nicht erst vor Gericht erscheinen. Was bedeutet das für die Opfer?
Axel Hagedorn: Das ist natürlich ziemlich schlimm. Zum Ersten dürfen wir nicht vergessen, dass der internationale Gerichtshof in Den Haag vor ein paar Jahren in dieser Frage des Völkermords entschied, dass ein solcher stattgefunden hat. Gleichzeitig hat er entschieden, dass alle Staaten und Organisationen verpflichtet sind, einen Völkermord zu verhindern. Und das bedeutet: Sie müssen alles tun, was in ihrer Macht steht. Nun ist das schon 15 Jahre her und diese Mütter haben noch nicht einmal eine Entschuldigung erhalten, obwohl die UNO diese Sache zugegeben hat, geschweige denn, dass Schadensersatz gezahlt worden wäre. Das ist sehr, schwer für die Mütter zu ertragen.

domradio.de: Wie geht es den Angehörigen der Opfer heute 15 Jahre nach diesem schrecklichen Massaker?
Axel Hagedorn: Wir haben nur Kontakt zu einer kleineren Gruppe, weil wir ja nicht mit allen 6.000 sprechen können. Aber die meisten sind ja noch in Bosnien-Herzegowina und leben in der Regel von Witwen und Waisenrenten. Die haben 200 EUR im Monat. Die haben ihre Väter oder Männer verloren, die früher für das Einkommen gesorgt haben.

domradio.de: Das heißt, die wären dringend auf eine Entschädigung angewiesen, sei sie auch noch so gering.
Axel Hagedorn: Absolut.

domradio.de: Das Europäische Parlament hat sich erst im letzten Jahr dazu durchgerungen, den 11. Juli zum Gedenktag zu ernennen, also 14 Jahre haben die dafür gebraucht. Haben Sie die Hoffnung, dass die Angehörigen, die Sie vertreten, noch Gerechtigkeit erfahren werden?
Axel Hagedorn: Das ist genau der Kampf, um den es geht. Was ich immer wieder bewundere, ist die enorme Kraft dieser Frauen und Mütter. Sie sind nicht gebrochen und kämpfen weiter. Sie hoffen auf diese Gerechtigkeit. Erfahrungsgemäß dauern solche Verfahren häufig sehr lang. Es gibt ja auch noch Entschädigungsprozesse gegen den deutschen Staat wegen Verbrechen im 2. Weltkrieg. Ich hoffe natürlich, dass diesen Frauen eine solche Warterei erspart bleibt und dass man endlich einsieht, dass hinter dieses Kapitel ein Schlussstrich gezogen werden muss. Und was man auch nicht vergessen darf ist, dass der höchste Richter, der Präsident des Internationalen Gerichtshofs des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, Richter Robinson, in einer Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im letzten Oktober gesagt hat: Ich habe alle strafrechtlichen Fakten gesehen, ich habe all diese Frauen im Prozess als Zeugen gesehen. Wenn man diese Region befrieden will, dann muss man diesen Menschen eine Entschädigung zahlen. Da haben sie ein Anrecht drauf. Das ist eine neue Dimension, das ist früher noch nicht passiert. Und dass es jetzt an diesem internationalen Gerichtshof geschieht, sagt eine ganze Menge aus und wir hoffen, dass dadurch auch Bewegung in die Sache kommt.

Interview: Ina Rottscheidt