10 Jahre Patientenverfügungen - Vorrang für Selbstbestimmung

Künstliche Ernährung am Lebensende vor Gericht

Künstliche Ernährung kann ein Segen sein - aber auch das Leben unnötig verlängern. Vor Gericht musste sich am Dienstag ein Arzt für den Einsatz einer Magensonde verantworten. Eine Patientenverfügung gab es nicht.

Patient auf einer Palliativstation (epd)
Patient auf einer Palliativstation / ( epd )

Fünf Jahre lang wurde Heinrich Sening künstlich ernährt. Als sein Arzt ihm 2006 eine Magensonde legte, konnte der 1929 geborene Patient, der an Demenz litt, sich schon nicht mehr bewegen und nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren. Die Jahre bis zu seinem Tod 2011 seien eine Qual gewesen, argumentiert sein Sohn.

Vor dem Bundesgerichtshof verlangte er am Dienstag Schadensersatz und Schmerzensgeld vom Arzt. Die Magensonde habe Leiden unnötig verlängert. Eine Entscheidung fiel noch nicht.

Wann verzögert eine Therapie das Sterben?

Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz ist klar: Hätte der Patient eine Patientenverfügung gehabt, wäre der Prozess überflüssig. "Denn in der Patientenverfügung können präzise Behandlungsanweisungen für konkrete Krankheitssituationen gegeben werden", sagte Vorstand Eugen Brysch am Dienstag in Dortmund.

Zehn Jahre sind es her, seit Patientenverfügungen in Deutschland rechtlich geregelt sind. Im Juni 2009 beschloss der Bundestag ein entsprechendes Gesetz. Sechs Jahre lang hatten Politiker, Juristen, Mediziner und Kirchen gerungen: Wann muss man bei schwerstkranken Patienten eine Therapie beenden, die das Sterben nur verzögert? Wer entscheidet, wenn ein Patient nicht mehr selbst bestimmen kann?

Gefunden wurde eine Regelung, die sich nach Meinung der Bundesärztekammer bewährt hat. Seitdem haben Kirchen, Ministerien, Juristen und Verbraucherschutzorganisationen Formulare und Ratgeber für Patientenverfügungen veröffentlicht. Auch viele Krankenhäuser und Palliativstationen haben reagiert: Patienten werden schon bei der Aufnahme gefragt, ob sie eine Patientenverfügung abgefasst haben.

Patientenverfügungen zu jedem Zeitpunkt verbindlich

Allerdings hat sich die Rechtsprechung immer wieder verändert: Allein in den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte der Bundesgerichtshof drei Entscheidungen dazu. Erst Mitte Dezember bestätigte er die starke Bindungswirkung der Verfügung. Wenn ein Betroffener seinen Willen präzise formuliert hat und die konkrete Situation in der Patientenverfügung beschrieben ist, müssten Gerichte auch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht mehr zusätzlich genehmigen, betonten die Karlsruher Richter.

Konkret hat der Bundestag festgelegt, dass Patientenverfügungen für Ärzte und Angehörige zu jedem Zeitpunkt verbindlich sind, also unabhängig vom Krankheitsstadium. Insbesondere der katholischen Kirche ging das zu weit. "Selbstbestimmung ist ein höchstes Freiheitsrecht, aber kein Mensch kann grenzenlos über sich selbst verfügen", argumentierten die Bischöfe etwa mit Blick auf Patienten im Wachkoma. Sie forderten gemeinsam mit Unionsabgeordneten, dass eine Patientenverfügung nur für die unmittelbare Sterbephase Gültigkeit erhalten sollte. Vergeblich.

Immer wieder bestehen allerdings im Einzelfall Zweifel an der Gültigkeit der Verfügungen. Experten räumen ein, dass kaum eine Patientenverfügung genau auf den jeweiligen Krankheitsfall passt. Es sei zudem fast unmöglich, zu gesunden Zeiten wirklich einzuschätzen, ob man bei schwerer Krankheit noch künstlich ernährt werden will.

Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten ist wichtig

Um so dringender raten Experten, zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht und eine Betreuungsverfügung zu erstellen und eine Vertrauensperson als Betreuer zu benennen. Sie kann sich im Fall schwerster Erkrankung dafür einsetzen, dass die Verfügung angemessen und im Interesse des Patienten durchgesetzt wird.

Als zusätzliches Instrument empfiehlt Ärztkammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery eine intensivere und wiederholte Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten. Gerade in ernsten Erkrankungsfällen könne es sinnvoll sein, wenn Ärzte gegenüber ihren Patienten die Möglichkeiten vorsorglicher Willensbekundungen ansprechen.

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens, unterstützte das. "Es erscheint mir sehr wichtig, dass gerade bei chronisch schwerkranken Menschen frühzeitig der Wille eruiert und auch dokumentiert wird", sagte er am Dienstag der "Süddeutschen Zeitung". Schon in Altenheimen oder auf der Normalstation von Krankenhäusern sollten die Wünsche und Einstellungen der Patienten abgefragt werden.

Von Christoph Arens


Quelle:
KNA
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