15-Jährige absolviert C-Ausbildung des Erzbistums

"Musik ist der Anker meines Lebens"

Wer sich in seiner Freizeit nebenher zum Kirchenmusiker ausbilden lässt, möchte meist in einer Gemeinde Orgel spielen und einen Chor leiten. Anna Khabyuk hat andere Träume, doch die C-Ausbildung sieht sie trotzdem als große Chance.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Regionalkantor Christoph Kuhlmann ist Anna Khabyuks Orgellehrer im Rahmen der C-Ausbildung / © Beatrice Tomasetti (DR)
Regionalkantor Christoph Kuhlmann ist Anna Khabyuks Orgellehrer im Rahmen der C-Ausbildung / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Die Principale würde ich rauslassen, dafür eignen sich die Flöten als Echo gut. Auch die Oboe und Gambe passen, und einen Bass braucht es ebenfalls." Christoph Kuhlmann, Regionalkantor für Köln, spart nicht mit Empfehlungen, wie die Registrierung von Buxtehudes Toccata F-Dur aussehen könnte.

Einmal in der Woche treffen sich Anna Khabyuk und Christoph Kuhlmann an der Weyland-Orgel in St. Andreas / © Beatrice Tomasetti (DR)
Einmal in der Woche treffen sich Anna Khabyuk und Christoph Kuhlmann an der Weyland-Orgel in St. Andreas / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Einmal wöchentlich, immer Dienstagnachmittag, trifft er sich mit seiner Schülerin Anna Khabyuk an der großen Weyland-Orgel in der romanischen Innenstadtkirche St. Andreas, wo er selbst Organist ist, und geht mit ihr sämtliche Registerfamilien durch. "Denn", so erklärt er, "eine Orgel spielt nicht wie ein Klavier von selbst. Der Registrierung kommt eine wichtige Rolle zu, sie muss dem Stück entsprechen, es zur vollen Klangentfaltung bringen. Und dafür gibt es viele Optionen."

Bei der "Aria" von Flor Peeters, einem ruhigen und eher melodischen Werk, lässt der erfahrene Kirchenmusiker Anna freie Hand. Hier darf sie selbst Vorschläge machen, welche Register sie zieht. Bis zum nächsten Mal soll sie sich die Akkorde in der linken Hand genau anschauen und die Komposition auch mit Pedal üben. "Hausaufgaben" gehören nun mal dazu, will man nicht auf der Stelle treten. Schließlich hat die Orgelschülerin ein ehrgeiziges Ziel. "Die berühmte Bach-Toccata in d-Moll würde ich am liebsten auch mal im Dom spielen", gesteht sie lachend ihren Herzenswunsch und weiß, dass man dafür schon wirklich richtig top sein muss.

Die Registrierung eines Stücks gehen Lehrer und Schülerin gemeinsam durch / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Registrierung eines Stücks gehen Lehrer und Schülerin gemeinsam durch / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Doch wer Annas Temperament kennt, nimmt ihr sofort ab, dass sie damit eines Tages ernst macht. Denn schon jetzt gelingt es ihr scheinbar mühelos, die anvisierten Hürden mit Bravour zu meistern. Einfachere Literatur vom Blatt zu spielen gehört dabei für sie eher zu den leichteren Übungen. Und wenn’s knifflig wird, wiederholt sie schwere Passagen eben so lange, bis auch der letzte Ton sitzt – zuhause oder in der Musikschule der Kölner Dommusik, wo sie ihren ersten Orgelunterricht erhalten hat und ein tolles Instrument zur Verfügung steht.

Außerdem geht es ihr darum, sich parallel dazu einen Liedfundus aus dem "Gotteslob" zu erarbeiten – oder aber Literatur, die sich als Vor- bzw. Nachspiel in der Liturgie eignet. Dass sie einem solchen Anspruch nur mit viel Ausdauer, Disziplin und Leidenschaft gerecht wird, weiß die begabte Oberstufenschülerin selbst am allerbesten.

Schon unter Francois-Xavier Roth Orgel gespielt

Denn für ihre 15 Jahre lebt Anna auf der Überholspur. Jedenfalls musikalisch betrachtet. Mit sechs Jahren wurde sie in der Kölner Domsingschule, in der Singen den Schwerpunkt bildet und aus der sich der Nachwuchs der Domchöre rekrutiert, eingeschult. Mit neun Jahren wird sie, so sieht es das Konzept der Schule vor, in den Mädchenchor am Kölner Dom aufgenommen. Ab der achten Klasse steigt sie dort in den Kammerchor auf, inzwischen singt sie im "eXtra-Chor", der ältesten Stimmgruppe des Ensembles.

Seit dem 4. Schuljahr gehört Anna (3. von links) dem Mädchenchor am Kölner Dom an / © Beatrice Tomasetti (DR)
Seit dem 4. Schuljahr gehört Anna (3. von links) dem Mädchenchor am Kölner Dom an / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Noch vor ihrer "Chorkarriere" hat sie im Alter von vier Jahren den ersten Klavierunterricht erhalten, mittlerweile spielt sie seit vier Jahren Orgel und hat sogar schon Erfahrungen in der Begleitung von Gottesdiensten gesammelt. Sie nimmt an "Jugend musiziert"-Wettbewerben teil und hatte im Frühjahr ihren ersten großen Auftritt als Solistin an der Orgel in der Philharmonie mit dem Jugendsinfonie- und dem Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung von Francois-Xavier Roth.

Anna Khabyuk während der Pandemie auf dem Chorpodest im Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Anna Khabyuk während der Pandemie auf dem Chorpodest im Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Teenagerin mit ukrainischen Wurzeln verfügt über ein absolutes Gehör, hat das neunte Schuljahr an der Kölner Liebfrauenschule übersprungen und liebt klassische Musik über alles, vor allem aber Herausforderungen. Dafür absolviert sie Tag für Tag neben der Schule ein ungewöhnlich strammes Pensum: Klavierunterricht, Orgelunterricht, Gesangsunterricht, zwei anderthalbstündige Chorproben pro Woche – die Einsätze in der Sonntagsliturgie, Konzerte, Opernbeteiligungen mit Proben außer der Reihe nicht mitgezählt. Und als sei das immer noch nicht genug, macht die Schülerin der 11. Klasse gerade auch noch die sogenannte C-Ausbildung; ein Angebot des Erzbistums für alle, die eine Kirchenmusikerstelle in Teilzeitbeschäftigung anstreben, und das jeden Samstag zwischen 12.30 und 17 Uhr in der Musikhochschule Köln stattfindet

Bei diesem auf zwei Jahre angelegten Kurs, der fakultativ auch eine Teilbereichsqualifikation für Orgel oder Chorleitung vorsieht, geht es um Inhalte wie Liturgiegesang, Chorleitung – auch von Kinder- und Jugendchören – chorische Stimmbildung, chorpraktisches Klavierspiel, Orgelspiel und Harmonielehre, aber auch um Gehörbildung, Tonsatz, Orgelkunde und Musikgeschichte.

Anna gehört unter den 25 Kurs-Absolventen zu den Jüngsten. "Ich muss mir immer wieder Ziele setzen, etwas Neues ausprobieren", begründet die musikalische "Überfliegerin" mit einer entwaffnenden Fröhlichkeit ihre Motivation. Dass sie die C-Ausbildung viel Freizeit kostet, in der andere am Wochenende mit Freunden unterwegs sind, schmerzt sie daher wenig. Im Gegenteil. "Musik hat für mich im Alltag schon immer einen wichtigen Platz gehabt", erklärt sie mit einem Verweis auf ihre Großmutter, die in der Ukraine Geigenlehrerin war und ihr die Liebe zur Musik schon früh vorgelebt hat

Anna Khabyuk

"Die Domsingschule und der Mädchenchor haben mich geprägt; sie sind das Fundament, auf dem ich stehe. Beides hat ganz maßgeblich meinen musikalischen Geschmack geformt."

"Musik ist der Ausgleich fürs Lernen. Mit Musik kann ich mich am besten ausdrücken", betont Anna. "Mit ihr kanalisiere ich meine Gefühle; sie ist der Anker meines Lebens." Außerdem habe sie im Mädchenchor viele Freundinnen und erlebe hier beim gemeinsamen Singen ein Gemeinschaftsgefühl wie sonst nirgendwo. "Die Domsingschule und der Mädchenchor haben mich geprägt; sie sind das Fundament, auf dem ich stehe. Beides hat ganz maßgeblich meinen musikalischen Geschmack geformt. Die C-Ausbildung ist nun eine zusätzliche Chance, mich auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln."

Ihren ersten Orgelunterricht hat die Schülerin in der Kölner Dommusik von Iris Rieg erhalten / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ihren ersten Orgelunterricht hat die Schülerin in der Kölner Dommusik von Iris Rieg erhalten / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dass sie sich dafür ausgerechnet die "Königin der Instrumente" ausgesucht hat, kommt nicht von ungefähr. "Von klein an hat mich die Orgel im Dom total fasziniert. Von ihr geht so viel Macht aus. Und sie hat mit seltenen Registern Farben – die gibt es eben nur im Dom. Darin einzutauchen ist wie eine Zeitreise durch die Jahrhunderte", schwärmt die Jugendliche. "Meine damalige Orgellehrerin in der Dommusik, Iris Rieg, hat mir als erste die ganze Schönheit dieses Instrumentes offenbart." Dabei sei jede Orgel anders, verfüge über einen eigenen Charakter, eine individuelle Klangsprache. "Bei einer Orgel muss man den ganzen Raum mithören – erstrecht wenn die Principal-Register, die für die Basis und Lautstärke sorgen, zum Einsatz kommen. Das macht es richtig spannend."

Unterstützung von Domkantor Oliver Sperling

Doch Anna, die nach dem Abitur Jura studieren will, interessiert nicht allein der musikalische Aspekt der C-Ausbildung. "Mein Ziel ist, Gottesdienste zu begleiten, grundsätzlich eine enge Verbindung zwischen Musik und Liturgie herzustellen. Denn ich stehe zur Kirche und meinem Glauben", unterstreicht die 15-Jährige mit beeindruckender Selbstverständlichkeit.

Große Unterstützung bekommt sie dabei von Mädchenchorleiter Oliver Sperling, der für seine Sängerin das sogenannte "Chormentorat" – auch das ein praxisbezogener Teil der Ausbildung – übernommen hat. Regelmäßig bereitet der Domkantor mit Anna, die im Sopran 2 zu den tragenden Stimmen seines Ensembles zählt, Partituren geistlicher Chormusik vor und vermittelt ihr die am Dirigentenpult notwendige Schlagtechnik.

Oliver Sperling / © Beatrice Tomasetti (DR)
Oliver Sperling / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Er zeigt ihr, wie man den Kontakt zum Chor aufbaut und Einsätze gibt, damit jede Stimme auch die Hilfestellung bekommt, die sie braucht. "Rhythmik, Harmonik, Dynamik, Atempausen und Textbehandlung – das alles läuft beim Dirigieren zusammen und muss man vorher im Kopf haben", erläutert der Experte die didaktischen Elemente, die – wie er sagt – in den Handwerkskasten eines Chorleiters gehören.

Am Anfang stehe immer die Frage: Wie ist ein Stück aufgebaut bzw. welchen Weg muss ich nehmen, um es zum Klingen, bestenfalls sogar zu einer eindringlichen Interpretation zu bringen? Davon sollte man zumindest eine Vorstellung haben, so Sperling, und den Blick für das schärfen, was im entscheidenden Moment wirklich wichtig sei.

Oliver Sperling

"Anna ist in der Lage, eine klangliche Vorstellung von einem Liedsatz zu entwickeln und bringt durch ihre langjährige Chor- und Instrumentalerfahrung die allerbesten Voraussetzungen für diese Ausbildung mit."

Seiner Schülerin Anna Khabyuk kann der Dommusiker nach acht Monaten Mentorat nur Bestnoten ausstellen: "Als Chorsängerin ist sie gewohnt zuzuhören und unmittelbar zu reagieren. Sie ist in der Lage, eine klangliche Vorstellung von einem Liedsatz zu entwickeln und bringt durch ihre langjährige Chor- und Instrumentalerfahrung die allerbesten Voraussetzungen für diese Ausbildung mit: Talent und Fleiß."

Premiere für die 15-jährige Anna Khabyuk: Am Karfreitag durfte sie das erste Mal den Mädchenchor im Kölner Dom leiten / © Beatrice Tomasetti (DR)
Premiere für die 15-jährige Anna Khabyuk: Am Karfreitag durfte sie das erste Mal den Mädchenchor im Kölner Dom leiten / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Dass er ihr darüber hinaus auch einen guten Selbststand zutraut, wurde zum ersten Mal öffentlich sichtbar bei einer Premiere am Karfreitag dieses Jahres im Dom: Nach nur wenigen Unterrichtseinheiten durfte die C-Kurs-Absolventin selbst bei einem Choral dem Mädchenchor vorstehen und konnte auf diese Weise während des live übertragenen Gottesdienstes mit dem Kölner Erzbischof unter Beweis stellen, dass sie’s drauf hat.

Anna Khabyuk gibt dem Chor, in dem sie sonst selbst mitsingt, die Einsätze / © Beatrice Tomasetti (DR)
Anna Khabyuk gibt dem Chor, in dem sie sonst selbst mitsingt, die Einsätze / © Beatrice Tomasetti ( DR )

So viel Mut verdient Respekt. Daher ist der nächste Schritt auch schon in Reichweite: eine völlig selbständige Probenplanung und -durchführung. "Nicht unbedingt ein Selbstläufer", findet Anna. "Aber eine große Ehre."

Quelle:
DR