101-jähriger Zeitzeuge erinnert sich an Gefangenenlager von Rimini

"Wir hatten eigentlich ständig Hunger"

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Tausende deutsche Wehrmachtssoldaten im italienischen Rimini interniert. Dort, am Strand der Adriaküste, entstand die "Rimini-Orgel". Der ehemalige Wehrmachtssoldat Christian Schabe erinnert sich.

Autor/in:
Markus Harmann
Luftbild von Rimini und seinem Hafen in der Region Emilia Romagna, Italien / © Wirestock Creators (shutterstock)
Luftbild von Rimini und seinem Hafen in der Region Emilia Romagna, Italien / © Wirestock Creators ( shutterstock )

KNA: Wie kamen Sie in das Kriegsgefangenenlager in Rimini?

Zeitzeuge Christian Schaber, ehemaliger Wehrmachtssoldat, am 18. Dezember 2023 in Loßburg / © Joachim Heinz (KNA)
Zeitzeuge Christian Schaber, ehemaliger Wehrmachtssoldat, am 18. Dezember 2023 in Loßburg / © Joachim Heinz ( KNA )

Christian Schabe (Ehemaliger Wehrmachtssoldat): Ich war Funker in einer Panzerkompanie, als die Amerikaner mich nach Kriegende bei Cortina d'Ampezzo gefangen genommen und an die Engländer übergeben haben. 

Anfang Mai kam ich als einer der ersten in das Lager in Rimini. Da gab es allerdings noch keine Baracken und Zelte. Wir schliefen auf der Wiese unter freiem Himmel. Als Begrenzung gab es einen Drahtzaun mit Eingangstor. Erst später wurden Zelte gebracht.

Christian Schaber

"Wir mussten fast alles abgeben; nur Uniform, Kochgeschirr und eine Decke durften wir behalten."

KNA: Wie waren die Bedingungen in der ersten Zeit?

Schabe: Wir mussten fast alles abgeben; nur Uniform, Kochgeschirr und eine Decke durften wir behalten. Täglich gab es einen Zählappel, da mussten sich immer 1.000 Leute in Zehnerreihen aufstellen. Wir standen manchmal mehr als eine Stunde in der prallen Sonne. 

Alle zwei Tage gab es acht Kekse und jeden Tag einen Liter Wasser, damit mussten wir alles machen: trinken und waschen. Manchmal gab es Klopapier und eine Dose Ham and Eggs von den Engländern. Wir haben Löwenzahnblätter gegessen, wenn wir welche fanden. 

Wir hatten eigentlich ständig Hunger. Alle zwei Wochen durften wir zum Baden in die Adria. Für 15 Minuten, immer 500 Leute auf einmal. Eine Badehose hatten wir nicht, dann sind wir eben nackt da rein.

KNA: Mussten Sie arbeiten?

Schabe: Erst später. Die Engländer suchten Lkw-Fahrer für eine Transportkompanie. Da habe ich mich gemeldet, obwohl ich noch nie einen Lkw gefahren habe. Ein anderer Gefangener hat mir erklärt, wie das geht mit Kuppeln, Zwischengas und so. 

Wir wurden dann in einer Hotel-Ruine direkt am Strand von Rimini-Bellaria einquartiert, direkt gegenüber von Lager 5. Wir konnten uns frei bewegen, wurden bei unseren Ausfahrten aber von englischen Jeeps begleitet.

Christian Schaber

"Wir durften uns halt nicht erwischen lassen."

KNA: Was haben Sie mit den Lkw transportiert?

Schabe: Lebensmittel, Obst, auch Munition. Wir durften nur fahren, nicht beladen. Wir haben es aber geschafft, etwas mehr Essen zu bekommen. Wir haben zum Beispiel Benzin abgezapft und später gegen Lebensmittel eingetauscht. Oder wir haben mit dem Lkw jemanden irgendwo hingebracht und dafür Essen bekommen. Wir durften uns halt nicht erwischen lassen.

KNA: Welche Erinnerungen haben Sie an die "Rimini-Orgel", die vor 80 Jahren im Wesentlichen aus Lager-Abfall erbaut wurde?

Schabe: Ich habe die Orgel erst wahrgenommen, als sie schon länger fertig war und ich nach der Zeit in der Transportkompanie wieder zurück ins Lager kam. Das war im April 1946. Sie war schon ziemlich spektakulär, denn sie war riesig und hatte verzierte Türen zum Ausklappen. 

Orgelpfeifen, Teile der Kirchenorgel von Rimini, am 1. Juli 2021 in einem Nebenraum der Kirche Sant'Agostino in Rimini (Italien) / © Andrea Schwab (KNA)
Orgelpfeifen, Teile der Kirchenorgel von Rimini, am 1. Juli 2021 in einem Nebenraum der Kirche Sant'Agostino in Rimini (Italien) / © Andrea Schwab ( KNA )

Bei einem Konzert, kann ich mich erinnern, stand die Orgel in einer Wellblechbaracke. Die Orgel stand auf einer Bühne. Ich weiß noch, dass in der ersten Reihe nur Frauen in Uniform saßen, dahinter die englischen Soldaten. Dann kamen wir, die Gefangenen. Neben Veranstaltungen und Konzerten gab es auch Gottesdienste an der Orgel, mit einem Lager-Pfarrer.

Christian Schaber

"Die Pfeifen bestanden aus unseren Keksdosen, das war schon faszinierend."

KNA: Viele Gefangene haben nach dem Krieg erklärt, die Orgel habe sie gerettet. Die Musik habe ihnen Hoffnung gemacht, das Ganze zu überstehen. Ging es Ihnen auch so?

Schabe: Ich hatte Mechaniker gelernt. Deshalb hat mich die Funktionsweise der Orgel fast noch mehr interessiert als die Musik. Nach einem Konzert hat ein Mann uns die Orgel erklärt. Damit die Orgel spielen konnte, benötigte sie zwei Wasserfässer, ein Schaufelrad und eine Luftturbine. Die Pfeifen bestanden aus unseren Keksdosen, das war schon faszinierend.

KNA: Wusste Ihre Familie damals, wo Sie waren?

Schabe: Nach ungefähr einem Dreivierteljahr durften wir eine vorgedruckte Karte nach Hause schreiben. Darauf stand: "Befinde mich in britischem Gewahrsam". Wir mussten dann ankreuzen: "Es geht mir gut" oder: "Ich bin krank." Später, nachdem ein Antwortbrief von zu Hause kam, durften wir normale Briefe schreiben.

Christian Schaber

"Das Lager war riesig geworden und von drei Rollen Stacheldraht umgeben." 

KNA: Wann waren sie wieder zu Hause?

Schabe: Im März oder April 1946 wurde ich aus der Transport-Kompanie entlassen, dann kam ich noch einmal in ein Zeltlager in der Nähe des Strandes. Das Lager war riesig geworden und von drei Rollen Stacheldraht umgeben. 

Wir wussten, dass wir bald entlassen werden sollten, aber wir mussten darauf warten, dass Züge in Richtung Deutschland fuhren. Das dauerte ewig. Am 1. Mai 1946 war ich wieder zu Hause, nach einem Jahr Gefangenschaft.

Christian Schaber

"Aber Urlaub - nein, den haben wir da nicht gemacht, das hätte nicht gepasst."

KNA: Nach dem Krieg wurde Rimini zu einem angesagten Urlaubsort für die Deutschen. Sind Sie jemals wieder dort gewesen?

Schabe: 1954 bin ich mit drei Freunden auf Motorrädern aus dem Schwarzwald über die Alpen gefahren, erst durch die Schweiz, dann nach Norditalien. Ich hatte eine BMW 500. Wir waren auch in Rimini und haben uns das alles angeschaut. Aber Urlaub - nein, den haben wir da nicht gemacht, das hätte nicht gepasst.

Die Orgel - Königin der Instrumente

Die Pfeifenorgel gilt als das bedeutendste und traditionsreichste Musikinstrument der christlichen Kirchenmusik. Seit dem Mittelalter ist sie untrennbar mit dem gottesdienstlichen Leben in katholischen wie evangelischen Kirchen verbunden und wird häufig als "Königin der Instrumente" bezeichnet. Ihre Besonderheit liegt nicht nur in der komplexen Technik und der Fülle an Klangfarben, sondern auch in ihrer liturgischen Funktion als tragendes und erhebendes Element des Gemeindegesangs und der musikalischen Ausgestaltung von Gottesdiensten.

 Ein Blick auf die Große Orgel und das Rosenfenster von der Westfassade Notre-Dames / © Sarah Meyssonnier (dpa)
Ein Blick auf die Große Orgel und das Rosenfenster von der Westfassade Notre-Dames / © Sarah Meyssonnier ( dpa )
Quelle:
KNA