115 Schüler Opfer von sexuellem Missbrauch in katholischen Schulen

Ehrliche Bereitschaft zur Aufklärung

Im Missbrauchsskandal an Jesuitengymnasien haben sich bundesweit rund 115 zumeist männliche Opfer gemeldet. Sie hätten 12 Täter namentlich genannt, sagte die Missbrauchs-Beauftragte der Jesuiten, Ursula Raue, am Donnerstag in Berlin.

 (DR)

Sie rief den Orden zu einer zügigen Aufklärung auf, bescheinigte ihm zugleich eine ehrliche Bereitschaft dazu. Ordensprovinzial Stefan Dartmann erklärte in einer ersten Reaktion, die Jesuiten wollten für die Arbeit Raues zusätzliches Personal zur Verfügung stellen. Zudem sollten Arbeitsstäbe in den drei Jesuiten-Gymnasien in Berlin, Bonn und Sankt Blasien zur Aufarbeitung der Vorwürfe eingerichtet werden.

Dartmann betonte, er trete wie Raue dafür ein, dass die Ordensgymnasien Ansprechpartner für Schüler benennen sowie Supervisionen und Fortbildungsmaßnahmen für Ordensmitarbeiter anbieten, um Missbrauch künftig zu verhindern. Der Provinzial nannte das Ausmaß der Übergriffe «erschreckend und beschämend». Auch sei es eine Schande für den Orden, dass sich in den Akten aus der Zeit der Taten kein Nachdenken darüber finde, welche Schäden die Übergriffe bei Kindern und Jugendlichen verursacht hätten.

In ihrem Zwischenbericht erklärte Raue, bis zu 50 Fälle beträfen das Berliner Canisius-Kolleg, die übrigen Fälle die früher von Jesuiten getragene Sankt Ansgar-Schule in Hamburg, das Jesuitenkolleg Sankt Blasien im Schwarzwald und das Bonner Aloisiuskolleg. 9 Fälle beziehen sich auf kirchliche Bildungseinrichtungen, die nicht in Trägerschaft der Jesuiten waren, darunter eine evangelische. Unter den Tätern seien auch zwei Frauen genannt worden.

Die Rechtsanwältin betonte, bei den Übergriffen in den 70er und 80er Jahren habe es sich überwiegend um Fälle gehandelt, bei denen die körperlichen Verletzungen weniger gravierend gewesen seien. Darunter sei ihr bisher keine Vergewaltigung durch einen Jesuiten bekannt. Auch geringfügige Taten hätten die Opfer teilweise jedoch schwer und lang andauernd seelisch verletzt.

Auch Pallottiner betroffen
Nach den Jesuiten berichteten am Donnerstag auch die Pallottiner über Fälle sexuellen Missbrauchs in einer früheren Ordenseinrichtung. Ein Schüler des ehemaligen Konvikts Sankt Albert in Rheinbach bei Bonn habe vor zwei Jahren angegeben, er und zwei weitere Jungen seien Anfang der 60er Jahre von einem Pater missbraucht worden, sagte der Sprecher der deutschen Pallottiner-Provinz, Nicolas Schnall, in Limburg. Der beschuldigte Pater sei in den 1960er Jahren aus dem Orden ausgeschieden. Die Schule wurde 1967 geschlossen. Die Taten dürften strafrechtlich verjährt sein.

Unterdessen wandte sich der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst gegen den Eindruck, die Situation in seinem Bistum sei «besonders schlimm». In einer E-Mail an seine Mitarbeiter nimmt Fürst Bezug auf eine Grafik im Magazin «Spiegel», in der für Rottenburg 23 Verdachtsfälle und damit soviel wie in keiner anderen deutschen Diözese aufgelistet waren. «Was aber zunächst als besonders problematisch erscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als Indiz eines besonders sorgsamen Umgangs mit der Problematik», so der Bischof. Er habe 2002 strenge Regularien in Kraft gesetzt. Offenheit und Transparenz könnten dazu führen, dass Opfer sich leichter meldeten.

Ernennung eines zentralen Ansprechpartners
Der katholische Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller forderte eine Nachbesserung der Richtlinien der Bischofskonferenz. In der «Herder Korrespondenz» sprach er sich für die Ernennung eines zentralen Ansprechpartners bei der Bischofskonferenz aus, der den Kontakt zum Vatikan halten und die Arbeit der diözesanen Beauftragten koordinieren solle. Auch müsse gewährleistet sein, dass die regionalen Beauftragten, an die sich Missbrauchsopfer wenden können, nicht zum Leitungsteam des Bistums gehörten. Zudem sollten alle Bistümer verpflichtet werden, einen Arbeitsstab auch mit externen Experten einzurichten, etwa aus Psychotherapie oder Justiz.
Der Psychotherapeut spricht sich auch für einen «sorgfältigen Ausleseprozess bei den Kandidaten für das Priesteramt» aus.