Wochenkommentar: Der Chefredakteur kommentiert

"Du bist doch nicht mehr katholisch"

Was für eine Woche: Ein Kardinal, der über Jahrzehnte die Kirche geprägt hat, gerät unter gravierenden Verdacht, sexuelle Gewalt an Minderjährigen verübt zu haben. Mögliche weitere Betroffene können sich melden. Vor dem Kölner Dom feiern Hunderte einen Segnungsgottesdienst - Segen für alle: Homosexuelle, Quere, Wiederverheiratete - alles im Zeichen des Regenbogens. Eine bunte lebendige Gemeinde und der Mädchenchor am Kölner Dom singt am Ende. Am Rande stehen festliche gekleidete Gläubige und beten lautstark den Rosenkranz, weil sie keinen Platz für den Segnungsgottesdienst in ihrer Kirche sehen und den Segen für alle als Kampfansage betrachten. 

Im Dom selber wird auch gebetet und ein Gottesdienst aus Anlass der Amtseinführung von Kardinal Woelki vor neun Jahren gefeiert. Kardinal Woelki, der auf Anweisung aus Rom einem Pfarrer seines Bistums gerade noch solche Segnungsgottesdienste verboten hat. Am letzten Wochenende erst marschierten die einen bei ihrem "Marsch für das Leben!". Zum Boykott gerade dieses Marsches rief der größte katholische Jugendverband BDKJ auf.

Die Polarisierung der katholischen Kirche wird immer deutlicher - die Fronten verhärten sich. Man darf bei dieser Ausgangslage gespannt sein, wie sich die deutschen Bischöfe bei ihrer Herbstvollversammlung in der nächsten Woche verhalten, die bekanntlich in ganz zentralen Punkten längst nicht mehr ein Herz und eine Seele sind und für alle unüberhörbar nicht mehr mit einer Stimme sprechen. 

Streit ist notwendig - den gab es schon unter den Jüngern Jesu. Wie sonst soll man den rechten Weg des Glaubens und der Kirche auf ihrem Weg durch die Zeit finden? Was es dabei aber auf gar keine Fall braucht, ist selbstherrliche Ausgrenzung: Wer gerade im Streit der Schwester im Glauben eine andere Kirche empfiehlt - oder dem Bruder bescheinigt - dass er nicht mehr katholisch ist, dem sei dringend der letzte Wunsch Jesu an Herz gelegt: "Alles sollen Eins sein, damit die Welt glaubt!" (Joh 17,21) 

Ingo Brüggenjürgen

Chefredakteur

Themen