Wochenkommentar: Der Chefredakteur kommentiert

Freischwimmer im Zölibat

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich bewundere junge Menschen, die heute noch Priester werden wollen - und ich bete für sie. Denn Priester in der Katholischen Kirche ist schon lange kein Traumberuf mehr. In den kirchlichen Chefetagen freut man sich himmlisch über jeden Einzelnen, der diese mutige Berufswahl trifft. Neue Priesteramtskandidaten werden seit Jahren verzweifelt gesucht. Während Anfang der 60er Jahre in Deutschland noch über 500 Priester jährlich geweiht wurden, sind es in den aktuellen  Weihejahrgängen weit weniger als 100 Neupriester. Da kommt keine Freude auf - zumal gute Priester händeringend in der Seelsorge landauf, landab benötigt werden.

Die Analysen und wissenschaftlichen Untersuchungen über den Priestermangel füllen inzwischen Bände. Am mangelnden Gebet für geistliche Berufe sollte es eigentlich auch nicht liegen. Was also ist zu tun, wenn die Erntearbeiter im Weinberg des Herrn ausbleiben? Die Aufhebung des Pflicht-Zölibates ist keine alleinige Patentlösung - wäre aber zumindest ein nötiger Anfang, der jetzt auch laut gedacht werden darf. Und sogar linientreue Kirchenmänner betätigen sich in Sachen Pflichtzölibat inzwischen als Freischwimmer. Da selbst mächtige Kardinäle wie der Münchner Kardinal Marx sich nun auch ganz gut verheiratete Priester vorstellen können, deutet sich hier eine gut katholische Zeitenwende an. Warum eigentlich auch nicht? Der Zölibat ist kein Dogma. Die Not des Priestermangels ist riesengroß. Da sollte doch was möglich sein. Vielleicht, nein, hoffentlich darf man schon bald mit Galilei ausrufen: "Und sie bewegt sich doch!"

Ingo Brüggenjürgen

Chefredakteur DOMRADIO.DE

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