10.Februar 2013

BWV 23: Du wahrer Gott und Davids Sohn

Jesus und die Zwölf machen sich auf den Weg nach Jerusalem. Als Jesus in der Nähe von Jericho vorbeikommt und ein Blinder ihn um sein Erbarmen bittet, heilt er ihn. In zwei Sätzen zusammengefasst ist das die Textstelle, die zur Zeit Johann Sebastian Bachs am heutigen Sonntag, am Sonntag Estomihi, in den Gottesdiensten zu hören war.

 (DR)

 

Bach bzw. der Dichter der Kantate greift nun die Worte des Blinden auf der zu Jesus sagt: Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ und macht sie zur Überschrift der Kantate: „Du wahrer Gott und Davids Sohn“. Dieser Ruf des Blinden enthält ein Christusbekenntnis. Denn der Messias, das stand für jene Zeit fest, wird aus Davids Geschlecht kommen. Diesen Gedanken wendet der Dichter des Kantatentextes nun auf die Gegenwart an: „Du wahrer Gott und Davids Sohn erbarme dich mein! Und lass mir gleichfalls Hülf und Trost geschehen“. So heißt es im ersten Satz.

Auch die beiden folgenden Sätze beziehen wieder einzelne Textstelle  des Evangeliums auf den gegenwärtigen Christen und  bauen Anspielungen auf weitere Bibelstellen ein. So erinnert die Wendung aus Satz 2 „Du bist ja erschienen, die Kranken und nicht die Gesunden zu heilen“ an das 2. Kapitel des Evangelisten Markus, bei dem es heißt: „Jesus sagte zu ihnen: Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken“. Und der Beginn des dritten Satzes verweist auf Psalm 145, in dem es heißt, dass nicht nur die Augen des Blinden, sondern die Augen aller auf den Herrn warten.

Insgesamt ist Bachs Komposition von großer Eindringlichkeit. Im zweiten Satz zum Beispiel wird durch die Worte „Ach! Gehe nicht vorüber! Das Bild des Blinden am Wege beschworen und zur Bitte der gesamten Christenheit um Erbarmen erhoben. Die Oberstimme, gebildet aus zwei Oboen und der 1. Violine, trägt  in lang gehaltenen Noten die 1. Strophe des Chorals „Christe, du Lamm Gottes“ vor: 

Der 3. Satz steht in seiner Rondostruktur und einer Satztechnik, die fast an einen Tanz erinnert, den weltlichen Kantaten der Köthener Zeit sehr nahe. Auch dass die Zwischenteile stets als Tenor-Baß-Duett angelegt sind, hat dort Vorbilder.

Der Schlusschoral ist von erhabener Eindringlichkeit. Oboen und Streicher bilden einen selbständigen Satz mit Vor- und Zwischenspielen. Außerdem ist der Satz durchkomponiert, d. h. jede der drei Choralstrophen wird auf einen eigenen Satz gesungen. So weist dieser Choralsatz in eindringlichem Ernst auf die bevorstehende Passion Christi hin:

Bach hat die ersten drei Sätze der Kantate offenbar schon in Köthen komponiert, um sie bei seiner Bewerbung um die Stelle des Thomaskantors am 7. Februar 1723 in Leipzig aufzuführen. In dieser Fassung fehlt also der Schlusschoral und wurde erst später hinzugefügt. Am Karfreitag diente er sogar als Schluß der Johannes-Passion, wurde  aber später wieder aus ihr entfernt, während er seinen Platz in der Kantate des heutigen Sonntags behielt. 

BWV 23: Du wahrer Gott und Davids Sohn“.

Tölzer Knabenchor, Leonhardt-Consort, Leitung: Gustav Leonhardt.

Quelle: Alfred Dürr, Die Kantaten von Johann Sebastian Bach, Bärenreiter 1995